Was da mit einer „Datenpanne beim Landesamt für Verfassungsschutz“ im April an die Öffentlichkeit ploppte, hat vielleicht weniger das Zeug zu einem Agenten-Thriller als zu einem beklemmenden Einblick in das schlampige Selbstverständnis eines Geheimdienstes, der sich nicht mal selbst ernst nehmen kann. Mit Professionalität hat der Vorgang wirklich nichts mehr zu tun.

Und damit werden viele Verdachtmomente bestätigt, die gerade Oppositionsparteien wie Grüne und Linke nach dem Auffliegen des NSU-Skandals 2011 immer wieder geäußert haben. Sachsens Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet nicht nur intransparent, sondern auch noch unprofessionell.

Am Montag, 7. Mai, haben die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages die Öffentlichkeit über die Aufarbeitung dieser „Datenpanne beim Landesamt für Verfassungsschutz“ informiert.

„Ich kann und will den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht vorgreifen. Was wir bis jetzt wissen, lässt aber nur einen Schluss zu: Im Landesamt herrschte mindestens bis jetzt eine besorgniserregende Sorglosigkeit“, versucht Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linken und auch Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, die Sache ganz vorsichtig zu umschreiben.

„Da wird ein Systemadministrator zufällig dabei erwischt, wie er die Personaldaten der hauptamtlichen Geheimdienstbeschäftigten auf einen USB-Stick kopiert, also möglicherweise auch die von V-Mann-Führern. Und niemandem fällt es auf, dass er zunächst einen anderen Datenträger aushändigt und mit dem Corpus Delicti ungehindert nach Hause marschiert. Weder wird die Polizei hinzugezogen noch der Mann durchsucht – ganz so als hätte er nur einige Rollen Klopapier geklaut.“

Zumindest fiel der Kopiervorgang auf und bei irgendjemandem im Amt schrillten die Alarmglocken. Wie kommt ein Systemadministrator an interne Personendaten?

„Der Geheimdienst geht offenbar sehr leichtfertig mit seinen Geheimnissen um. Mit Blick darauf, was über die wahrscheinliche Tatmotivation bekannt ist, mag es zwar unwahrscheinlich sein, dass geheime Daten in Umlauf gelangen – aber es erfolgten keine entschlossenen Schritte, um das auszuschließen“, geht Köditz auf die sichtbar gewordene Fahrlässigkeit im Amt ein.

„Wir wissen nicht, ob es weitere Sticks oder Kopien gibt. Ich kritisiere beim sächsischen ‚Verfassungsschutz‘ seit Jahren nicht nur inhaltliche Defizite, hinzu treten offenbar eklatante handwerkliche Mängel.“

Kerstin Köditz, MdL Die Linke (Archiv 2017, Landesparteitag). Foto: L-IZ.de
Kerstin Köditz, MdL Die Linke (Archiv 2017, Landesparteitag). Foto: L-IZ.de

Verfassungsschutz schreibt sie übrigens konsequent mit Gänsefüßchen: „Verfassungsschutz“, denn jeder Verfassungsschutzbericht zeigt aufs Neue, wie sehr sich das Amt politisch verortet. Von der nötigen Distanz zu politischen Bevormundungen ist da wirklich nichts zu sehen. Aber wie kann so ein Verfassungsschutzamt arbeiten, wenn die zu erbringenden Ergebnisse immer schon politisch vorgefiltert sind? Bis hin zu der sichtbar gewordenen Blindheit beim Umgang mit rechtsradikalen (und kriminellen) Vereinigungen, von denen der NSU nur eine war?

Und nicht mal der Wille ist da, die Aufsicht führenden Gremien rechtzeitig und sofort zu informieren, wenn es – mal wieder – ein Vorkommnis gab.

„Es ist das klare Versagen des Innenministeriums und der Behördenspitze, dass die Tragweite des Vorfalls lange Zeit nicht erkannt und die Parlamentarische Kontrollkommission als Kontrollinstanz erst nach vier Wochen informiert worden ist“, beschwert sich Kerstin Köditz.

„Die PKK fordert nun zu Recht, dass beim Umgang mit sensiblen Daten im Landesamt künftig ein Vier-Augen-Prinzip gilt, dass Datenzugriffe protokolliert und externe Speichermedien zertifiziert werden. Dass all das bisher nicht erfolgt ist, spricht Bände über die Professionalität des sächsischen Geheimdienstes. Bei Befragungen im NSU-Untersuchungsausschuss sind die Schlapphüte hingegen penibel auf Sicherheit bedacht: Dort werden die Beschäftigten strikt anonymisiert und sogar Landtagsabgeordnete gefilzt, bevor sie den Sitzungssaal betreten dürfen.“

Ein seltsamer Geheimdienst also, der auf sich selbst nicht aufpassen kann.

Valentin Lippmann, Landtagsabgeordneter der Grünen Sachsen. Foto: L-IZ.de
Valentin Lippmann, Landtagsabgeordneter der Grünen Sachsen. Foto: L-IZ.de

„Die neusten Erkenntnisse über den Umgang des Landesamtes für Verfassungsschutz mit dem Datenabgriff durch einen Mitarbeiter erwecken den Anschein, dass das wahre Ausmaß des Skandals vor der Öffentlichkeit und dem Parlament verschleiert werden sollte“, geht dann Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, noch einen Schritt weiter.

„Es offenbart sich ein massiver Kontrollverlust an einer der sensibelsten Stellen der Landesverwaltung. Das LfV ist nicht in der Lage, sich vor dem Abgriff sensibler Daten durch die eigenen Mitarbeiter zu schützen. Dass am Tag des Datenabgriffs noch nicht einmal die Polizei eingeschaltet wurde, macht einmal mehr deutlich, dass sich das Landesamt jenseits aller rechtsstaatlicher Kontrolle bewegt.“

Und auch er findet es völlig daneben, dass sich das kritisierte Amt immer wieder versucht, der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. Was wohl auch mit seiner seltsamen Rolle in der sächsischen Regierungspolitik zu tun hat. Man begreift sich nicht als Sicherheitseinrichtung zum Schutz der Verfassung und des Staates, sondern als verlängerter Arm der jeweiligen Landesregierung

„Zudem wurden die für einen Geheimdienst immens wichtigen Kontrollrechte und -pflichten des Parlaments massiv verletzt. Dass die PKK erst nach über vier Wochen in einer regulären Sitzung über den Vorfall unterrichtet worden ist, offenbart in klarer Weise das eigene Verständnis des LfV als Staat im Staat, der sich keiner Kontrolle aussetzen will. Die PKK, in der ohnehin schon nicht alle Landtagsfraktion vertreten sind, ist das wichtigste Kontrollgremium des LfV. Wenn es nicht informiert wird, findet keine Kontrolle statt“, macht Lippmann seinem Ärger Luft.

„Ich erwarte, dass dieser weitere Skandal des sächsischen Verfassungsschutzes Konsequenzen hat. Die Behörde mit dem höchsten Geheimhaltungsanspruch in Sachsen hat offenbar das schlechteste IT-Sicherheitskonzept des Freistaates. Ein Geheimdienstchef, der sein Haus mit solch eklatanten Sicherheitsmängeln führt, muss dafür Verantwortung übernehmen. Tut er das nicht, ist es Aufgabe von Innenminister Roland Wöller (CDU) klare Kante zu zeigen. Keine staatliche Behörde kann es sich leisten, dass Daten abgeschöpft werden. Der Geheimdienst am allerwenigsten.“

Versuchter Datenklau beim Sächsischen Verfassungsschutz wird Thema im Landtag

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