Am 19. Mai hatte der ADFC die Ergebnisse des jüngsten Fahrradklimatests für die Städte in der Bundesrepublik vorgestellt. Sächsische Städte landeten dort bestenfalls mal im besseren Mittelfeld. Und das hat direkt mit der sächsischen Verkehrspolitik zu tun. Am Dienstag, 23. Mai, gab es nun auch die Ergebnisse für den Freistaat Sachsen. Echte Sitzenbleiber-Ergebnisse.

Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Verkehrspolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, hatte das schon nach den Städte-Ergebnissen so erwartet: „Das unterdurchschnittliche Abschneiden sächsischer Städte beim ADFC Fahrradklima-Test ist die Quittung für das fehlende Engagement der sächsischen Staatsregierung bei der Förderung des Radverkehrs. Im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahr 2014 hat sich bei der Fahrradförderung nichts getan. Kaum ein Bundesland ist so unambitioniert und ignoriert in die wachsende Zahl von Fahrradfahrern. Außer Lippenbekenntnissen liefert Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) nichts. Selbst die bescheidenen Haushaltsmittel für den Bau von Radwegen an Staatsstraßen und die Fördermittel für den kommunalen Radewegebau verfallen Jahr um Jahr weitgehend ungenutzt.

Nicht umsonst erhält Sachsen in Durchschnitt die Note 4. Denn beim Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) fehlt unverändert Fachpersonal, das Planungen anschieben könnte. Die im Koalitionsvertrag verankerte Gründung einer Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte (AGFS) steht auch immer noch aus. Der Bund fördert mittlerweile mit den Radschnellwegen den Bau von qualitativ hochwertigen Wegeverbindungen, wie man sie zum Beispiel aus den Niederlanden kennt. Radschnellwege vom Umland in die Städte wären ein gutes Angebot zum Beispiel für Berufspendler. Die sächsische Staatsregierung muss endlich in den Tritt kommen und mit den Kommunen die Planungen und den Bau vorantreiben, damit die wachsende Zahl der Fahrradfahrer auf sicheren Wegen in die Pedalen treten kann.“

Und dann nun dieser 23. Mai, als der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Sachsen e.V. (ADFC) vor der Landespressekonferenz die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests in Sachsen präsentierte.

Mit einer Durchschnittsnote von 4,05 landet Sachsen auf der Liste der 13 deutschen Flächenländer auf dem vorletzten Platz. Im Vergleich zu 2012 und 2014 hat sich die durchschnittliche Bewertung Sachsens nicht verbessert.

„Wenn man die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests in einem Wort zusammenfasst, dann lautet das: Stagnation“, sagt Olaf Matthies, Vorsitzender des ADFC Sachsen.

Fahrradland Sachsen: Unsicher, ausgebremst

Nicht gut bestellt ist es in Sachsens Städten um das Sicherheitsgefühl beim Radfahren. Bei dieser Frage schnitten fast alle sächsischen Städte im Bereich der Note 4 ab, besonders die Städte unter 50.000 Einwohner unterscheiden sich hier deutlich vom bundesweiten Trend, wo sich Radfahrer umso sicherer fühlen, je kleiner die Stadt ist.

„Wenn wir in Sachsen mehr Menschen zum Radfahren animieren wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie sich auf dem Rad sicher fühlen. Nicht selten stehen Verkehrsunfälle mit Mängeln an der städtischen Verkehrsinfrastruktur in Verbindung. Aber auch der schwache Druck der Polizei auf Falschparker und Raser macht vielen Sachsen Angst, auf ihren alltäglichen Wegen öfter aufs Rad zu steigen“, sagt der sächsische ADFC-Vorsitzende.

Bei der Bewertung der Zügigkeit des Radfahrens gibt es große Unterschiede zwischen den sächsischen Städten. Leipzig (Note 2,4), Görlitz (2,6) und Delitzsch (2,5) liegen vorn, während die Radfahrer besonders in Freital (4,3) und Annaberg-Buchholz (4,5) nicht gut vorankommen. Direkte Wegeführungen, freigegebene Einbahnstraßen und kürzere Wartezeiten an der Ampel können Kommunen oft mit wenig Aufwand verwirklichen.

„In Städten, wo die Menschen zügig mit dem Rad vorankommen, ist nicht nur die restliche Bewertung im Fahrradklima-Test besser. Es wird auch deutlich mehr Rad gefahren“, sagt Konrad Krause, der die Ergebnisse der Befragung für Sachsen analysiert hat.

