Solange ein polternder HandwerkskammerprÃĪsident immer wieder BestÃĪtigung aus den konservativen Zeitungen der Stadt bekommt, wird er wohl das GefÞhl nicht los, dass er mit seiner Demolition-Tour Erfolg hat. Er will ja nicht nur BaubÞrgermeisterin Dorothee Dubrau aus dem Amt drÃĪngen, er will auch die Leipziger Verkehrspolitik zurÞckdrehen in eine Zeit, von der er glaubt, dass sie fÞr die Wirtschaft besser war.

Er beruft sich dabei auch gern auf die von der IHK in Auftrag gegebene Verkehrsstudie, die seiner Ansicht nach das ZurÞckdrÃĪngen des Radverkehrs genauso befÞrwortet wie den massiven Ausbau des Mittleren Rings und des Tangentenvierecks.

Die Studie hat versucht zu berechnen, was mit dem Verkehrsaufkommen passiert, wenn die Stadt tatsÃĪchlich weiter so wÃĪchst wie 2016 von Leipzigs Statistikern prognostiziert – auf 720.000 Einwohner. Wenn sie so wÃĪchst, wÃĪchst auch die Zahl der ArbeitsplÃĪtze, es sind also mehr Menschen im Berufsverkehr unterwegs und durch die wachsende WirtschaftstÃĪtigkeit werden auch mehr Wirtschaftsverkehre erzeugt – auch mit großen und kleinen Lkw. Viele ArbeitsplÃĪtze werden außerhalb der Stadt entstehen (Stichwort Nordraum), viele Bewohner der Landkreise werden zur Arbeit in die Stadt pendeln – denn auch hier entstehen tausende neue Jobs.

Bei der Hochrechnung der mÃķglichen Verkehrszahl gehen die Autoren schon auf den Kern des Problems ein: „Die dargestellten Pkw-Fahrten spiegeln damit den Einfluss der Einwohnerentwicklung und der Verkehrsmittelwahl wider. Wenn es gelingt, den MIV-Anteil der Leipziger wie im STEP 2025 als Ziel formuliert, deutlich zu reduzieren, dann wird es mÃķglich, auch bei einer prognostizierten Einwohnerzahl von 722.000 (+ 32 %, nur Hauptwohnsitz) den Anstieg des Pkw-Verkehr einem Wert von unter 10 % (7 % in der Berechnung) zu begrenzen. Die stÃĪrksten Zunahmen ergeben sich in Szenario 2. Bei einem MIV-Anteil von 40 % ist ein Anstieg der Pkw-Fahrten um 37 % zu erwarten.“

Mit diesen 37 Prozent haben Leipzigs KammerprÃĪsidenten operiert, als sie im August ihr MobilitÃĪtskonzept „MobilitÃĪt Leipzig 700plus“ vorstellten. Übrigens auch integriert gedacht – so wie die Konzepte der Stadt: mit ÖPNV und Radverkehr.

Die Studienautoren betonen es auch in der Analyse zum „Handlungsfeld Infrastruktur und Netzentwicklung“ noch einmal: „Eines der wichtigsten Handlungsfelder zur BewÃĪltigung der zu erwartenden Verkehrszunahmen ist die Weiterentwicklung der verkehrlichen Infrastrukturen. Maßgebende planerische Grundlage dafÞr ist u. a. der STEP Verkehr und Ãķffentlicher Raum. Er reflektiert die aktuellen Entwicklungen gegenwÃĪrtig jedoch nur unzureichend. Insbesondere ist aus derzeitiger Sicht unklar, mit welchen Maßnahmen das avisierte Ziel einer Reduktion des Individualverkehrs um 10 % unter den Bedingungen des BevÃķlkerungswachstums erreicht werden soll. Hierzu sind weitreichende Maßnahmen vor allem fÞr den ÖPNV zu entwickeln und deren Wirkungen nach anerkannten Methoden nachzuweisen. Auch die FÃķrderung des Radverkehrs spielt eine maßgebliche Rolle, darf aber die Randbedingungen fÞr den Wirtschaftsverkehr nicht unnÃķtig beschrÃĪnken. Sollte es bei der erwarteten BevÃķlkerungs- und wirtschaftlichen Entwicklung nicht gelingen, maßgebliche VerkehrsstrÃķme auf den Umweltverbund zu verlagern, sind massive Behinderungen und EngpÃĪsse im Straßenverkehr zu erwarten, die auch den Wirtschaftsverkehr beeintrÃĪchtigen werden.“

