Es war dann doch wie ein Nachklapp zum eher wieder ziemlich dünnsuppigen Verfassungsschutzbericht 2017, als das Sächsische Innenministerium am 29. Mai meldete, man wolle sich jetzt doch endlich ein bisschen intensiver um die sogenannte Reichsbürger-Szene kümmern. Die tauchte zwar endlich im Verfassungsschutzbericht etwas umfangreicher auf. Aber für das, was seit Jahren auch im Landtag angefragt wird, war das Gebotene einfach zu kärglich.

„Nach wie vor dürftig sind die Erkenntnisse zur wachsenden Reichsbürger-Szene“, hatte es Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, benannt. „Dazu bietet der Bericht kaum Neues. Und nach anderthalb Jahren der Beobachtung ist es offensichtlich immer noch nicht gelungen, die Organisations-Struktur dieser Szene aufzuhellen – blamabel! Im zugehörigen Mini-Kapitel werden dann auch zwei Gruppen benannt, die im Freistaat gar keine Strukturen haben.

Skurril ist die völlig unbegründete Einschätzung, dass das Straftatenniveau der Reichsbürger-Szene auf ‚niedrigem‘ Niveau liege – ein Witz! Offenbar soll das Problem, dessen man nicht Herr wird, kleingerechnet werden. Dem entspricht, dass die Reichsbürger auch sorgsam von ‚Rechtsextremisten‘ getrennt werden – obwohl sich in der Regel wohl nur solche Leute für den Reichs-Quatsch begeistern können.“

Das „niedrige Straftatenniveau“ ist umso blamabler, als es vor allem Behördenmitarbeiter sind, die unter den Attacken der sogenannten „Reichsbürger“ zu leiden haben.

Zur Beratung eines künftig konsequenteren Vorgehens gegen die „Reichsbürger“-Szene und ihre Auswüchse hatte das Regierungskabinett im Rahmen des „Zukunftspaktes Sachsen“ im Februar 2018 die Bildung einer Sonderarbeitsgruppe „Reichsbürger und Selbstverwalter“ beschlossen. Der Arbeitsgruppe gehörten die Staatssekretäre der Staatsministerien des Innern (federführend), der Justiz und der Finanzen sowie der Staatsministerien für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Kultus, Soziales und Verbraucherschutz auch mit seinem Geschäftsbereich Gleichstellung und Integration an.

Zu den geplanten Handlungsoptionen gehört auch eine Informationskampagne der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung zu Verschwörungstheorien unter besonderer Berücksichtigung der „Reichsbürger“-Argumentation. Ein Fokus liegt dabei auf der Aufklärung in den Schulen durch die Verteilung der Publikationen und die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien. Die Kampagne soll neben gesonderten Publikationen auch Veranstaltungen und Lesungen umfassen. Über die sozialen Medien und das Internet soll sich die Informationskampagne insbesondere auch an junge Menschen richten.

Braucht es einen aufgemotzten Paragraphen 90a?

Aber damit sich die lange Zeit viel zu gleichgültige Haltung gegenüber den „Reichsbürgern“ änderte, war es wohl wichtig, dass auch die CDU-Fraktion das Problem endlich ernst nimmt. Und dass sie es tut, bestätigte Christian Hartmann, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion: „Die steigenden Zahlen der Reichsbürgerszene ergeben sich aus einer erhöhten Aufklärung des bestehenden Dunkelfeldes. Sie zeigen dennoch, dass hier ein erhebliches Personen- und Gefahrenpotential besteht. Zumal ein Teil der Szene Zugang zu Waffen hat.

Er forderte dann auch umgehend: „Neben der Erweiterung des Strafgesetzbuches wegen ‚Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole‘ und der konsequenten Verfolgung von Übergriffen auf Vollstreckungsbeamte, sollte auch ein Verbot für den Besitz von Waffen für Reichsbürger geprüft werden.“

Und genau das wird jetzt von der sächsischen Staatsregierung überlegt.

Der Freistaat wolle prüfen, wie staatsfeindliche Äußerungen und Handlungen von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ künftig strafrechtlich noch besser verfolgt werden können, formulierte es das Innenministerium am Dienstag, 29. Mai. Darauf hätten sich die Mitglieder der Sächsischen Staatsregierung in ihrer Kabinettssitzung verständigt und einen Prüfauftrag an das Staatsministerium der Justiz erteilt.

