Ein paar Klicks genügen, und man ist mitten in den sächsischen Debatten um eine Krisenindustrie, die gerade die größte Transformation ihrer Geschichte vor sich hat: die Automobilindustrie. Im Januar und Februar diskutierten Wirtschaftskammern und Politiker heftig darüber, wie man den Strukturwandel im Automobilbau auffangen könnte. Da war von irgendwelchen Corona-Einschränkungen noch gar keine Rede. Die Autobauer sind nicht erst mit dem Export-Einbruch durch Corona in schweres Fahrwasser geraten.

Es ist im deutschen Automobilbau eigentlich genauso wie in der Energiewirtschaft: Man hat die Chance, den überfälligen Strukturwandel auch in Produktionslinien umzusetzen, über Jahre verschoben, vertrödelt und ausgesessen. Hat lieber bei den Abgaswerten getrickst und so getan, als seien die EU-Vorgaben für die Abgaswerte eine Zumutung und nicht die nötige Weichenstellung hin zu einer umweltfreundlicheren Mobilität.

Und die verschreckten Regierungen in Berlin machten das Spiel immer mit, gedeckt durch CSU-Verkehrsminister, denen die Autowerke in Bayern immer wichtiger waren als Klima und Umwelt. Und immer noch wichtiger sind. Jetzt fordert der bayerische Ministerpräsident unbedingt noch eine zweite Abwrackprämie, weil er hofft, die möglichen Autokäufer würden nach Corona vielleicht doch noch ihr altes gegen ein neues Auto wechseln wollen.

Aber der Schuss könnte gewaltig nach hinten losgehen. Und die noch immer im 20. Jahrhundert beheimateten Autobosse in ihrem Glauben bestärken, sie könnten noch ein paar Jahre so weitermachen wie bisher.

Wobei es schon längst nicht mehr alle Automanager betrifft. Die Klügeren haben den Umbau ihrer Produktion längst begonnen, wissend darum, dass das auch vor den Beschäftigten nicht Halt machen wird.

Das hat jetzt die Sächsische Arbeitsagentur einmal beleuchtet.

Denn dort zweifelt man ganz und gar nicht daran, dass die Produktion von umweltfreundlichen Autos mit deutlicher Verringerung des CO2-Ausstoßes nicht nur eine Zielvorgabe der EU ist, sondern dass sie sächsischen Autobauer auch daran arbeiten, es anzuvisieren. Ein Teil der Automobilhersteller in Sachsen stellt daher die Produktion deshalb seit einer Weile ganz oder teilweise auf Elektrofahrzeuge um.

Produktion deutscher Autobauer im In- und Ausland. Grafik: Arbeitsagentur Sachsen / IAB
Produktion deutscher Autobauer im In- und Ausland. Grafik: Arbeitsagentur Sachsen / IAB

Das hat aber auch Auswirkungen auf beteiligte Zuliefer- und Logistikunternehmen und die Mitarbeiter selbst, an die nun neue Anforderungen gestellt werden. Der aktuelle Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Sachsens befasst sich mit dem Strukturwandel Elektromobilität und betrachtet dabei im Besonderen Beschäftigungseffekte innerhalb der automobilen Wertschöpfungskette.

Durch den Beschluss von Europäischem Parlament und Europäischem Rat vom März 2019 über die Reduktion von Treibhausgasen sowie der Grenzwerte für den CO2-Ausstoß bei Autos ist die Fahrzeugindustrie unter Druck. Am umweltfreundlichsten und wirtschaftlichsten ist nach Aussage des Umweltbundesamtes die Nutzung des elektrischen Antriebes.

Elektrofahrzeuge sind somit das Mittel der Wahl. Der veränderte Aufbau der elektrisch betriebenen Fahrzeuge hat neben der Umstellung der Produktion beim Hersteller selbst Auswirkungen auf Zuliefer- und Logistikstrukturen: Bauteile entfallen, müssen modifiziert werden oder kommen neu hinzu. Die gesamte automobile Wertschöpfungskette ist betroffen.

