282.000 Arbeitskräfte werden in Sachsen fehlen im Jahr 2030 verglichen mit heute, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher. Das ist eigentlich das zentrale Ergebnis der „Projektion der Arbeitskräftenachfrage in Sachsen und dessen Regionen bis 2030“, die die Arbeitsagentur Sachsen am Montag, 7. Mai, vorgelegt hat.

Hauptgrund: die Demografie. Die Zahl der Erwerbsfähigen im Alter von 15 bis 65 Jahre wird von 2.511.982 (2016) auf 2.184.500 sinken. Zumindest, wenn die Zahlen der Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes so eintreffen. Es stehen also rund 327.000 Menschen weniger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Zwar wird auch die Arbeitskräftenachfrage abnehmen – aber nicht so stark, weil gerade einige arbeitsintensive Branchen sogar noch weiter Beschäftigung aufbauen.

„Nach der Projektion der Arbeitskräftenachfrage waren im Jahr 2016 in Sachsen rund 1,725 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig und ausschließlich geringfügig beschäftigt. Bis 2030 werden laut der Projektion rund 45.800 weniger Arbeitskräfte in Sachsen nachgefragt als im Jahr 2016. Dies entspricht einem Rückgang von 2,7 Prozent auf 1,679 Millionen Arbeitskräfte“, kann man in der 27-seitigen Broschüre lesen.

Das heißt: Es reißt eine Riesenlücke von rund 280.000 Arbeitsplätzen auf, von denen heute noch niemand sagen kann, wie die besetzt werden sollen. „Den Unternehmen aller Regionen wird es zunehmend schwerer fallen, die Fachkräftebedarfe zu decken. Das Arbeitskräfteangebot und die -nachfrage erreichen 2030 eine für Sachsen nie dagewesene Relation“, formuliert die Landesarbeitsagentur.

Und dabei steckt Sachsen noch mittendrin im Aufbau von Beschäftigung: Von 2007 bis 2016 sind in Sachsen 168.000 zusätzliche Jobs entstanden. Damit ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf einen neuen Rekordwert geklettert. Auch mit dem Blick auf die Zukunft entwickelt sich die Beschäftigung positiv, so die Arbeitsagentur.

So soll es bis zum Jahr 2019 einen anhaltenden Beschäftigungsanstieg geben – vorausgesetzt, Betriebe finden geeignete Mitarbeiter. Ab 2020 könnte die Nachfrage der Unternehmen leicht abnehmen, so dass die Beschäftigung bis zum Jahr 2030 auf das Niveau von 2016 zurückgeht.

Aber die Analyse zeigt noch einen zweiten Effekt: Es sind vor allem die Vollzeit-Stellen, deren Zahl wächst, während der Anteil der geringfügig Beschäftigten überall in Sachsen sinkt.

Und wo wird Arbeit aufgebaut?

Die meisten zusätzlichen Arbeitskräfte werden im Gesundheits- und Sozialwesen entstehen. Hier geht man von einem Zuwachs der Arbeitskräftenachfrage um 13,8 Prozent aus. Das entspricht 32.000 zusätzlichen Jobs. Hohe Arbeitskräftebedarfe werden auch für den Bereich Erziehung und Unterricht prognostiziert. Hier könnten von 2016 bis 2030 13.500 zusätzliche Jobs entstehen (plus 16,1 Prozent). Eine geringere Arbeitskräftenachfrage könnte es in Sachsen im Baugewerbe, im Bereich Handel/Instandhaltung von Kfz sowie in der öffentlichen Verwaltung geben.

Und dann wird es etwas konkreter. Denn in der Arbeitsagentur hat man ja mitbekommen, dass Sachsen längst auseinanderdriftet. Während in den ländlichen Regionen weiter Arbeitsplätze verschwinden, konzentriert sich der Beschäftigungsaufbau vor allem auf zwei Regionen.

Zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs würden nach Aussagen der wissenschaftlichen Studie im Raum Leipzig und Dresden entstehen. So könnten von 2016 bis 2030 in Westsachsen 27.900 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse entstehen und in der Arbeitsmarktregion Oberes Elbtal und Osterzgebirge bis zu 4.700 Jobs. In Südwestsachsen und in der Arbeitsmarktregion Oberlausitz-Niederschlesien könnte die Arbeitskräftenachfrage abnehmen.

Aber da tauchen schon die Probleme dieser Projektion auf. Denn sie kann nur mit den Daten der letzten Jahre arbeiten. Und da war so einiges auf Sachsens Arbeitsmarkt schief.

Für die Region Westsachsen wird z. B. das hier prognostiziert: „In der Projektion von 2016 bis 2030 wird von dem größten Nachfrageanstieg bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in den Branchen Erziehung und Unterricht (um rund +5.600 Personen bzw. +25,7 Prozent), Verkehr und Lagerei (um rund +7.100 Personen bzw. +22,9 Prozent) sowie freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen (um rund +5.400 Personen bzw. +22,0 Prozent) ausgegangen.“

Das ist – verglichen mit dem seit 2007 registrierten Wachstum – recht wenig. Denn da sah das Ganze für Westsachsen so aus: „Von 2007 bis 2016 ist die Zahl der Beschäftigten insgesamt (sozialversicherungspflichtig und ausschließlich geringfügig Beschäftigte) in der Region Westsachsen von 395.267 auf 446.185 gestiegen (+50.918 Personen bzw. +12,9 Prozent). Der Beschäftigungszuwachs ist auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zurückzuführen (+69.653 Personen bzw. +21,3 Prozent). Die ausschließlich geringfügige Beschäftigung ist im gleichen Zeitraum um 19.548 Personen bzw. 30,6 Prozent gesunken.“

Und das schlägt sich auch in der Projektion nieder: „Westsachsen ist die einzige Region in Sachsen in der die Arbeitskräftenachfrage insgesamt bis 2030 gegenüber 2016 steigen wird (um rund +21.500 Personen bzw. +4,8 Prozent).“

Wie schwierig die Projektion ist, zeigt dann die Prognose für den Arbeitskräfterückgang in einzelnen Branchen: „Der anteilig größte Nachfragerückgang nach sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in den TOP 10 Branchen wird für das Baugewerbe mit 15,9 Prozent (um rund -4.100 Personen) erwartet, an zweiter Stelle kommt der öffentliche Dienst mit einem Rückgang von 10,3 Prozent (um rund -2.200 Personen) und an dritter Stelle das Verarbeitende Gewerbe mit 5,6 Prozent (um rund -2.900 Personen).“

Warum sollte gerade in der Baubranche mit ihren vollkommen ausgelasteten Kapazitäten die Fachkräftenachfrage zurückgehen? Und warum ausgerechnet im Öffentlichen Dienst, der heute in allen Bereichen überaltert ist und diese Altersabgänge in den nächsten Jahren mit massiven Neueinstellungen kompensieren muss? Computer oder Roboter werden diese Arbeit nicht machen, egal, was uns die Phantasten erzählen.

Tatsächlich zeigt die Arbeitsagentur mit der Projektion, wie schwierig es ist, überhaupt die Bedarfe der näheren Zukunft zu ermitteln. Aber eines macht sie sehr deutlich sichtbar: Dass die Wirtschaft des Freistaats in ein riesiges Problem des Fachkräftemangels hineinsteuert.

„Fachkräftesicherung, Demografie und Digitalisierung sind die aktuellen und auch künftigen Herausforderungen in Sachsen. Diese werden wir gemeinsam mit der Politik, Verwaltung, Gewerkschaft und dem Land Sachsen anpacken – denn große Dinge macht man gemeinsam“, erklärt Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA), zur vorgelegten Projektion.

„Die Beschäftigungsprojektion für Sachsen ist dafür eine Diskussionsgrundlage, die Chancen und Risiken für Branchen und Regionen darstellt. Damit werden wir gute Lösungen für Sachsen erarbeiten und gemeinsam helfen, dass es den Menschen und Unternehmen auch in Zukunft gut geht. Sachsen ist ein Land in dem es sich gut leben und arbeiten lässt. Das soll auch so bleiben.“

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