Planer wissen meist sehr gut Bescheid über ihre Projekte. Die Linie 9 zum Beispiel zwischen Connewitz-Kreuz und Markkleeberg-West. Zum 28. November soll sie eingestellt werden. Hätte die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat keinen Antrag gestellt, die Einstellung zurückzunehmen, hätte es dazu nicht mal einen Stadtratsbeschluss dazu gegeben.

Dass der Antrag der Linken erst in der September-Sitzung auf die Tagesordnung kam, hat auch damit zu tun, dass die Leipziger Stadträte gar nicht gemerkt haben, wie nah die Entscheidung ist. Wirklich wach wurden sie erst durch die Stadtratsentscheidung in Markkleeberg im Mai, wo das neue Buskonzept für Markkleeberg beschlossen wurde, was automatisch die Stilllegung der Linie 9 auf Markkleeberger Gebiet nach sich zog.

Denn damit stellt der Landkreis Leipzig als Aufgabenträger seine Finanzierung für die Linie 9 in Markkleeberg ein. Das “eingesparte” Geld wird in die Erweiterung des Busangebotes in Markkleeberg gesteckt. Nur so konnte innerhalb Markkleebergs überhaupt ein zusätzliches Busangebot geschaffen werden.

Was logischerweise zur Folge hat: Die LVB bleiben auf diesem Betrag sitzen, wenn sie die Linie 9 weiter betreiben.

Diesen Betrag haben Leipzigs Stadträte 2009 zuletzt gehört. Da hat das Verkehrsdezernat im Leipziger Stadtrat nämlich eine Variantenuntersuchung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) zur Linie 9 vorgelegt. Es handelt sich um 458.000 Euro.

Und man muss schon ganz tief in die Ratsarchive gehen, um herauszufinden, wann eigentlich ein Prüfauftrag erfolgt ist und unter welchen Prämissen.

Diskutiert wurde die Streckenstilllegung die ganze Zeit im Zusammenhang mit der Fertigstellung von City-Tunnel und S-Bahnnetz.

Wenn heute von der parallelen Streckenführung der Linie 9 geredet wird, dann ist das eine späte und falsche Interpretation des ursprünglichen Prüfauftrags. Denn da ging es – wir schreiben das Jahr 2006 – um die Prüfung der gesamten Linienführung vom Bayrischen Platz bis Markkleeberg. Und die LVB gingen davon aus, dass die Linie 9 sich besonders zwischen Bayerischem Platz und Connewitzer Kreuz nicht rechnen würde, weil sie dort “parallel zur S-Bahn” verkehre.

Die Linksfraktion bemängelte ja in der letzten Woche, dass sie bis heute die versprochenen Ergebnisse der Prüfung nicht zu sehen bekommen hätte.

Gab es überhaupt so eine Beauftragung der Stadtverwaltung, die heute gern so tut, als sei das Ganze reinweg Angelegenheit von LVB, MDV und Landkreis?

Gab es. Zuerst nämlich sogar als Versprechen der Leipziger Verwaltung selbst: 2006, als sich ankündigte, dass sich die Eröffnung des City-Tunnels um mehrere Jahre verzögern würde, schrieb sie für den Stadtrat eine Folgenabschätzung, in der auch die Prüfung der Linie 9 vorkam. Und mit der Erwähnung dieser Prüfungen durch die LVB gab es auch die eindeutige Aussage: Über Streckenstilllegungen entscheidet der Stadtrat, niemand sonst.

