Die Grünen glauben ja tatsächlich, man könnte die sächsische Regierung in Sachen Klimapolitik aufwecken, wachtuten, endlich zum Jagen tragen, nachdem in Paris nun tatsächlich einmal Weichen gestellt wurden und das Bundeskabinett am 14. November den Klimaschutzplan 2050 beschloss. Denn der bedeutet eigentlich das Aus für die sächsische Kohlepolitik.

Selbst das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit betont (nachdem es beinah noch ausgebremst worden wäre): „Es ist das erste Regierungsdokument, das den Weg in ein weitgehend treibhausgasneutrales Deutschland im Jahr 2050 aufzeigt.“

Treibhausgasneutral heißt: Schluss mit Verfeuern fossiler Brennstoffe. Bis 2050. Dann hat Deutschland entweder eine durch Erneuerbare Energien gedeckte Energiebilanz – oder das Land hat sich aus dem Kreis der Industrienationen verabschiedet. Es gibt keine Wahl. Und das liegt nicht nur am Klima, das der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten heftige Katastrophen und wirtschaftliche Billionen-Schäden bescheren wird. Das liegt auch daran, dass für alle bislang so freizügig verbrauchten Brennstoffe – vom Öl über das Erdgas bis zum Uran – in den nächsten Jahren der Peak kommt, der Zeitpunkt, ab dem die Förderung sinkt, weil sich die Abbaustätten erschöpfen und die verbleibenden Reserven nur noch teuer und mit sehr hohem technischem Aufwand zu erschließen sind.

Und auch die Kohlelagerstätten reichen nicht mehr wirklich weit, vielleicht noch bis ins nächste Jahrhundert.

Aber eigentlich muss die Kohle im Boden bleiben, wenn die Menschheit eine Chance haben will, mit den Klimafolgen überhaupt noch zurechtzukommen.

Da schüttelt dann Gerd Lippold, energie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, nur den Kopf, wenn der Ministerpräsident so tut, als könne er die sächsische Braunkohle einfach mal durch einen Federstrich aus dem Klimaschutzplan verschwinden lassen.

„Wurde der Kohleausstieg im gestutzten Klimaschutzplan 2050 vertagt? Weit gefehlt! Er wurde durch politische Kohleprotagonisten nur gesichtswahrend versteckt. Der Kohleausstieg kommt auch in Sachsen. Die vereinbarten Sektorziele des Planes machen ihn unvermeidlich. Die Menschen in den Revieren haben aber ein Recht darauf, dass ihnen die Landes- und Bundespolitik reinen Wein einschenkt“, kommentiert Lippold diese ganz spezielle sächsische Ignoranz. „Herrn Tillich und seiner CDU ist es aber offenbar wichtiger, dass die Leute glauben, man hätte das in Sachsen irgendwie im Griff mit einer eigenständigen Kohlepolitik. Deshalb war ihnen auch dieser Satz im Entwurf des Klimaschutzplans, dass es keine neuen Tagebaue und Kohlekraftwerke mehr geben werde, weil das angesichts der langen Investitionszyklen enorme volkswirtschaftliche Kosten durch Fehlinvestition bedeuten würde, das allergrößte Ärgernis.“

Am 8. November hatte sich dann auch noch CDU-Generalsekretär Kretschmer über Twitter gefreut, Tillichs Einsatz hätte sich gelohnt, das Verbot von Tagebauerweiterungen und Kraftwerksbau seien raus aus dem Klimaschutzplan.

„So sehr sich an diesem Satz politisch die Geister scheiden, so unbedeutend ist er angesichts der harten Zahlen. Dort zeigt sich nämlich, dass Tillich und Woidke überhaupt nichts an der Gesamtaussage geändert haben, als sie diesen Satz heraushebelten“, sagt Lippold. Dietmar Woidke (SPD) ist der Ministerpräsident im benachbarten Brandenburg, der in Sachen Braunkohle dasselbe Spiel spielt wie Tillich in Sachsen. Als könne man einfach so an den Kohletagebauen und Kohlekraftwerken festhalten und damit irgendwie einen Wirtschaftszweig erhalten, gegen alle Entwicklungen.