Die sechs MobilitÃĪtsszenarien, die OBM Burkhard Jung im Oktober zusammen mit BaubÞrgermeisterin Dorothee Dubrau vorstellte, haben genau das aufgegriffen. In jedem Szenario wurde untersucht, ob die Bedingungen fÞr den Wirtschaftsverkehr sich verbessern oder verschlechtern.

Das Ergebnis ist deutlich: Gerade die Szenarien, die einen deutlichen Ausbau fÞr ÖPNV und Radverkehr vorsehen, bieten auch die besten Bedingungen fÞr den Wirtschaftsverkehr.

Trotzdem forderte HandwerkskammerprÃĪsident Claus GrÃķhn, jetzt die ganze Kraft auf den Bau von Tangenten und Ringen und Tunneln zu verwenden. Gemeinsam legte man schon mal 100.000 Euro zusammen, um damit „erste Planungen“ zu finanzieren.

Obwohl die Untersuchung in der Studie zu dem deutlichen Ergebnis kommt: „Ein vollstÃĪndig nachfragegerechter Ausbau des Straßennetzes, mit dem es mÃķglich ist, die zu
erwartenden Verkehrsmengen im motorisierten Straßenverkehr bei der prognostizierten BevÃķlkerungsentwicklung und ohne deutliche modale Verlagerungen zum Umweltverbund abzuwickeln, wird als nicht realistisch und nicht zielfÞhrend angesehen.“

Und das haben die Autoren der Studie auch noch einmal konkretisiert: „Bereits heute kommt es auch auf gut ausgebauten Strecken wie der B 2 zu EngpÃĪssen.
Eine BewÃĪltigung von Verkehrszunahmen wie in Szenario 2 wÃĪre nur mit umfangreichen NetzergÃĪnzungen und KapazitÃĪtserweiterungen im vorhandenen Netz mÃķglich. Dies mÞsste Þberwiegend in bereits heute dicht besiedelten Bereichen erfolgen, wo die dafÞr benÃķtigten FlÃĪchen nicht zur VerfÞgung stehen. Da es sich im dicht besiedelten Bereich vielfach um FlÃĪchen mit Wohnbebauung handelt und die nicht besiedelten FlÃĪchen hÃĪufig wichtige Freiraum- und ErholungsflÃĪchen sind, wÃĪren schwerwiegende Nutzungskonflikte nicht vermeidbar. Das Ziel einer lebenswerten Stadt wÞrde konterkariert. Die rechtlichen und finanziellen HÞrden wÃĪren fÞr derartige massive Netzerweiterungen und -ergÃĪnzungen sehr hoch.“

Das, was Claus GrÃķhn fordert, wÃĪre unwahrscheinlich teuer, unrealistisch und wÞrde das „Ziel einer lebenswerten Stadt“ konterkarieren. Dann wÞrde Leipzig so werden wie die schlimmsten AutostÃĪdte im Westen. Und zwar: ohne die Verkehrsbelastung loszuwerden.