In den meisten Städten Sachsens scheinen die Menschen nicht den Eindruck zu haben, dass die Förderung des Radverkehrs in letzter Zeit große Fortschritte gemacht hat. Mit Note 4,3 nimmt Dresden den letzten Platz der sächsischen Großstädte ein, gleichauf mit Zwickau. Die Städte unter 50.000 Einwohner liegen mit einer Durchschnittsnote von 4,39 deutlich unter dem bundesweiten Schnitt von Note 3,9.

Fahrradland Sachsen: Ein paar positive Beispiele

Es gibt auch in Sachsen Städte, die ein positives Bild zeigen: Freiberg hat sich bei der Bewertung der „Förderung in letzter Zeit“ von Note 4,7 im Jahr 2012 auf eine 3,4 vorgearbeitet und liegt damit auch über dem sächsischen Durchschnitt. In Bautzen bewerteten die Einwohner die Anstrengungen der Stadt zur Förderung des Radverkehrs mit Note 3,4 (2012: 4,2). Bei den Großstädten konnte sich im Vergleich zu 2012 Chemnitz von Note 4,0 auf eine 3,7 verbessern.

„Der Fahrradklima-Test zeigt, dass sich das Engagement einer Stadt lohnt und honoriert wird“, sagt Matthies.

Im Doppelhaushalt 2015/16 hat der Sächsische Landtag die Mittel für die kommunale Förderung des Radverkehrs ab 2016 von 4 auf 8 Mio. pro Jahr verdoppelt. Über 80% dieser Mittel haben die sächsischen Städte 2015 und 2016 jedoch verfallen lassen. Das liegt vor allem an fehlenden Planungskapazitäten auf kommunaler Ebene und fehlenden Vorgaben des Freistaats für eine moderne Verkehrsinfrastruktur.

„In manchen Städten war der Fahrradklima-Test des ADFC schon ein Anstoß für eine fahrradfreundlichere Planung, die auch Kinder und ältere Menschen berücksichtigt“, sagt ADFC-Chef Matthies.

Fahrradland Sachsen: Radfahren muss sicherer werden!

„Niemand will sich beim Radfahren unnötigen Gefahren aussetzen. Die Priorität der Verkehrsplanung in Sachsen muss daher auf der Verkehrssicherheit liegen. Dazu gehört eine messbare Zielvorgabe“, erklärt Matthies. Bayern etwa habe sich vorgenommen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 30 Prozent zu senken.

Damit Mobilität mit dem Rad wirklich sicherer wird, müsse der Freistaat bei der Vergabe von Fördermitteln die Einhaltung moderner Planungsstandards verbindlich machen. Das ist bisher in Sachsen nicht der Fall und führt oft dazu, dass veraltete radunfreundliche Infrastruktur nicht umgebaut wird.

Der ADFC Sachsen setzt sich dafür ein, dass die Kommunen ihre Anstrengungen bei der Förderung des Radverkehrs bündeln. In vielen Bundesländern arbeiten sehr erfolgreich Arbeits­gemeinschaften fahrradfreundlicher Städte (AGFS), darunter in Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Solche Arbeitsgemeinschaften koordinieren die lokale Rad­ver­kehrs­förderung und stärken die Kompetenzen in den Kommunen.

„Es ist niemandem geholfen, wenn jede Kleinstadt das Rad neu erfindet, sobald es um Radverkehr geht“ sagt Konrad Krause. „Wir brauchen eine Struktur, die Know-how bündelt und es den Städten erleichtert, schnell aus den Fehlern anderer zu lernen. Eine Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte bringt große Synergien und kann Fehlplanungen vorbeugen.“

Die Gründung der AGFS ist Teil des sächsischen Koalitionsvertrags. Auch entsprechende Mittel hat Schwarz-Rot im Landeshaushalt 2017/18 bereits eingestellt.

„Die politischen Weichenstellungen der Großen Koalition für den Radverkehr sind sehr erfreulich, kommen aber bei den Menschen noch nicht an“, betont der ADFC-Vorsitzende. „Finanzmittel des Freistaats stehen bereit und Minister Dulig schafft auf Landesebene neue Planungskapazitäten. Erste Städte starten durch. Mit Rückenwind vom Freistaat kann Sachsen zum Fahrradland werden.“

Der Fahrradklima-Test des ADFC ist die weltweit größte Untersuchung dieser Art. Über 120.000 Bürgerinnen und Bürger haben an der siebten Umfrage des ADFC teilgenommen und deutschlandweit die Fahrradfreundlichkeit von 539 Städten bewertet.

Die Bewertung für die sächsischen Städte.

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