Die Antwort auf die Frage, wieviele Stellen mit Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro in Sachsen verloren gehen, hat Sven Morlok am 20. August in seinen Antworten an Dr. Dietmar Pellmann gegeben: Tatsächlich weiß es keiner. Auch Sven Morlok nicht. Auch die Frage, wie sich der Mindestlohn auf die Zahl der Hartz-IV-Aufstocker auswirkt, kann er nicht beantworten.

Aber um der Antwort auszuweichen, erklärt er, die Aussage wäre auf eine Art Bewertung gerichtet. Und dazu sei die Staatsregierung nicht verpflichtet. Tatsächlich bleibt seine Aussage bei der vagen Vermutung: “Der Mindestlohn soll nach aktuellen Studien bundesweit Arbeitsplätze gefährden.”

Die Studien, die er benennt, sind einerseits solche des ifo Instituts – und andererseits das Frühjahrsgutachten 2014 der deutschen Wirtschaftsinstitute. Aber da wird es ganz spannend. Deswegen heben wir uns das fürs Ende des Artikels auf.

In ihrem “Gutachten” vom 18. August haben die sechs ifo-Rechner jedenfalls zwei Rechenmodelle angewendet. Ein “Standardmodell”, bei dem sie davon ausgehen, dass 5,2 Prozent aller Arbeitsplätze der untersuchten Branchen in Folge der Einführung des Mindestlohns verloren gehen. Dabei kommen sie dann auf die Zahl, die Sven Morlok auf 60.000 aufgerundet hat: genau 59.316.

Dabei gäbe es die höchsten Verluste von 6,8 und 6,6 Prozent im Erzgebirgskreis und in der Sächsischen Schweiz / Osterzgebirge. Das hat Sven Morlok auch so herausgelesen. Der Grund dafür ist das sowieso schon niedrigere Einkommensniveau der vor allem von Landwirtschaft und Tourismus geprägten Landkreise.

In den Großstädten wären die Auswirkungen augenscheinlich deutlich geringer. In Dresden wären nach diesem Modell 4,7 Prozent der Arbeitsplätze bedroht, in Leipzig sogar nur 3,8 Prozent. Was für Leipzig den Verlust von 6.044 Arbeitsplätzen bedeuten würde.

Was auch schon wieder falsch formuliert ist, denn solche Effekte, dass Unternehmen schließen, weil sie unrentabel sind, oder Arbeitsplätze wegfallen, weil Betriebsabläufe gestrafft werden, passieren ständig. Sie sind genauso ein Normalzustand im Wirtschaftsleben wie das Entstehen immer neuer Unternehmen und Geschäftsmodelle. Normalerweise – wir erinnern hier an eine der strengsten Regeln aus dem Mathematik-Unterricht – wäre hier eine Gegenrechnung fällig: Wieviele neue Arbeitsplätze entstehen eigentlich mit der Einführung des Mindestlohns?

Mal ehrlich? – Die Rechnung fehlt. Komplett. Denn die Aufträge, die die derzeit noch mit Niedriglöhnen operierenden Unternehmen ausführen, müssen ja dann neu verteilt werden und werden – wenn sie wirtschaftlich notwendig sind – von anderen Unternehmen zwangsläufig übernommen. Und die müssen dann in der Regel wieder neue Leute einstellen.Aber auch die ifo-Leute nehmen nicht an, dass so ein reines Verlustmodell passieren wird. Sie gehen eher davon aus, dass eine Art “Marktmachtszenario” zum Tragen kommt: ein Modell, das eben berücksichtigt, dass in einer Branche nicht nur lauter Niedriglohnfirmen unterwegs sind und die Konkurrenz nur darauf wartet, die Aufträge zu übernehmen. Dann schwächt sich der vom ifo Institut errechnete Arbeitsplatzverlust von 5,2 Prozent auf 2,7 Prozent ab und es sind aus ifo-Sicht nur noch 30.515 Arbeitsplätze in Sachsen gefährdet. In Leipzig zum Beispiel statt über 6.000 nur noch 2.918.

Das Erstaunliche so nebenbei: Auch der Freistaat Sachsen taucht in der ifo-Tabelle als Dumpinglohn-Anbieter auf. Nach der ifo-Rechnung müsste sich der öffentliche Dienst in Sachsen überlegen, wie er mit den 960 Jobs umgeht, die mindestens von der Mindestlohnregelung betroffen wären.

Und was haben nun die deutschen Wirtschaftsinstitute im Frühjahr zu dem Ganzen gesagt? – Wenn man Sven Morloks Antwort liest, müssten sie eigentlich dasselbe gesagt haben wie das ifo Institut in Dresden. Haben sie aber nicht. Im Gegenteil.

“Unter Berücksichtigung des Mindestlohneffekts wird das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 voraussichtlich um 2,0 Prozent expandieren”, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose. “Dazu trägt auch die im Vergleich zu 2014 höhere Zahl von Arbeitstagen bei, arbeitstäglich bereinigt dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,8 Prozent zunehmen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich auf 1,8 Prozent beschleunigen; davon dürften 0,2 Prozentpunkte auf die Überwälzung des durch den Mindestlohn induzierten Lohnanstiegs zurückzuführen sein. Die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt wohl leicht um 18.000 Personen steigen, die Arbeitslosenquote bleibt bei 6,7 Prozent. Die Finanzpolitik ist leicht expansiv ausgerichtet. Der Budgetüberschuss des Staates wird auf 14 Mrd. Euro bzw. 0,5 Prozent in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt zunehmen.”

Da müssen wir noch einmal in die Rechentabelle des ifo Instituts schauen, das für ganz Deutschland einen Arbeitsplatzverlust von sage und schreibe 575.176 Stellen errechnet hat (Standardmodell) oder in der Marktmachtvariante 246.951 Stellen.

Das ist eine ganz andere Dimension als die 18.000 Stellen bundesweit, die die Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose ermittelt haben. Wenn diese Zahl zutrifft, wird es auf Sachsen heruntergebrochen nicht 29.000 Stellen Verlust geben, sondern nur rund 2.200. Das wären dann wirklich die Stellen, die nur deshalb funktionieren, weil sie der Staat subventioniert.

Der wirtschaftliche Effekt des Mindestlohnes aber ist positiv und trägt auch noch zum Wirtschaftswachstum bei, was neoliberale Denkmodelle einfach negieren, denn natürlich legen die betroffenen Unternehmen die Löhne auf die Preise um, was in einer Niedrigzinsphase, wie wir sie derzeit haben, sogar die Wirtschaftsforscher freut, weil das wieder die gewohnte Inflationsrate von 1,8 Prozent ergibt. Und es gibt noch den Zusatzeffekt, dass die Steuereinnahmen steigen.

Es spricht also Vieles dafür, dass das ifo Institut in Dresden wieder nur ein Gefälligkeitsgutachten produziert hat, das die meisten Faktoren rund um die Einführung des Mindestlohnes einfach ausblendet. Das ist keine belastbare Grundlage für eine sinnvolle Wirtschaftspolitik.

WiWi-Treff zum Frühjahrsgutachten: www.wiwi-treff.de/home/index.php?mainkatid=1&ukatid=9&sid=9&artikelid=7398&pagenr=2

Die Präsentation zum ifo-Gutachten als PDF zum Download.

Die beiden Kleinen Anfragen Drs.14826 und Drs.14827 als PDF zum Download.

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