“Die LVB führen derzeit mit Blick auf die Einführung des neuen S-Bahn-Netzes Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit des Südabschnitts der Straßenbahnlinie 9 (Bayerischer  Bahnhof  –  Markkleeberg-West) durch, welcher sich künftig teilweise im Einzugsbereich der an den Tunnel anschließenden S-Bahn-Strecke befinden wird”, heißt es in der Stadtratsvorlage vom 11. Oktober 2006. “Da die Linie 9 bereits heute in diesem Abschnitt vergleichsweise geringe Fahrgastzahlen aufweist, wurde diese Linie im fortgeschriebenen Nahverkehrsplan der Stadt (Entwurf DS IV/802) als Untersuchungsstrecke eingestuft. Es werden perspektivisch u.a. eine teilweise Stilllegung (ab Connewitz, Kreuz) oder die Komplettstilllegung (ab Bayrischer  Platz) zu untersuchen sein. Beschlüsse über Streckenstilllegungen werden wie in der Vergangenheit vom Stadtrat zu treffen sein. Bisher  gibt es keinen Stilllegungsbeschluss, so dass die hier angestellte Betrachtung hypothetisch ist.”

Das Wort hypothetisch erfreut natürlich aus dieser zeitlichen Distanz. Denn ehrlicher wäre die Aussage gewesen, dass alle Beteiligten schon eifrig rechneten und planten und der Landkreis Leipzig, weil ja “die Linie 9 parallel zur S-Bahn verkehrt”, die Gelder schon längst neu verplante. Das wussten die Leipziger Verantwortlichen spätestens 2009.

Vorher gab es tatsächlich noch so etwas wie eine halb verbindliche Festlegung, dass die Verwaltung den Stadtrat auf dem Laufenden halten würde. Das war der 2007 verabschiedete Nahverkehrsplan, der bis heute gilt, aber für eine Stadt geschrieben wurde, die deutlich weniger Wachstum hatte.

Darin heißt es unter anderem: “Für einige bestehende Straßenbahnstrecken, auf denen das Verkehrsaufkommen rückläufig oder weiterhin niedrig ist, mit dem Bus möglicherweise eine bessere Erschließung erreicht werden kann oder ein vollwertiger Ausbau schwierig ist und in den nächsten Jahren Investitionsentscheidungen anstehen, werden ergebnisoffene Untersuchungen im Hinblick auf eine mögliche Umstellung auf Busbetrieb durchgeführt.”

Was den Stadträten also 2006 als “hypothetisch” dargelegt wurde, heißt hier “ergebnisoffen”.

Aber tatsächlich wiegte man sich 2007 noch in dem völlig unberechtigten Glauben, man könne die Linie 9 im Süden einfach einstellen, wenn es erst mal die S-Bahn gibt. Und das, obwohl die 9 ganze Stadtquartiere erschließt mit wesentlich mehr Haltestellen und obwohl die S-Bahn ihre Haltepunkte eher mitten in der Wüste hat. Kein Mensch aus der Südvorstadt fährt erst zum Haltepunkt MDR, um mit der S-Bahn zu fahren.

Aber trotzdem wollte man genau diese Streckenstilllegung prüfen: “Linie 9 zwischen Connewitz Kreuz und Markkleeberg-West: Nach Fertigstellung des City-Tunnels ergeben sich hier neue Ausgangsbedingungen für eine insgesamt bessere und kostengünstigere Bedienung durch S-Bahn und Bus; da von einer Einstellung des Streckenabschnitts Bereiche außerhalb des Leipziger Stadtgebietes betroffen wären, sind die notwendigen Untersuchungen gemeinsam mit dem Landkreis Leipziger Land als Aufgabenträger durchzuführen. – Linie 9 zwischen Richard-Lehmann-Straße und Bayrischer Platz: Das Einzugsgebiet dieser Linie weist hohe und zunehmende Nutzerzahlen auf, überschneidet sich jedoch mit den Einzugsgebieten der Linien 10 und 11 in der Karl-Liebknecht-Straße und des geplanten S-Bahnhofs Semmelweisstraße; bei Inbetriebnahme der S-Bahn wird sich ein – zzt. noch schwer abschätzbarer – Teil der jetzigen Fahrgäste umorientieren.”

