Reichsbürger sind keine skurrilen, etwas verschrobenen Gestalten. Auch wenn sich einige von ihnen als Reichspräsidenten oder andere närrische Reichsverweser verkleiden. Die meisten sind Menschen mit radikalen Ansichten, die der Bundesrepublik Deutschland schon deshalb das Existenzrecht absprechen, weil es eine Republik und eine Demokratie ist. Und etliche dieser radikal gesinnten Bürger scheuen auch vor echten Straftaten nicht zurück.

Das ergab jetzt eine Anfrage von Kerstin Köditz, Sprecherin der Linksfraktion für Antifaschistische Politik im Sächsischen Landtag. Sie hatte schon in den Vorjahren das Thema „Reichsbürger“ immer wieder auf die Tagesordnung gebracht, als die beharrlichen Auskünfte des Innenministers eigentlich immer nur beteuerten: Die paar Hanseln sind kein Problem.

Die Erkenntnis reifte nur langsam und spät – befeuert erst durch die bundesweit aufsehenerregenden Schusswaffenanwendungen einiger namhafter „Reichsbürger“. Erst da nahm man auch in Sachsen dieses Phänomen ernst, das eher kein Phänomen romantischer Träumer von vergangenen Zeiten ist, sondern von gewaltaffinen Rechtsradikalen, die auf diese Weise ihre Aggressionen gegen den demokratischen Staat deutlich machen und Konflikte provozieren.

Und es ist kein Zufall, dass es in Sachsen die meisten gerichtsnotorischen Vorfälle mit „Reichsbürgern“ genau da gibt, wo die rechtsradikale Szene schon seit Jahren stark ist.

Anhänger der sogenannten Reichsbürger-Szene haben im Jahr 2017 in Sachsen mindestens 235 Straftaten begangen, erfuhr Kerstin Köditz aus der Antwort von Innenminister Roland Wöller. Die meisten Taten ereigneten sich im Landkreis Görlitz (43), der Stadt Dresden (27) sowie in den Kreisen Bautzen (22) und Zwickau (21). Bezogen auf die Bevölkerungszahl  rücken der Vogtlandkreis und die Stadt Chemnitz auf vordere Plätze. Hochburg ist aber eindeutig Görlitz – die Fallbelastung im Landkreis ist dreimal so hoch wie im Landesschnitt.

Leipzig kommt in dieser Statistik auf neun Vorfälle.

Die Zahlen selbst ergaben sich aus einer Auswertung des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum (PTAZ). Demnach verteilen sich die Taten auf 39 Deliktarten. Besonders häufig kommen Nötigungen (64), Beleidigungen (25) und Widerstand gegen Beamte (18) vor – diese Delikte machen gemeinsam fast die Hälfte aller Fälle aus. Unter den erfassten Delikten sind außerdem acht Körperverletzungen, sechs Verstöße gegen das Waffen- und drei Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. In einem Fall wird offenbar sogar wegen Hochverrats ermittelt.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

„Für die Auswertung hat das PTAZ hauptsächlich Fälle herangezogen, die als ‚aufgeklärt‘ gelten – insgesamt 243 Tatverdächtige wurden ermittelt, einige sogar schon verurteilt“, geht Köditz auf die Einordnung der Zahlen ein. „Über weitere unaufgeklärte Taten erlauben die Zahlen aber keinen Rückschluss. Skurril: Nur ein Viertel der Fälle gilt als ‚politisch motiviert‘ – und eine fortlaufende Statistik wird auch nicht geführt. Hier muss nachgebessert werden, um das viel zu lange ignorierte Reichsbürger-Spektrum besser in den Blick zu bekommen. Die Anzahl amtsbekannter Anhänger dieser Szene hat sich immerhin binnen eines  Jahren mehr als verdreifacht!“

Und das nur, weil Sachsens Behörden jetzt überhaupt einen Fokus auf diese Einzelströmung im rechtsradikalen Spektrum haben und auch den Ermittlern erst so langsam klargeworden ist, dass die „Reichsbürgerbewegung“ tatsächlich eine Spielart ist, mit der die demokratischen Grundlagen der Republik unterlaufen und infrage gestellt werden. Brave Bürger sind das ganz bestimmt nicht, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, um ihre Verachtung für die Republik deutlich zu machen.

Die Antwort von Innenminister Dr. Roland Wöller. Drs. 12298
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12298&dok_art=Drs&leg_per=6&pos_dok=1&dok_id=undefined

Wenn Rechtsradikale und „Reichsbürger“ in Sachsen sich mit Waffen eindecken

Wenn Rechtsradikale und “Reichsbürger” in Sachsen sich mit Waffen eindecken

 

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