Reichlich 4.000 Menschen mit Behinderungen ist es in Sachsen gesetzlich versagt zu wählen. Dazu kommen weitere Menschen, denen es wegen der Gestaltung des Wahlverfahrens, der Materialien sowie der Wahllokale erschwert ist, ihr Wahlrecht auszuüben, benennt die Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag einen Zustand, den es eigentlich schnellstmöglich zu ändern gilt.

Die Grünen haben deshalb einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht in den Sächsischen Landtag eingebracht.

„Die Beratungen in den Ausschüssen haben gezeigt: Die Koalition spielt weiter auf Zeit. CDU und SPD warten die Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen auf Bundesebene ab und reden sich damit raus, dass noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage aussteht. Die Hinhalte-Taktik der Regierungsfraktionen führt dazu, dass die betroffenen Personen bei den Europa-, Kommunal- und Landtagswahl in diesem Jahr wieder nicht mitwählen können“, kritisiert Volkmar Zschocke, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion.

„Der Landtag kann bereits jetzt verfassungskonforme Änderungen beschließen. Andere Bundesländer machen es vor: In Brandenburg, Bremen, NRW und Schleswig-Holstein sind die Wahlausschlüsse bereits aufgehoben. Sogar auf der Bundesebene besteht Einigung, den Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Vollbetreuung zu beenden.“

Es sind die sächsischen wahlrechtlichen Bestimmungen, die viele Menschen mit Behinderungen automatisch vom Wahlrecht ausschließen und ihnen nicht erlauben, zu wählen oder sich wählen zu lassen.

„Betroffen sind vor allem Menschen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist. Wir wollen diese Diskriminierung noch in dieser Wahlperiode abschaffen und gleichzeitig den Zugang zu Wahlen für alle Wählerinnen und Wähler erleichtern“, erläutert Zschocke die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs.

„Aber auch Wahlverfahren und Wahlmaterialien sind derzeit so ausgestaltet, dass es nicht allen Menschen möglich ist, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Dazu zählen komplizierte Wahlbenachrichtigungen und Briefwahlunterlagen, unübersichtliche Stimmzettel und Hinweisschilder in kleiner Schrift. Auch die fehlende Barrierefreiheit der Wahlräume gehört dazu.

In den Wahlbenachrichtigungen fehlen außerdem Informationen, ob und welche Hilfestellungen es bei der Wahl gibt (z. B. Assistenz vor Ort). Von einem leichteren Zugang zu Wahlen profitieren alle Menschen in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung liegt in Sachsen zurzeit bei 25 Prozent. Die im Gesetzentwurf geforderte bessere Erreichbarkeit und Barrierefreiheit der Wahlräume kommt am Ende allen zugute.“

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können. Der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD auf der Bundesebene sieht vor, Wahlrechtsausschlüsse von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, zu beenden (Seite 95).

CDU und SPD in Sachsen haben im Koalitionsvertrag 2014 vereinbart: „Von hoher Bedeutung ist für uns ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft. Die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten ist für alle Menschen ohne jede Diskriminierung zu gewährleisten und zu fördern.“ (Seite 17). Die Staatsregierung hat im Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK angekündigt, Anpassungen für Menschen mit Behinderungen für das Landes- und Kommunalwahlrecht zu prüfen.

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können. Einschränkungen des Wahlrechts sind verfassungs- und völkerrechtlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Diskriminierende Beschränkungen des allgemeinen Wahlrechts sind stets ausgeschlossen.

Eine Reihe internationaler Gremien (das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, das Ministerkomitee des Europarates etc.) haben sich in jüngerer Vergangenheit dafür ausgesprochen, einen Ausschluss vom Wahlrecht, der aufgrund von Annahmen über kognitive Fähigkeiten von Wählerinnen und Wählern bzw. deren Mangel vorgenommen wird, als unzulässige Diskriminierung einzustufen.

Menschen, die auf Betreuung angewiesen sind, sollen nicht länger von Europa- oder Bundestagswahl ausgeschlossen werden. Eine entsprechende Wahlrechtsreform ist angekündigt – doch bisher ist auch der Bundestag hierzu kaum tätig geworden.

Mehrere Betroffene haben beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen „diskriminierende Wahlrechtsauschlüsse“ zur Bundestagswahl 2013 eingereicht. Eine Entscheidung steht noch aus.

„Es ist an der Zeit, endlich gleichberechtigte Teilhabe am Wahlrecht zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass volljährigen Staatsbürgern dieses zentrale Bürgerrecht weiterhin vorenthalten wird“, sagt Zschocke. „Betreuung bedeutet doch nicht, dass Menschen nicht entscheidungsfähig sind. Betreuung bedeutet vielmehr, dass sie Unterstützung brauchen, um Entscheidungen zu treffen.“

Der Gesetzentwurf der Grünen sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2023 alle Wahllokale barrierefrei sein müssen. Bis dahin ist eine Übergangsfrist vorgesehen, die es den Kommunen erleichtert sich vorzubereiten. Bis zum 31. Dezember 2022 wird dem Gesetz auch entsprochen, wenn mindestens ein barrierefreier Wahlraum pro Wahlkreis in zumutbarer Entfernung zu Fuß oder mit Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr erreichbar ist.

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