Es liest sich nicht mehr nur wie eine Spekulation. Der MDR scheint sich recht sicher zu sein, wenn er schreibt: „Der langjährige sächsische Ministerpräsident, Stanislaw Tillich, soll nach Informationen von ‚MDR aktuell‘ einer der Vorsitzenden der neuen sogenannten Braunkohlekommission werden.“ – „Ich kann nur davon ausgehen, dass dieser Vorschlag ein schlechter Scherz zum Maibeginn ist“, meint Marco Böhme, energie- und klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag.

Immerhin stand Tillich für das regelrechte Verweigern eines Nachdenkens über den anstehenden Strukturwandel in den sächsische Kohlerevieren. Nun soll er einer der Vorsitzenden in der Kohlekommission des Bundes werden.

„Mit Stanislaw Tillich soll ein erklärter Gegner des Kohleausstiegs zum Chef einer Kommission ernannt werden, welche den Kohleausstieg vorbereiten soll“, wundert sich Marco Böhme. „Schon jetzt versagt die neue Bundesregierung in Sachen Klimaschutz auf ganzer Linie. Eigene Ziele zur Reduktion von CO2 werden nicht eingehalten und stattdessen auf das Jahr 2030 geschoben. Und auch Sachsen ist Schlusslicht beim Klimaschutz in Deutschland. Der Ausbau von Erneuerbaren Energien ist unter Ministerpräsident Tillich gestoppt worden, und an einen Abbau der Überkapazitäten bei der Kohleverstromung ist in Sachsen nicht zu denken.“

Aber es geht ja ums Geldverteilen. Deswegen haben ja alle drei ostdeutschen Braunkohleländer gleich laut „Hier!“ gerufen, als von den ersten 1,5 Milliarden Euro gemunkelt wurde, die möglicherweise für den Strukturwandel fließen. Tatsächlich war der Ausstieg von Vattenfall aus der ostdeutschen Kohlewirtschaft schon ein klares Signal, das aber Tillich nicht wirklich wahrnehmen wollte.

Und zwar eins mit Vorlauf: Schon 2012 hatte Schwedens Regierung den Staatskonzern Vattenfall aufgefordert, sein Engagement in fossilen Energiesparten einzuschränken. 2013 verkaufte Vattenfall deshalb seinen Kraftwerksblock im Kohlekraftwerk Lippendorf. 2016 folgte dann der Verkauf der Lausitzer Kohlesparte an die tschechische EPH. Auch die von Vattenfall angesparten Rücklagen wechselten auf diesem Weg den Besitzer.

Und Sachsens Regierung ließ das so laufen.

Marco Böhme kann es heute noch nicht fassen: „Weiterhin hat die Regierung Tillich einen Firmenübergang von Vattenfall zu EPH zu verantworten, der die Steuerzahler*innen noch teuer zu stehen kommen könnte. Vattenfall zahlte dem neuen tschechischen Investor damals 1,7 Milliarden Euro für den Abkauf der Kohlesparte, weil es im Kohlegeschäft eben auch Folgekosten gibt.

Doch statt dass der Freistaat diese Summe als Sicherheitsleistung festsetzt, versickert das Geld in den Konzernstrukturen von EPH. Sollte sich der Investor in den nächsten Jahren wieder aus der Region verabschieden, gibt es nicht nur einen harten Strukturbruch, sondern auch Folgekosten, die für den sächsischen Landeshaushalt gravierend sind.“

Sachsen hat also die Chance vertan, den Abschied von der Kohle im eigenen Land selbst zu gestalten. Noch kurz vor seinem Rücktritt als Ministerpräsident forderte Tillich ja 2017 noch einen neuen „Kohlepfennig“, um den Kohleausstieg im Osten zu finanzieren. Was seinerzeit gar nicht gut ankam. Und nun sitzt er just in der Kommission, die wieder mal über Steuergeld nachdenken soll, mit dem der Ausstieg aus der Braunkohle nun finanziert werden soll.

„Es braucht einen klaren Ausstiegsplan, ähnlich wie beim Atomausstieg“, sagt Böhme dazu. „Nur so ist allen geholfen: dem Klima, den Beschäftigten in der Braunkohle-Industrie und letztlich dem Freistaat. Doch wer all das bekämpft und davon ausgeht, dass es eine Kohleverstromung noch weit über das Jahr 2050 gibt, der hat das Problem nicht verstanden und riskiert einen harten Strukturbruch für die Region und auf Kosten der hier lebenden und arbeitenden Menschen.“

Und da wird es auch für Tillich spannend. Denn bis Jahresende soll die Kommission einen klaren Ausstiegstermin benennen. Der dürfte deutlich vor den von Tillich einst favorisierten Jahreszahlen 2050 oder 2040 liegen. Wenn Deutschland seine eigenen Klimaschutzziele ernst nimmt, liegt er auch vor dem Jahr 2030.

Aber da alle bisherigen Gegner eines Kohleausstiegs auch wieder in der Kommission sitzen, dürfte es um diesen Termin dort ein heftiges Ziehen und Zerren geben.

Jetzt wollen die Braunkohle-Ministerpräsidenten auf einmal in der Kohleausstiegskommission mitreden

Jetzt wollen die Braunkohle-Ministerpräsidenten auf einmal in der Kohleausstiegskommission mitreden

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