„Die heterogene Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter eint die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung. Sie sprechen den Behörden und demokratisch gewählten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland somit die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb unserer Rechtsordnung stehend“, begründete Innenstaatssekretär Prof. Dr. Günther Schneider den Kabinettsbeschluss.

„Das A und O bei der erfolgreichen Bekämpfung und Eindämmung dieser Szene ist und bleibt die konsequente Durchsetzung des Rechtsstaates einschließlich der Durchführung notwendiger Zwangsmaßnahmen. Der Rechtsstaat muss Reichsbürger abschrecken und nicht umgekehrt. Hierfür wollen wir genau schauen, was gegen einen Angehörigen der ‚Reichsbürgerszene‘ im konkreten Einzelfall rechtlich mach- und vor allem durchsetzbar ist.“

Aber das kann Sachsen allein nicht beschließen. Das muss auf Bundesebene geklärt werden – zum Beispiel durch eine Gesetzesinitiative der Länder.

Das sächsische Justizministerium prüfe deshalb eine Bundesratsinitiative zur Erweiterung des § 90a Abs. 1 des Strafgesetzbuches („Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“). Danach soll künftig auch das bei „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ regelmäßig zu beobachtende Leugnen der tatsächlichen Existenz der Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat ausdrücklich unter Strafe gestellt werden.

Ein Ansatz, den Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, für völlig verfehlt hält: „Bei allem Verständnis für die Belastung der Verwaltung und der Gefahr, die von einzelnen sog. Reichsbürgern ausgeht, halte ich die geforderte Verschärfung des § 90a StGB für vollkommen unverhältnismäßig. Wenn das Leugnen der Existenz der Bundesrepublik künftig strafbar sein soll, sind wir endgültig im Bereich des Gesinnungsstrafrechts angekommen.

Kennzeichen unseres demokratischen Rechtsstaates ist es doch gerade, dass er die Meinungsfreiheit schützt. Und wenn jemand an die Existenz des fliegenden Spaghettimonsters glaubt, soll er das tun, solange er sich nicht anderweitig strafbar macht oder gewalttätig wird.“

Der Rechtsstaat selbst muss geschützt werden

Denn genau da steckt ja das Problem. Es sind die Behördenmitarbeiter, die mit der Renitenz der selbsternannten Reichsbürger ihren Ärger haben, gemobbt, beleidigt, genötigt werden. Der Ansatz kann also nicht sein, den nächsten Leugnungs-Paragraphen zu erfinden, sondern die Behördenmitarbeiter zu schützen.

Der für den Verfassungsschutz zuständige Innenstaatssekretär Prof. Dr. Günther Schneider: „Reichsbürger und Selbstverwalter versuchen immer wieder, die Behördenarbeit zu behindern und sind bereit, hierfür Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Dabei weisen sie ein hohes Eskalations-, Gewalt- und Mobilisierungspotenzial bei nicht zu unterschätzendem Fanatisierungsgrad auf. Das macht sie zu einer Gefahr insbesondere für jene Menschen, die unseren Rechtsstaat mit entsprechenden Entscheidungen, Bescheiden und Urteilen durchsetzen müssen.

Und Sachsen hat ja im Mai auch endlich auf diese Seite reagiert: Der Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen hatte bereits mit Wirkung vom 1. Mai 2018 eine „Rundverfügung zur einheitlichen Sachbehandlung von Straftaten gegen Amtsträger, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Rettungskräfte“ erlassen. Eine Verfahrenseinstellung kommt danach bei reichsbürgerspezifischen Straftaten regelmäßig nicht mehr in Betracht.

„Angriffe auf diese Personenkreise während der Dienstausübung sind zugleich auch Angriffe auf die öffentliche Sicherheit und Ausdruck der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Bediensteten verdienen daher einen besonderen Schutz, und es bedarf einer konsequenten Strafverfolgung. Die Staatsanwaltschaften sind daher angehalten, diese Taten jeweils anzuklagen. Dadurch ist eine umfassende Verfolgung von Angriffen durch Reichsbürger möglich“, sagte Schneider.

Verfassungsschutzbericht für 2017: Zunehmende Gefahr durch „Reichsbürger“ und Islamisten

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