Es ist eine seit langem bestehende Tradition, dass das Hochschulsinfonieorchester (HSO) jährlich ein Gewandhauskonzert gibt – und zwar anlässlich des Todestages von Konservatoriumsgründer und Hochschulnamenspatron Felix Mendelssohn Bartholdy. Er starb am 4. November 1847 – also vor 175 Jahren.

Daher steht am Beginn des Programms ein Werk Mendelssohns – seine Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“. Sie entführt mit sanftem Wellenspiel in die Welt der Nixe Melusine und enthält dabei manch verblüffende Ähnlichkeit mit Wagners „Rheingold“-Vorspiel.

Die Wirkungsstätte von Thierry Escaich ist Paris. Schon als Student wurden ihm am dortigen Conservatoire acht erste Preise bei Abschlussprüfungen zuerkannt sowie Auszeichnungen bei weiteren internationalen Kompositions- und Improvisationswettbewerben. Seit 1992 ist er Professor an seiner einstigen Ausbildungsstätte und seit 1996 Titularorganist an der Kirche St. Étienne-du-Mont.

Außerdem ist er Konzertorganist und Komponist. Er schrieb über 100 Werke verschiedenster Genres, u.a. auch zwei Opern und ein Ballett. Zu seinem Stil sagte er in einem Interview: „Ich liebe den Groove! Aber die Rhythmen, die ich nutze, sind keineswegs einfach, sondern sehr komplex. Meine Musik hat manchmal eine dunkle Seite, romantisch, sehr intensiv, bis hin zum Atonalen.“ Er gilt als großer Klangerfinder, der sein Publikum ebenso durch mitreißende Rhythmik begeistert.

Zunächst erlernte er das Akkordeon-Spielen. Seinen ersten Kontakt mit einer großen Orgel, nämlich mit keiner geringeren als der von Notre-Dame, hatte er etwa im Alter von 18 Jahren. Dazu äußerte Escaich: „Als ich anfing, dachte ich, ich steuere einen Jumbojet, so überwältigend war das Gefühl! Seither weiß ich: Die Orgel ist ein ganzes Orchester.“

Escaichs Konzert Nr. 3 für Orgel und Orchester mit dem Titel „Quatre visages du temps“ („Vier Gesichter der Zeit“) aus dem Jahr 2017 wurde am 18. Juli des genannten Jahres in Kanazawa (Japan) uraufgeführt und das erste Mal in Deutschland 2019 mit der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast Dresden.

Mit den vier Sätzen des Werkes nimmt Escaich Bezug auf vier unterschiedliche musikgeschichtliche Gegebenheiten, wie die Passacaglia, die Harmonik von Vivaldi, den Walzer aus der Zeit des zweiten französischen Kaiserreiches ab Mitte des 19. Jahrhunderts (wobei der Tanz mit seinem eigenen verzerrten Spiegelbild kämpft), während der letzte Satz auf dem Zusammenspiel zwischen Orgel und Schlagwerk in Form eines rhythmischen populären Tanzes basiert.

15 Jahre lang rang Johannes Brahms mit seiner 1. Sinfonie. Bekannt ist sein resignierender Ausruf gegenüber seinem Freund, dem Dirigenten Hermann Levi: „Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört!“ Mit diesem Riesen war Beethoven gemeint, der mit seinen Sinfonien neun musikalische Monumente gesetzt hatte.

So urteilte Brahms über diese musikalische Gattung: „Mit der Sinfonie ist heutzutage nicht zu spaßen.“ 1877, ein Jahr nach Vollendung des Brahms’schen Erstlings, lag jedoch bereits die 2. Sinfonie vor. Sie entstand in Pörtschach am Wörther See in einem unbeschwerten Sommerurlaub.

Dazu der Komponist: „[…] der Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, daß man sich hüten muß, keine zu treten.“ Anfang Oktober bezeichnete er sein Werk gegenüber dem Verleger Simrock als „das neue liebliche Ungeheuer“. Außerdem zitierte er den Komponisten Otto Dessoff (dieser studierte 1851 bis 1854 am Leipziger Konservatorium), der behauptet hatte, Brahms „hätte noch nie so was Schönes geschrieben“.

Organistin Mona Rozdestvenskyte. Foto: privat

Auch die Allgemeine musikalische Zeitung attestierte dem Werk „einen helleren, freundlicheren und weicheren Ton, als wir sonst von Brahms zu hören gewohnt sind“. Doch einige Schatten liegen ebenso über dem Werk. Brahms empfand sich selbst als einen melancholischen Menschen und meinte mit einer gewissen Portion Ironie: „Die neue Sinfonie ist so melancholisch, daß Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so etwas Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen.“

Insgesamt überwiegt jedoch eine heitere Grundstimmung – ganz in dem Sinne, wie der Mediziner Theodor Billroth (auch ein Freund von Brahms) urteilte: „Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellenrieseln, Sonnenschein und kühler grüner Schatten! Am Wörther See muß es doch schön sein.“

Die Organistin Mona Rozdestvenskyte wurde 1994 in Moskau geboren. 2012 begann sie mit dem Studium der Kirchenmusik an der Hochschule für Musik Detmold, wo sie 2018 ihren Master absolvierte. Seit Oktober 2020 studiert sie in der Meisterklasse von Prof. Dr. Martin Schmeding an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig.

Sie gewann erste Preise bei internationalen Orgelwettbewerben und konzertierte im In- und Ausland (USA, Österreich, Schweiz, Polen, Spanien, England und im Baltikum). Seit Februar 2021 ist sie neben ihrem Studium als Regionalkantorin an der Propsteikirche St. Johann in Bremen tätig.

Karten zu 14 € zzgl. VVK-Gebühr, Ermäßigung für Berechtigte an der Gewandhauskasse unter Tel. 0341/1270-280

Samstag, 29.10.2022, 20.00 Uhr, Gewandhaus zu Leipzig, Augustusplatz 8, Großer Saal
Sinfoniekonzert
Hochschulsinfonieorchester
Leitung: Prof. Matthias Foremny
Mona Rozdestvenskyte – Orgel (Meisterklasse Prof. Dr. Martin Schmeding)

Programm:
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Konzertouvertüre zum Märchen von der schönen Melusine
Thierry Escaich (* 1965): „Quatre visages du temps“ – Konzert Nr. 3 für Orgel und Orchester (2017)
Johannes Brahms (1833-1897): 2. Sinfonie D-Dur op. 73

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