Dass das Ring- und Tangentensystem noch nicht optimal ist, kann man wenig spÃĪter auch lesen. Aber die Autoren plÃĪdieren ganz und gar nicht fÞr einen Komplettausbau. Sondern: „Aufgrund der zu erwartenden Zunahmen der VerkehrsstÃĪrken im Straßennetz halten wir es fÞr erforderlich, die generelle Netzstruktur zu ÞberprÞfen. Dazu sollten nach Fertigstellung einer aktuellen Gesamtverkehrsprognose im Rahmen der Aktualisierung des integrierten Verkehrsmodells der Stadt Leipzig die ehemals angedachten Maßnahmen im Rahmen eines mittleren Ringes und deren Wirkungen neu bewertet werden. Dazu gehÃķren auch die ÜberprÞfung der Korridore im SÞdwesten (Verlagerung nach innen, Einbeziehung des Schleußiger Weges) und eine Bewertung der Wirksamkeit des Tangentenviereckes in Verbindung mit dem mittleren Ring.“

Denn die Hauptprobleme im Leipziger Netz gibt es ja auf dem Innenstadtring (Innere Jahnallee bis Hauptbahnhof), eine Verbindung, auf der sich der Hauptverkehr Richtung Westen abwickelt. Die Ausweichvarianten auf das Tangentenviereck (Emil-Fuchs-Straße/Hans-Driesch-Straße) nehmen die meisten Autofahrer nicht an.

Und dann ist da noch die Forderung, den Radverkehr von den Hauptstraßen weg zu verlagern, die Claus GrÃķhn jÞngst zur Dresdner Straße erneut wiederholte. Steht das so in der Studie? Auch nicht. Die Autoren betonen die Konflikte gerade in historisch gewachsenen Straßen, wobei im Umbau freilich genauso die „Richtlinie fÞr die Anlage von Stadtstraßen, RASt 06“ gilt. Verkehrsplaner sind gesetzlich verpflichtet, genÞgend breite Rad- und Fußwege in diesen Straßen zu planen.

In ihren VorschlÃĪgen plÃĪdieren die Studienautoren vor allem fÞr gut verfÞgbare Lade- und Lieferzonen. Denn das ist das, was dem innerstÃĪdtischen Wirtschaftsverkehr fast immer fehlt.

Nur ganz am Ende der Vorschlagsliste fÞgen sie noch diese Überlegung an: „Sind auch andere AnsÃĪtze der Querschnittaufteilung denkbar, z. B. die weitgehende Verlagerung des Radverkehrs auf parallele (konfliktÃĪrmere) Routen, eine Reduktion bzw. der Entfall von Parken im Straßenraum (evtl. Verlagerung in Nebenstraßen oder ParkhÃĪuser) oder der Verzicht auf separate ÖPNV-FÞhrungen?“

Wer sich erinnert: Das alles wurde bei allen großen Umbaumaßnahmen der letzten Zeit (KarLi, KÃķnneritzstraße, Georg-Schwarz-Straße) intensiv und Ãķffentlich diskutiert. Das Thema des „Entfalls von Parken im Straßenraum“ wurde dabei eher leiser diskutiert. Denn da gibt es stets die heftigsten Diskussionen. Aber es sind diese geparkten Autos, die den Platz fÞr Ladezonen wegnehmen.

Und was haben die Autoren der Studie nach all ihren Analysen wirklich vorgeschlagen?

Das hier ist die Liste:

„Die BevÃķlkerungsprognose fÞr Leipzig weist hohe Wachstumsraten aus. Treten diese ein, wird es zu einem Verkehrswachstum kommen, das nur mit einem BÞndel von Maßnahmen und einem abgestimmten Konzept unter Beteiligung der Wirtschaft bewÃĪltigt werden kann. Die Eckpfeiler sind dabei:

– Die Raum- und Standortpolitik, die dazu beitragen soll, Verkehre zu reduzieren, die kurze Wege ermÃķglichen soll, die es ermÃķglicht, unterschiedliche Verkehrsmittel zu nutzen, die fÞr die Wirtschaft die Erreichbarkeit der wichtigen stÃĪdtischen und regionalen Ziele einschließlich der Autobahnen rund um Leipzig gewÃĪhrleistet.