„Dass es keine neuen Tagebaue und keine neuen Kohlekraftwerke mehr geben wird, steht natürlich trotzdem weiter im Klimaschutzplan. Nicht in den Worten dieses gestrichenen Satzes, aber noch viel klarer in der Segmentzieltabelle für 2030“, so Lippold. „Die dort festgelegten rund 180 Mio. t CO2 in der Energiewirtschaft bedeuten immerhin innerhalb von 14 Jahren eine Reduzierung um rund die Hälfte gegenüber heute und damit genau das: es wird keine neuen Tagebaue und keine neuen Kraftwerke mehr geben. Im Gegenteil: der Pfad zu 180 Mio. t in 2030 führt zwingend dazu, dass etwa die Hälfte der heute bereits zum Abbau genehmigten Kohle dauerhaft im Boden bleiben wird. Wer in Sachsen trotzdem noch die Zwangsumsiedelung von Menschen vorantreiben will, der tut es definitiv nicht im Gemeinwohlinteresse.”

Tatsächlich hat der Ausstieg ja längst schon begonnen, auch wenn es eher ein Freikaufen ist, wenn die Stromkunden das Abschalten der ersten Kraftwerksblöcke über den Strompreis bezahlen. Die abgestellten Meiler landen dann in der sogenannten „Kapazitätsreserve“, werden also noch ein paar Jahre eingemottet und stünden vielleicht wieder zum Hochfahren bereit – falls irgendein Wunder passiert. Für den Notfall stehen sie nicht bereit. Dazu dauert das Anfahren von Kohlekraftwerken viel zu lange. Wenn jetzt jedes Jahr weitere Kraftwerksblöcke in die „Reserve“ verschoben werden, kann das Ergebnis genau das sein, das als Zahl im Klimaschutzplan der Bundesregierung verankert ist: Eine CO2-Halbierung bis 2030.

„Hat es die sächsische CDU nicht gemerkt, dass der Kohleausstieg sehr wohl im Klimaschutzplan steht oder hat sie es gemerkt, ist aber froh, dass es nun etwas versteckter formuliert ist, damit man in den eigenen Reihen nicht das Gesicht verliert? Oder weiß man am Ende vielleicht sogar ganz genau, was dort steht und hofft insgeheim auf politische Konstellationen, die in Zukunft Vertragsbrüche und brachiale Verantwortungslosigkeit gegenüber den kommenden Generationen wieder denkbar und möglich machen?“, fragt Lippold. „Klar ist zunächst nur, dass die sächsische CDU wieder einmal den Beweis abgeliefert hat, der Realität hinterherzuhinken. Diesmal sogar mindestens zwei Schritte. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sprechen inzwischen über das ‚Wie‘ beim Ende der Kohleära. Schon mit den Zahlen im jetzigen Klimaschutzplan werden bereits genehmigte Tagebaue nicht mehr ausgekohlt. Die Ziele im Klimaschutzplan werden spätestens 2018 nachgeschärft, denn sie liegen noch nicht auf dem Pfad der Paris-Ziele. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Und da mag sich die Sachsen-CDU die Option offenhalten, noch neue Tagebaue aufzureißen!“

Denn der Zielwert bis 2050 lautet: 80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgasemissionen. Das bedeutet einen kompletten Umbau unserer Energiebasis – mit mehr erneuerbaren Kapazitäten, leistungsfähigeren Trassen und vor allem viel mehr Speichermöglichkeiten. Das Problem sind nicht mal die Kohlekraftwerke, die schon heute an der Rentabilitätsgrenze sind. Wenn sie aber keine Gewinne mehr erwirtschaften, werden die Betreiber sie zwangsläufig selbst vom Netz nehmen. Das Problem ist eher die Bremser-Politik der sächsischen Regierung beim Ausbau von Windkraftanlagen und Speichern. Da müsste ein Hauptaugenmerk der Energiepolitik liegen.

Versteckspiel, nennt es Gerd Lippold. „Ein real existierender Konflikt geht nicht wirklich weg, wenn man ihn verschleiert oder jedes Gespräch darüber zum Tabu erklärt. Dieses Versteckspiel bringt Sachsen nicht weiter und gefährdet die Glaubwürdigkeit der verantwortlichen Politiker.“

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