„EnBW stellt sich beim Kohleausstieg quer“ titelte das „Handelsblatt“ am 30. Juni. EnBW sei nicht zufrieden mit den Details zum Ende der Kohleverstromung „und will den Vertrag zur Braunkohle vorerst nicht unterschreiben“, hieß es weiter. EnBW gehört der Kraftwerksblock S im Kohlekraftwerk Lippendorf im Leipziger Südraum. EnBW wäre durchaus bereit gewesen, den Block früher vom Netz zu nehmen. Deswegen erstaunte die Nachricht auf den ersten Blick.

Wer dann freilich genauer las merkte, dass gerade daraus das Problem entsteht. Schon 2019 hatte EnBW den Block für einige Monate komplett vom Netz genommen, weil sich beim Überangebot an Solar- und Windkraftstrom in den Netzen der Block einfach nicht mehr rentabel betreiben ließ.

Und wer sich etwas genauer mit der Branche beschäftigt, merkt, dass das nicht nur dem einen Kraftwerksblock so geht, sondern dass sämtliche Braunkohlekraftwerke schon in den nächsten Jahren vor dem Problem stehen, dass sie keine Gewinne mehr aus der Kohle holen werden. In einem Interview mit der „Zeit“ fasste das die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus am 6. Juli kurz zusammen.

Sie hat gemeinsam mit ihrem Fraktionskollegen Michael Bloss die EU-Kommission in einem Schreiben aufgefordert, ein Prüfverfahren einzuleiten, ob die geplanten Entschädigungszahlungen für die Kohlekonzerne im deutschen Kohleausstiegsgesetz überhaupt EU-rechtskonform sind. Denn es könnte sein, dass die geplanten 4,3 Milliarden Euro Entschädigung eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe sind.

Jutta Paulus sagte: „Trotz dieser Förderung aber wird die deutsche Braunkohle voraussichtlich schon im Jahr 2025 nicht mehr wettbewerbsfähig sein – 13 Jahre vor dem geplanten Ende der Kohle in Deutschland. Der Grund ist die jetzt schon absehbare Entwicklung der CO2-Preise im europäischen Emissionshandel.

Zudem müssten viele Kohlekraftwerke in Deutschland ohnehin schon ab August 2021 stillgelegt werden, weil sie die EU-Emissionsgrenzen für Stickoxide und Quecksilber dann nicht mehr einhalten können. Der Ausstieg würde also so oder so kommen. Die Bundesregierung aber schenkt den Unternehmen jetzt Geld ausgerechnet dafür, dass sie länger im Geschäft bleiben, als es ihnen unter normalen Umständen möglich wäre.“

All diese Fakten haben aber die Verhandlungsführer ausgeblendet, insbesondere die Landesregierungen der drei ostdeutschen Kohleländer.

Denn was passiert eigentlich, wenn Kraftwerksbetreiber aus simplen ökonomischen Zwängen ihren Kraftwerksblock vorzeitig vom Netz nehmen müssen? Also zum Beispiel deutlich vor 2035, da ja im Kohleausstiegsplan Lippendorf bis 2035 weiterarbeiten soll, was vor dem Hintergrund des für 2023 geplanten Leipziger Kohleausstiegs überhaupt keinen Sinn mehr macht.

Das „Handelsblatt“ deutete das Problem auch an: „Rechtlich komplexer ist aber die Braunkohle. Hier geht es nicht nur um Kraftwerke. Parallel muss der Tagebau im Rheinland, in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier zurückgefahren werden. Die Betreiber der Tagebaue – RWE, Leag und Mibrag – sollen sich an konkrete Fahrpläne halten und im Gegenzug umfangreich entschädigt werden.“

Denn wenn die Mibrag, die das Kraftwerk Lippendorf mit Kohle beschickt, eine Betriebszusage bis 2035 bekommt, EnBW die Kohle aber nicht mehr abnehmen will, was dann?

Das Problem ist noch nicht geklärt. Aber es ist aus Sicht von EnBW kein Grund, den Kohleausstieg nicht zu unterstützen

„EnBW trägt die jetzt getroffenen Regelungen zum Kohleausstieg insgesamt mit – mit der einen Ausnahme mit Blick auf die konkrete Stilllegung unseres Braunkohle-Blocks in Lippendorf“, bestätigt uns auf Nachfrage Hans-Jörg Groscurth, Konzernpressesprecher Kommunikation & Politik bei EnBW.

„Anders als bei der Steinkohle soll der Braunkohle-Ausstieg über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Bundesregierung und Kraftwerksbetreibern geregelt werden. Die EnBW hat diese Verhandlungen in den vergangenen Monaten immer konstruktiv und lösungsorientiert geführt. Dies wurde uns von der Bundesregierung so auch bestätigt.

Bekanntlich hätte sich die EnBW nicht gegen eine vorzeitige entschädigte Stilllegung ihres Blockes Lippendorf S in den 20er Jahren gewendet. Die Bundesregierung hat stattdessen im Rahmen ihrer Vereinbarung mit den vom Braunkohleausstieg betroffenen Ländern eine Betriebszusage bis Ende 2035 präferiert, was von der EnBW letztlich akzeptiert wurde.“

Nur bleibt das oben genannte Problem. Denn was passiert, wenn sich ein Kraftwerksblock unter den sich verschärfenden europäischen Regelungen und bei immer mehr Wind- und Sonnenstrom im Netz beim besten Willen nicht mehr rentabel betreiben lässt? Wird der Kraftwerksbetreiber dann vom Tagebaubetreiber in Regress genommen, weil er die geförderte Kohle nicht mehr abnimmt?

„Wir haben allerdings seit Anbeginn der Verhandlungen deutlich gemacht, dass die EnBW dem für die Braunkohle (und nur dafür) gewünschten öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Betreibern nicht zustimmen kann, wenn mögliche Entschädigungsansprüche unseres Braunkohle-Lieferanten Mibrag gegenüber der EnBW nicht ausgeschlossen werden“, betont Hans-Jörg Groscurth.

„Bis zum heutigen Tag fehlt sowohl diese rechtssichere Klärung des Ausschlusses von Entschädigungsforderungen des Kohlelieferanten, als auch die Bereitschaft, die Mibrag als Tagebaubetreiber in den öffentlich-rechtlichen Vertrag einzubinden. Wir als EnBW stehen für weitere Gespräche jederzeit zur Verfügung und sind willens, auch weiterhin eine konstruktive Rolle in diesen Verhandlungen zu spielen.“

In der Lausitz gibt es das Problem nicht. Dort ist die Leag sowohl Betreiber der Tagebaue als auch der Kraftwerke. Beim Kraftwerk Lippendorf gehört ein Kraftwerksblock EnBW, der andere wiederum der Leag, während der zuliefernde Tagebau Vereinigtes Schleenhain von der Mibrag (einem Schwesterunternehmen der Leag) betrieben wird. Nimmt das Kraftwerk Lippendorf nur noch die Hälfte der vertraglich gesicherten Kohlemenge ab, wird auch der Tagebaubetrieb schnell unrentabel.

Und ob der Block R, den die Leag betreibt, noch wirtschaftlich arbeitet, wenn Leipzig seinen Fernwärmeliefervertrag 2023 auslaufen lässt, ist auch noch völlig offen.

Aus sächsischer Sicht ist es jedenfalls sehr rätselhaft, warum die Landesregierung so darauf bestanden hat, Lippendorf noch bis 2035 am Netz zu lassen.

Als Sachsen die Klage der Kohlekonzerne unterstützte, stimmten auch drei Minister zu

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