So richtig wissen die Leipziger selbst nicht, wann sie wo und wie unterwegs sind, oder? Ist natürlich eine Unterstellung, denn natürlich sind die Zahlen, die die Leipziger Statistiker jährlich in der Bürgerumfrage sammeln, immer nur Ausschnitte. Jedes Mal wird eine andere Gruppe von Leipzigern erwischt. Das gibt zum Teil überraschende Einsichten. Zum Beispiel zum "Modal Split".

Zum allgemeinen “Modal Split”, der aller fünf Jahre erhoben wird, haben wir heute morgen schon berichtet. Aber jedes Jahr in der Bürgerumfrage werden die ausgewählten Leipziger auch zum speziellen “Modal Split” befragt, heißt: zu ihrer ganz speziellen Verkehrsmittelwahl, wenn sie zur Arbeit, zur Ausbildung, zum Einkauf, in die Freizeit oder in die Leipziger Innenstadt unterwegs sind.

Das war auch in der “Bürgerumfrage 2014” Thema und die ist jetzt endlich in ganzer Schönheit ausgewertet. Am Donnerstag, 9. Juli, wurde der fertige Bericht vorgestellt, in dem es auch das übliche Kapitel zum Verkehrsverhalten gibt. Und das, was schon die Befragung der TU Dresden zum allgemeinem “Modal Split” der Leipziger ergeben hat, bestätigt sich auch im Detail: Die Nutzung des ÖPNV in Leipzig geht tendenziell zurück. Und das liegt nicht an der neuen S-Bahn, die einen Teil der Fahrgäste abgezogen hat.

Die Statistiker hatten gleich mit angefragt, wie die Befragten ein Jahr zuvor unterwegs waren, so dass auch ein direkter Vergleich möglich ist.

Und da fällt auch auf, dass viele Befragte auch das eigene Auto öfter stehen gelassen haben. Besonders häufig, wenn es in die Freizeit ging. Waren 2012 nach Aussage der Befragten noch 37 Prozent mit dem Auto zur Erholung gefahren, waren es 2013 nur noch 35 Prozent. Dafür stieg der Fahrradanteil von 35 auf 36 Prozent.

Vielleicht eine Enttäuschung, vielleicht aber auch genauso erwartet, verloren Straßenbahn und Bus auch ein Prozent. Erwartet deshalb, weil das ÖPNV-Angebot am Wochenende nicht wirklich so ist, dass man animiert wird, damit ins Grüne zu fahren. Man denke nur an die heillosen und völlig verqueren Diskussionen um die Straßenbahn in Markkleeberg. Statt das Verkehrsmittel Straßenbahn wirklich auch zu einem echten touristischen Bringer zu machen, will man es einkürzen. Und torpediert damit alle Leipziger Pläne, den ÖPNV-Anteil zu steigern. Ein kleines bisschen gewonnen hat im Gegenzug die S-Bahn.

Die Eröffnung des City-Tunnels macht sich schon bemerkbar.

Aber eingebüßt haben Straßenbahn und Bus auch beim Ausbildungsverkehr (von 33 auf 28 Prozent), beim Weg zur Arbeit (von 23 auf 20 Prozent) und beim Weg in die Innenstadt (von 41 auf 37 Prozent).

Und die “Gewinne” landen eben nicht alle bei der S-Bahn – wenn es so wäre, hätte der City-Tunnel sich wirklich als vollständige Ergänzung entpuppt. Die tatsächlichen Zuwächse gab es – genauso wie 2013 beim allgemeinen “Modal Split” – bei Radfahrern und Fußgängern. Und zwar bei allen Zielen. Die Leipziger steigen also nicht wirklich vom Auto um in die Straßenbahn, sondern fahren dann doch lieber Fahrrad oder gehen zu Fuß. Das ist gesünder, einfacher und preiswerter.

Und ein Vergleich mit 2013?

Die Zahlen werden noch deutlicher, wenn man die “Modal Split”-Auswertung in der “Bürgerumfrage 2013” noch zum Vergleich heranzieht. Das war damals logischerweise eine andere per Zufallsprinzip ausgewählte Befragtengruppe. Aber die Sprünge sind genauso deutlich. In der Fahrt zur Innenstadt rutschten Bus und Straßenbahn von 43 auf 37 Prozent ab, im Ausbildungsverkehr von 33 auf 28 Prozent. Und das waren die Bereiche, wo die LVB vorher eindeutig der Platzhirsch waren.

Was natürlich nicht bedeutet, dass der motorisierte Individualverkehr wieder an Zuspruch gewinnt. Die Zeiten sind vorbei, auch wenn immer mehr Autos in Leipzig angemeldet werden. Der überwiegende Teil der jungen Leipziger bevorzugt eindeutig umweltfreundliche Verkehrsarten – aber nicht Straßenbahn und Bus sind auf dem Vormarsch, sondern Radfahren und Zufußgehen. Das Auto verliert. Und zwar besonders stark bei den Wegen zur Arbeit. Die “Bürgerumfrage 2013” ergab hier noch 51 Prozent Wegeanteil fürs Motorgefährt, 2014 waren es nur noch 44 Prozent.

Mit der kleinen Einschränkung: Die Befragtengruppe war augenscheinlich sowieso schon etwas weniger autoaffin als die 2013er-Gruppe der Befragten. Aber auch bei Einkäufen, bei Wegen in die City oder in die Freizeit wurde von der 2014er-Gruppe das Auto etwas seltener genutzt. Der Trend hält seit Jahren an, auch wenn er nicht so stark ausgeprägt ist, dass man erwarten könnte, dass der Autoanteil 2025 nur noch bei 25 Prozent aller Wege liegen könnte. Das ist ein heeres Ziel, hat aber nichts mit der wirklichen Leipziger Verkehrs-Politik zu tun.

Die hängt beim Ausbau des Radwegenetzes genauso hinterher wie bei der Sichermachung der Fußwege. Ein Thema, das in der Stadtratssitzung am 8. Juli so richtig hochploppte, als der Stadtrat mit großer Mehrheit einen Fußwegebeauftragten beschloss.

Und über die fehlende notwendige Finanzierung für den ÖPNV wurde ja 2014 genug debattiert – mit dem im Grunde irrsinnigen Ergebnis, dass die Kunden der LVB bitteschön noch mehr Geld berappen sollen, obwohl sie nun schon scharenweise aufs Fahrrad oder Schusters Rappen wechseln. Was genau so durch diese “Bürgerumfrage 2014” belegt wurde.

Und das Schöne: Leipzigs Statistiker haben auch abgefragt, wer wie das Verkehrsmittel gewechselt hat.

Aber dazu kommen wir morgen an dieser Stelle.

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Keine Kommentare bisher

>aber nicht Straßenbahn und Bus sind auf dem Vormarsch

Wen soll das wundern? Das LVB-Angebot ist grottig.

Allein, wie im Fahrplan die Übergänge zwischen Viertelstunden- und Zehnminuten-Takt morgens und ab 18 Uhr organisiert sind. Dann noch, dass samstags der rigide Halbstundentakt morgens bis 8 Uhr(!!) besteht.

Liebe LVB-Bürokraten, nach 17 Uhr und am Wochenende arbeiten auch noch viele Leute.

Leipzig ist eine Halbmillionenstadt. Das kapiert Ihr einfach nicht.

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