Am Montag, 19. Februar, verkündete Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Sachsen trete der Klage der Kohle-Dachverbände und deutscher Kraftwerksbetreiber, darunter die in Sachsen tätigen Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG), Mitteldeutsche Braunkohlen AG (MIBRAG) und eins (Energie in Sachsen), vor dem Gericht der Europäischen Union bei. Da fühlte sich nicht nur Jana Pinka an die letzte Not des Stanislaw Tillich erinnert.

Denn der Ex-Ministerpräsident hatte ja genau diese Politik verfolgt: Statt vorzusorgen und belastbare Planungen für den fälligen Strukturwandel in West- und Ostsachsen zu entwickeln, hat er den Freistaat zu einem Beiboot der Kohlekonzerne gemacht und deren Geschäftspolitik unhinterfragt unterstützt.

Die höheren Grenzwerte der EU würden in Sachsen dafür sorgen, dass die ältesten Kohlemeiler entweder mit teurer Filtertechnologie nachgerüstet werden oder endlich vom Netz gehen müssten.

Und vom Netz gehen müssen die Kohlemeiler auch so.

Aber auch Kretschmer hat von der alten Politik nicht Abschied genommen.

„Wir stehen an der Seite der Menschen in den Braunkohleregionen und setzen uns für ihre Arbeitsplätze ein“, erklärte er am Montag. „Sie dürfen auch nicht durch ein Hintertürchen bedroht werden. Unverhältnismäßige und unwirtschaftliche technische Nachrüstungen in den ohnehin schon modernen beziehungsweise modernisierten Kraftwerksblöcken in Sachsen können nicht die Lösung sein.“

Die Bundesregierung hatte wohlweislich nicht geklagt. Denn die Bundesrepublik hängt bei der Senkung der Luftbelastung hoffnungslos hinterher. Ein Ausstiegsszenario aus der Kohleverstromung ist auch auf Bundesebene überfällig. Doch statt den Takt als Politik vorzugeben, überlässt man das Spiel der Kohlewirtschaft.

Dass die Kohle-Verbände und Kraftwerksbetreiber auf EU-Ebene gegen strengere Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von Großfeuerungsanlagen klagen, ist ja noch verständlich. Sie wollen ihre Anlagen ja gern so lange und so günstig betreiben, wie das irgend geht. Aber dass der Ministerpräsident sich bemüßigt fühlt, mitzuklagen, verblüfft schon. Es ist zwar ein schönes Signal für die Lausitz – aber es sichert die dortigen Kohle-Arbeitsplätze nicht wirklich.

„Die Braunkohlekraftwerke Boxberg, Lippendorf, Schwarze Pumpe und Jänschwalde emittierten 2015 insgesamt 46 Millionen Tonnen Stickoxide, 1,6 Tonnen Blei und 1,7 Tonnen Quecksilber“, nennt Dr. Jana Pinka, Sprecherin der Linksfraktion für Umweltschutz und Ressourcenwirtschaft, die Werte, die die sächsische Klimaschutzpolitik regelrecht zur Farce machen. „Dagegen will die EU mit neuen Grenzwerten zum Schutz der Bevölkerung vorgehen. Die Klage der ostdeutschen Braunkohleunternehmen, der eins-Energie in Chemnitz und die Staatsregierung beigetreten sind, wendet sich gegen das Zustandekommen der Grenzwerte.“

Viele Kraftwerksblöcke sind bereits abgeschrieben, können also stillgelegt werden, stellt die Abgeordnete fest.

„Dann wären weniger Nachrüstungen notwendig. Bei Grenzfällen wie eins-Energie in Chemnitz (Emissions-Neuregelung ab 2021, Abschreibungsende erst 2023/2029), wo sich eine Nachrüstung für zwei Jahre nicht lohnt, wäre es sinnvoll, die entstehenden Sonderabschreibungen durch Kraftwerksreserveregelungen analog Jänschwalde abzufedern. Nach wie vor führt jedoch kein Weg an einem Ausstiegsszenario vorbei, das festlegt, welche Kraftwerke noch wie lange laufen. Erst dann lohnt es sich, teure Nachrüstungen für die übrigen Blöcke zu kalkulieren. Über die Klage wird absehbar erst nach 2021 entschieden. Insofern müssen die Unternehmen bis dahin ohnehin nachrüsten, wenn ihre Kraftwerke nicht zwangsabgeschaltet werden sollen“, sagt Pinka.

So, wie Sachsens Regierung agiert, drohen dem Freistaat Milliarden an Folgekosten. Denn sie ignoriert völlig, dass mit der Kohletechnologie eigentlich keine Gewinne mehr eingefahren werden, mit denen sich die Reparatur der zerstörten Landschaft hinterher finanzieren ließe.

„Ein zentrales Problem bleiben die Rückstellungen für die Tagebausanierung“, sagt Pinka. „Ohne profitable Kraftwerke keine Einzahlungen auf das Rekultivierungskonto. Deshalb muss die Staatsregierung schnellstens handeln, um die 1,7 Milliarden Euro an Barmitteln für den Freistaat zu sichern. Sonst werden LEAG und Mibrag die Schuld für die Kraftwerksstilllegungen 2021 auf die EU und die Kosten für die Rekultivierung auf den Freistaat abwälzen. Es lohnt sich für alle Beteiligten, nicht auf die EU und die angeblich zu hohen Grenzwerte zu schimpfen, sondern den Umstieg auf saubere Energiequellen anzugehen, anstatt auf Gerichtsentscheidungen zu warten. Nur so lassen sich langfristig Arbeitsplätze erhalten.“

Die 1,7 Milliarden hatte Vattenfall angespart, um die Renaturierung der Tagebaue nach Auslaufen des Bergbaubetriebs zu finanzieren. Das Geld ging beim Verkauf der Braunkohlesparte an den tschechischen Konzern EPH über. Ob das Geld überhaupt noch verfügbar ist, weiß niemand.

„Ohne Ausstiegsplan keine Planungssicherheit“, sagt auch Marco Böhme, Sprecher für Energie- und Klimaschutzpolitik der Linksfraktion. „Die Regierung verschleppt den Ausbau der Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen und beschwert sich, wenn schärfere Grenzwerte gelten sollen. Das passt nicht zusammen. Wer auf lange Sicht noch Kohle verfeuern will, muss mit den Konsequenzen leben und für eine ordentliche Luftreinhaltung sorgen. Dafür sind auch Investitionen nötig. Die sächsischen Kraftwerke sind eben nicht auf dem modernsten Stand.“

Die Abschreibungsfristen der sächsischen Kohlekraftwerke.

Grüne bekräftigen ihre Forderung nach einem Ende des Fernwärmebezuges aus Lippendorf bis zum Jahr 2023

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