Man munkelte, man hatte aber nicht geprüft. Die Prüfung erfolgte erst zwei Jahre später – mit einem Ergebnis, das so zu erwarten war: An eine Einstellung der Linie 9 zwischen Bayrischen Platz und Connewitz Kreuz war gar nicht zu denken. Das Fahrgastaufkommen betrug 7.000 Fahrgäste pro Tag in der Arthur-Hoffmann-Straße. Und die größte Verlagerung würde nicht zur S-Bahn erfolgen, sondern auf die tatsächliche Parallelstrecke der Linien 10 und 11. Das heißt: Zwei sowieso schon hochbelastete Linien hätten noch mehr Fahrgäste verkraften müssen. Und 7.000 Fahrgäste am Tag, das war sowieso schon eine Belegung, bei der an eine Einstellung sinnvollerweise nicht zu denken war.

Die Einstellung der Linie 9 wäre die teuerste von den drei untersuchten Varianten geworden, weil die LVB mehr Geld in den Betrieb der Linien 10 und 11 hätten stecken müssen. Man hat auch untersucht, ob man statt der Straßenbahn einen Bus hätte fahren lassen können – das hätte aber trotzdem zu einer Abwanderung der Fahrgäste geführt, zu Mindereinnahmen und einem großen Minus.

Und man hat die Variante untersucht, die jetzt umgesetzt werden soll: Die Umlenkung der Linie 9 ab Connewitz Kreuz zum S-Bahnhof Connewitz.

Auch diese Variante ergab damals ein Defizit, aber das vor allem durch Einnahmeverluste und durch den fehlenden Zuschuss vom Landkreis Leipzig. Aber es war eindeutig die Variante, die den LVB damals die geringsten Verluste beschert hätte. So dass die Variantenuntersuchung zu dem Schluss kam, dass die Gleise in der Arthur-Hoffmann-Straße unbedingt erhalten werden sollten (schon um überhaupt eine Ausweichstrecke für die KarLi zu haben) und weil der Bedarf eben doch hoch war.

Und man merkte etwas an, was jetzt in der Diskussion um den Streckenast nach Markkleeberg gern klein geredet wird: “Mit dem Erhalt der Straßenbahn in der Arthur-Hoffmann-Straße können auch modale Verlagerungen auf den motorisierten Individualverkehr verhindert werden, was sich positiv auf die Erreichung der verkehrspolitischen Ziele, die Umsetzung des Luftreinhalteplans sowie die Ziele des integrierten Stadtentwicklungskonzepts auswirkt.”

Und das war’s. Damit war die Streckenführung in der Arthur-Hoffmann-Straße gesichert.

Und über den “Rest” gab’s dann einfach keine weiteren Informationen. Sechs Jahre lang. Sechs Jahre, die man zu einer weiteren Diskussion und Willensbildung hätte nutzen können. Genau das ist nicht passiert,  so dass die Entscheidung des Markkleeberger Stadtrates vom Mai 2015 für Leipzigs Ratsfraktionen wie eine kalte Dusche kam.

City-Tunnel-Folgen – Mitteilung der Stadt von 2006

Leipziger Nahverkehrsplan 2007

Variantenuntersuchung von 2009

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Ergänzt sei, dass in der Arthur-Hoffmann-Straße zwischenzeitlich eine neue Haltestelle eingerichtet wurde (Haltestelle Steinplatz), die wirklich sehr gut angenommen wird. Trotz der angeblich “fußläufigen” Entfernung bis zur Haltestelle “Richard-Lehmann/Kurt-Eisner-Straße”.

Vielen Dank für die Aufbereitung der “historischen” Unterlagen zum Thema. Ich kam beim ersten Recherchieren nur bis 2008, aber dass die Sache schon 2006 virulent war, war mir so deutlich nicht bekannt – trotz der keineswegs glamourösen Stilllegung des südlichen Abschnitts der Hoffmann-Straße, auf dem die Linie 16 mal fuhr.

Ich frage mich nur, welche Partikularinteressen die Stadtverwaltung und den OBM dazu bringen, die Angelegenheit “Linie 9 nach Markkleeberg” zu unterlaufen und geradezu zu sabotieren. Gibt’s dafür diskretes Geld von der Autobranche, oder wie ist das?

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