– Die Entwicklung des Straßennetzes und die Beseitigung von EngpÃĪssen unter der Maßgabe, dass es sich bei dem Straßennetz der Stadt bereits um ein konsolidiertes Netz handelt bei dem aufgrund der Bebauungsdichte sowie der stÃĪdtebaulichen, sozialen und Ãķkologischen Anforderungen nur begrenzte ErweiterungsmÃķglichkeiten bestehen.

– Die Verlagerung von Verkehren auf den Umweltverbund und die Verringerung des MIV-Anteils. Dazu gehÃķren die weitere Entwicklung des ÖPNV- und des Radwegenetzes ebenso wie ein betriebliches und standortbezogenes MobilitÃĪtsmanagement.

– Der verfÞgbare Verkehrsraum ist begrenzt. Es mÞssen PrioritÃĪten bei der Straßenraumaufteilung und -gestaltung gesetzt werden. Dies kann nicht pauschal
sondern muss konkret fÞr die einzelnen Streckenabschnitte in AbhÃĪngigkeit von der Bedeutung fÞr die Verkehrsarten, der Randnutzungen und eventueller alternativer
Routen erfolgen. Eine Grundlage dafÞr ist auch die Definition eines Lkw-Netzes.

– Zur Gestaltung und Aufteilung des verfÞgbaren Straßenraumes gehÃķrt auch die Organisation des ruhenden Verkehrs. Die Anforderungen der Wirtschaft betreffen
hier vor allem die MÃķglichkeiten fÞr Belieferungen und LadevorgÃĪnge. Aber auch die AbwÃĪgung zwischen ruhendem Verkehr und fließendem Verkehr (ParkflÃĪchen oder ein zusÃĪtzlicher Fahrstreifen) ist standortkonkret zu treffen.

– Im Rahmen der Entwicklung des Gesamtverkehrssystems sollten auch frÞhzeitig innovative LÃķsungen und LÃķsungsansÃĪtze betrachtet werden. Beispiele fÞr derartige
LÃķsungsansÃĪtze wurden benannt. Allerdings lassen sich nur vage Aussagen zu den Erfolgsaussichten und Wirkungen derartiger LÃķsungen treffen. Teilweise kommt es zu unerwarteten RÞckkopplungen und Wechselwirkungen, die neue oder andere Probleme schaffen. Trotzdem sollten die Chancen innovativer LÃķsungsansÃĪtze genutzt werden, sei es in Form permanenter Information, so dass, wenn es positive Erfahrungen gibt, diese auch zeitnah fÞr Leipzig genutzt werden kÃķnnen. Eine weitere MÃķglichkeit auf diesem Gebiet besteht in der Teilnahme an bzw. DurchfÞhrung von Pilotprojekten.

– Letztendlich gehÃķrt zur Entwicklung des Gesamtverkehrssystems, dass die Maßnahmen kommuniziert und diskutiert werden, dass sie sich in Regelwerken und Konzepten wiederfinden und der rechtliche Rahmen fÞr die Umsetzung geschaffen wird. Daher sollte die Gestaltung des Wirtschaftsverkehrs in Leipzig als eine gemeinsame Aufgabe von Stadt und Wirtschaft angesehen und konzipiert werden.“

Die wichtigsten Punkte sind eindeutig: Verkehre reduzieren (also Verkehr durch kluge Stadtorganisation ÞberflÞssig machen, indem neue Wohn- und Gewerbegebiete von Anfang an durch ÖPNV gut erschlossen sind), EngpÃĪsse beseitigen und Verlagerung des Verkehrs auf den Umweltverbund (Rad, Fuß, ÖPNV).

Seltsam, dass genau das gegenwÃĪrtig die Leipziger Verkehrskonzepte bestimmt. Die Studie bestÃĪtigt die Leipziger Verkehrspolitik. Und die Arbeit von BaubÞrgermeisterin Dorothee Dubrau.

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