Mögliche Auswirkungen des Strukturwandels auf die Beschäftigung in Sachsen

Die Beschäftigtenzahlen in der Automobilindustrie in Sachsen sind in den letzten 12 Jahren um 39 Prozent angewachsen. Derzeit sind in Sachsen rund 100.300 Menschen in der Automobilindustrie und den dazugehörigen Zulieferbranchen tätig. Vor 12 Jahren waren es noch rund 72.000 Beschäftigte. Durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge erwarten die meisten bisherigen Studien zukünftig einen Personalabbau. Begründet wird die Annahme durch die geringere Komplexität des Fahrzeugaufbaus, vorrangig beim Antriebsstrang.

Das heißt, je höher der Anteil batterieelektrischer Autos in der Produktion eines Herstellers ist, desto geringer wird dessen Personalbedarf bei unverändertem Produktionsvolumen. In Sachsen hat das Thema Elektromobilität eine besondere Relevanz, weil hier zukünftig überproportional viele elektrisch betriebene Autos produziert werden sollen. Das VW-Werk in Zwickau stellt dabei die Produktion vollständig auf batterieelektrische Fahrzeuge um. Aber auch Porsche und BMW bauen in Leipzig E-Mobile.

Das IAB Sachsen hat 30 von der Umstellung auf Elektromobilität betroffene Wirtschaftszweige identifiziert und hinsichtlich der Chancen und Risiken auf Umsatz und Beschäftigung in Sachsen untersucht. Für sechs dieser Wirtschaftszweige bestehen Risiken (Beitrag zum Endprodukt Auto sinkt), für neun Chancen (erhöhter Anteil) und für 15 ergeben sich keine oder nur geringe Änderungen hinsichtlich der Entwicklung. Ungefähr die Hälfte der sächsischen Beschäftigten arbeiten dabei in Wirtschaftszweigen, die von größeren Anpassungen in der Produktion betroffen sein werden.

„Die Beschäftigtenzahlen in der sächsischen Automobilindustrie legen jedoch nahe, dass sich in den vergangenen Jahren bereits an den Trend Elektromobilität angepasst wurde: So zeigt sich ein Beschäftigungswachstum in chancenbehafteten Wirtschaftszweigen wie z. B. der Herstellung von Batterien und Akkumulatoren sowie elektrischen Mess-, Kontroll- und Navigationsinstrumenten.

Ein geringeres Beschäftigungswachstum bzw. sogar ein Beschäftigungsabbau ist hingegen in risikodominierten Wachstumszweigen wie der Herstellung von Verbrennungsmotoren, Pumpen und Kompressoren sowie Mechanik festzustellen. Zugleich gibt es aber weitere Einflussfaktoren auf die zukünftigen Beschäftigtenzahlen in der Automobilindustrie, wie die Digitalisierung, autonomes Fahren oder neue Mobilitätsmuster, was letztendlich keine zuverlässige Prognose der Beschäftigtenzahlen zulässt“, sagt Uwe Sujata, Mitautor der Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Sachsen.

Die Frage nach den künftigen Absatzzahlen

Sicher ist aber, dass sich die Anforderungen an die Beschäftigten verändern. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Automobilhersteller müssen für veränderte bzw. neue Aufgaben qualifiziert werden, betont die Arbeitsagentur Sachsen und weist auf die vorhandenen Weiterbildungsmodelle hin.

Was die IAB-Erhebung freilich auch zeigt, ist ein Effekt, der überhaupt nichts mit neuen Antriebstechnologien zu tun hat. Denn die Zulassungszahlen für in Deutschland hergestellte Automobile stagnieren seit Jahren. Und nicht nur der deutsche Markt ist weitgehend gesättigt. Die Exporte deutscher Autobauer gehen ja auch deshalb zurück, weil auch wichtige Auslandsmärkte gesättigt sind, sodass seit 2017 die Produktionszahlen im Pkw-Bau weltweit sinken.

Das E-Auto schafft keine neuen Absatzmärkte, sondern ersetzt Segmente des bislang von Verbrennern dominierten Automarktes. Wie sich das freilich auf die künftige Beschäftigung im sächsischen Autobau auswirken wird, diskutiert das IAB-Papier nicht.

Leipzig Automobil: 140 Jahre Leipziger Auto-Geschichte und ein mutiger Blick in die mögliche Mobilitätszukunft

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