Seit dem gestrigen 8. Juni 2021 hat durch den Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission vom 7. Juni eine weitere sächsische Behörden-Geschichte die bundesweite Aufmerksamkeit bekommen. Durch das Sammeln von Daten über den SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig hat es das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen in die überregionale Presse geschafft. Noch am gestrigen Abend versuchte der seit 2020 amtierende LfV-Präsident Dirk-Martin Christian die Praxis seines Vorgängers Gordian Meyer-Plath zu erklären. Notgedrungenermaßen, denn erst die Selbstabfragen diverser Landtagsabgeordneter und weiterer vor allem Leipziger Personen hatten die Kugel überhaupt ins Rollen gebracht.

Vor relativ genau einem Jahr, am 30. Juni 2020 war die Amtszeit für Sachsens obersten Landesverfassungsschützer beendet. Gordian Meyer-Plath wechselte ins Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus und Innenminister Roland Wöller berief Dirk-Martin Christian als seinen Nachfolger. Damals schien es, als ob es sich um Daten von AfD-Parteimitgliedern und Abgeordneten handele, die sich Meyer-Plath zu löschen weigerte, während Wöller darauf bestand.Heute ist klar, dass es sich um weit mehr, um eine Art alltägliche Praxis gehandelt haben muss, wie auch Christian bestätigte. So seien jahrelang „nahezu zu allen Abgeordneten des sächsischen Landtages öffentlich zugängliche Informationen, ohne dass eine nachrichtendienstliche Relevanz zugrunde gelegen hätte, sowie deren personenbezogene Daten, gespeichert worden“, so die offizielle Pressemitteilung des Verfassungsschutzes am gestrigen 8. Juni.

Was noch nicht erklärt, wieso der Verfassungsschutz auch Menschen überwachte und wohl noch überwacht, die Demonstrationen in Leipzig anmelden oder sich anderweitig politisch engagieren. Seltsam auch die etwas kryptische Erklärung Dirk-Martin Christians am gestrigen Tag, wie der Verfassungsschutz so arbeitet.

So würde „jegliches Schriftgut, das im LfV eingeht, zunächst automatisch erfasst (…) und zwar unabhängig davon, ob es nachrichtendienstliche Relevanz hat und für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Diese Relevanzprüfung erfolgt – wegen der Masse der täglich eingehenden Vorgänge – im Regelfall nicht unverzüglich, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die im internen Datenverarbeitungssystem auf diese Weise automatisch gespeicherten Daten bleiben dann bis zum Abschluss einer Relevanzprüfung erhalten. Diese erfolgte bis Mitte 2020 nicht fristgemäß.“

Dies sei auch im Falle Martin Duligs so gewesen.

Woher die ganzen irrelevanten Daten stammen, wer sie an das LfV sendet und ob dies heute immer noch so ist, dass erst einmal alles über Landtagsabgeordnete gesammelt und nun vielleicht nur schneller verarbeitet wird, blieb offen. Bislang jedenfalls scheint es so, als ob hier eine Staubsaugermethode am Arbeiten ist, die noch lange kein Ende gefunden hat. Wenig verwunderlich wäre jedoch bei dieser Art der Befassung die mangelnde Analysefähigkeit des Dienstes in den extremistischen Bereichen der Gesellschaft.

Zur Güte der dennoch festgehaltenen, also offenbar nicht gelöschten Daten, können nun am ehesten jene etwas sagen, die in den vergangenen Monaten seit 2020 eine Datenabfrage gemacht haben und so im Rahmen des bestehenden Auskunftsrechtes für jedermann erfuhren, was die Schlapphüte so alles zu interessieren scheint. Und von unterschriebenen Aufrufen über Demonstrationsanmeldungen bis hin zu privaten Konzertbesuchen scheint alles dabei zu sein, was irgendwie links aussieht.

Die LZ hat in diesem Zusammenhang noch am gestrigen Abend die Presseanfrage ans LfV gerichtet, ob bei den angeblich flächendeckenden Sammlungen über gewählte Parlamentarier jemals ein Vertreter der CDU dabei gewesen ist oder nicht. Wenn nein, handelt es sich demnach um eine Beobachtung politischer Konkurrenten der Christdemokraten. Wenn ja, macht es den Skandal nicht kleiner.

Unter dieser Adresse kann man automatisch die Abfragen an verschiedene Behörden (LKA, BKA, Verfassungsschutz etc.) generieren.

Bis die Antworten eintreffen, geht es hier ab etwa 9 Uhr zum Livestream der heutigen Pressekonferenz der ersten Betroffenen in Leipzig auf der LZ-Facebookseite.

Mitschnitte der PK vom 9. Juni 2021

vlnr. Jürgen Kasek, Rechtsanwalt (Stadtrat B90 / Die Grünen), Irena Rudolph-Kokot (SPD), Marco Böhme (Die Linke, MdL) und Christin Melcher (B90 / Die Grünen, MdL). Video: LZ

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