Sachsen ist ein schizophrenes Land. Mit martialischem Posen kämpft man nun seit Jahren „gegen Drogen“, veranstaltet Razzien, erhöht den Druck auf die „Drogenszene“ – und man bekommt die Zahlen dennoch nicht in den Griff. Die Drogenabhängigen bleiben abhängig. Die Dealer finden immer wieder Kundschaft. Die Zahl der hilfesuchenden Crystal-Abhängigen in Sachsen stagniert auf hohem Niveau.

Und das trotz des 2014 vom damaligen Innenminister Markus Ulbig (CDU) verkündeten 10-Punkte-Plans zum Kampf gegen Crystal. Und augenscheinlich waren die zehn Punkte einfach so zusammengeschustert, ohne dass dahinter jemals ein durchdachtes Konzept gestanden hätte.

Die Grünen-Fraktion hatte Ulbig das Papier von Anfang an nicht abgenommen und nun eine Große Anfrage an die Staatsregierung gestellt. Die Ergebnisse liegen nunmehr vor.

„Der 10-Punkte-Plan der Staatsregierung zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums in Sachsen ist bisher keine Erfolgsgeschichte“, stellt Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Fraktion, dazu fest. „Die Verstetigung der in den Landkreisen entwickelten Crystal-Suchthilfeprojekte steht infrage. Es fehlen stationäre Therapieplätze, insbesondere für Eltern mit Kind und in den Justizvollzugsanstalten. Die Polizei verfügt nicht über eine ausreichende personelle und technische Ausstattung zur Crystal-Bekämpfung.“

Denn man bekämpft Sucht nun einmal nicht mit drakonischen Strafen. Man muss den Süchtigen aus ihrer Sucht helfen. Aber so richtig ernst meinte Sachsens Staatsregierung das wohl nicht.

Während seit dem Jahr 2014 jährlich über 4.800 Crystal-Abhängige in den Suchtberatungsstellen beraten wurden, ist die Zahl der festgestellten Crystal-Delikte deutlich rückläufig. Konnte im Jahr 2014 in 1.623 Fällen Crystal sichergestellt werden, gelang dies 2016 nur noch in 966 Fällen (2015: 1.326 Fälle).

„Hinzu kommen neue Problemstellungen wie der Anstieg der Fälle von Crystal-geschädigten Neugeborenen“, stellt Zschocke fest und sieht weiter dringenden Handlungsbedarf: „Die seit 2015 neu entstandenen Crystal-Suchthilfeprojekte müssen durch das Sozialministerium auch im Doppelhaushalt 2019/20 weiter gefördert werden. Wir brauchen eine bedarfsgerechte und dauerhafte Förderung einer leistungsfähigen und differenzierten Versorgungsstruktur der Suchtkrankenhilfe durch den Freistaat. Die Suchthilfe darf nicht nach der durchschnittlichen Einwohnerzahl pro Stadt bzw. Landkreis bemessen werden. Eine pauschale Mittelverteilung, wie in der neuen Förderrichtlinie Psychiatrie und Sucht festgeschrieben, lehnen wir deshalb ab. Die Regionen in Grenznähe und die Großstädte Dresden und Leipzig müssen auf die hohe Zahl der Hilfesuchenden reagieren können ohne draufzuzahlen.“

Für die Behandlung von Crystal-abhängigen Eltern und deren Kinder gebe es derzeit in Sachsen sogar nur eine stationäre Einrichtung. Weitere Rehabilitationsangebote sollten schnell ausgebaut werden, stellt Zschocke fest.

„Sonst ist das Ziel, den ‚familienerhaltenden Ansatz‘ zu fördern und die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken, nicht zu erreichen. Zudem ist ein wissenschaftlich abgesichertes Konzept zur Behandlung Crystal-geschädigter Säuglinge und Kinder zu entwickeln.“

Und dann ist da noch das Problem der personell heruntergesparten Polizei.

Crystal ist in Sachsen aufgrund der Grenznähe zu Tschechien billiger und leichter zu haben als jede andere illegale Substanz. Die Droge wird in allen gesellschaftlichen Schichten konsumiert und stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Die Grünen-Fraktion habe bereits im Jahr 2011 auf die Gefahren der Droge hingewiesen und ein Sofortprogramm zur Stärkung der Suchthilfe gefordert, so Zschocke. Im Jahr 2014 wurde daraufhin vom Innenminister ein 10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums vorgelegt.

„Wir brauchen zur Bekämpfung des grenzüberschreitenden Handels und Schmuggels von Crystal ausreichend Personal bei der Polizei. Auch die technische Ausstattung der sächsischen Polizei im Kampf gegen Crystal ist mangelhaft“, kritisiert der Grünen-Abgeordnete. „In ganz Sachsen gibt es nur drei mobile Analysegeräte zur Chemikalienidentifizierung und zum schnellen Drogen-Screening. Die geringen Zahlen aufgedeckter Drogenlabore, Quellen und Verbringungswege und die rückläufige Anzahl der Ermittlungsverfahren stehen im Widerspruch zu dem hohen Bedarf in der Suchthilfe. Im Jahr 2013 wurde die Einrichtung einer Sonderkommission (SOKO) Crystal öffentlich angekündigt, doch bis heute ist sie nicht eingerichtet.“

Und da die Ertappten oft wegen anderer Delikte hinter Gitter kommen, müsste die dortige Therapie-Arbeit deutlich besser werden.

„In allen Regionen Sachsens sollten in den Justizvollzugsanstalten stationäre Suchtherapiestationen eingerichtet werden − vor allem in der Frauenjustizvollzugsanstalt in Chemnitz“, sagt Zschocke. „Bei Crystal-Abhängigkeitskranken, die nachweislich eine Therapie beginnen, sollte geprüft werden, ob auf die Strafverfolgung verzichtet werden kann.“

Die Spitze des Eisbergs oder Warum Sucht ein Grundbaustein unserer Konsumgesellschaft ist

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