Man kann Leipzigs ÖPNV-Planer ja richtig ärgern, wenn man spaßeshalber vorschlägt, eine Straßenbahnlinie wieder mitten durch die Innenstadt zu legen. Dann bekommt man dieses ungläubige Kopfschütteln. Undenkbar. Deswegen wurde eigentlich die Buslinie 89 geschaffen, die mittendurch fährt. Außer dann, wenn die Fahrt des Busses durch die City richtig Sinn macht. Dann geht auf einmal gar nichts mehr. Worüber sich nicht nur Carsten Schulze-Griesbach wundert.

„Der Weihnachtsmarkt und die entsprechend besuchergefüllte Innenstadt verhindern die übliche Linienführung der 89 über Markt und Reichsstraße zum Hauptbahnhof. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, die Linie bis Weihnachten am Wilhelm-Leuschner-Platz enden zu lassen. Für die Fahrgäste aus dem Musikviertel und der westlichen Südvorstadt bleibt die Anbindung an zahlreiche Straßenbahnlinien erhalten, jedoch verlängert sich für einige Richtungen die Gesamtfahrzeit erheblich. Wie ein hingeworfenes ‚Pech gehabt – Es ist halt so!‘ wirkt diese Einkürzung auf die Fahrgäste. Das muss nicht sein!“, stellt er als Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn fest.

Bis heute ist nicht herauszubekommen, warum sich Stadt und LVB nicht einigen können, eine Route für den City-Bus auch dann freizuhalten, wenn Feste und Märkte die Innenstadt mit Buden zupflastern. Außer dass man unbedingt durch die Thomasgasse will, weil man die Haltestelle Neues Rathaus mitnehmen will.

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht bereits in der Kommunikation durch die LVB erhebliche Mängel. Denn der Bus fährt ja so falsch nicht. Aber was eigentlich im Dezember 2013 als großes neues Markenzeichen in den Leipziger ÖPNV-Beziehungen verkauft wurde, funktioniert an entscheidenden Stellen bis heute nicht.

Carsten Schulze-Griesbach: „Am Leuschnerplatz werden alle S-Bahnlinien erreicht, gleichermaßen wie am Markt oder Hauptbahnhof. Dieses wichtige Rückgrat des Nahverkehrs im 5-Minuten-Takt wird seitens der LVB nicht mal erwähnt, um die Erreichbarkeit weiter Teile Leipzigs mittels Umsteigen zu bewerben. Warum nicht? Über 15 Jahre nach Einführung des Verkehrsverbundes sollte bei dem wichtigsten Nahverkehrsanbieter das Verbunddenken angekommen sein! Die gute Umsteigequalität am Leuschnerplatz muss aktiv kommuniziert werden und nicht dem zufälligen Entdecken aufmerksamer Leipziger überlassen werden.“

Die Fahrplantafel, die die Abfahrtzeiten von S-Bahnen und Straßenbahnen zusammen anzeigt, steht an der Petersstraße, aber nicht auf der Haltestelleninsel der LVB. Dort wird auch am Fahrgastanzeiger keine einzige S-Bahn angezeigt. Und das, obwohl die Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz die zweitwichtigste im Innenstadtnetz der LVB ist. Aber im Grunde trifft dasselbe auch auf die Haltestelle Hauptbahnhof zu. Man hat zwar die Vernetzung 2013 groß angekündigt – aber wirklich umgesetzt und verstanden hat man sie nicht. Gerade aus LVB-Sicht hat man es noch immer mit zwei nicht korrespondierenden Systemen zu tun.

Und das trifft auch auf den verkniffenen Umgang mit der Buslinie 89 zu, die irgendwie gehalten wird, weil jede Abschaffung einen Sturm der Entrüstung hervorrufen würde. Aber das Potenzial der Linie wird überhaupt nicht ausgeschöpft. Warum fährt der Bus nicht im 10-Minuten-Takt durch die City, fragt Carsten Schulze-Griesbach.

„Zeitgemäß in einer stark wachsenden Stadt ist als Ausgleich für die geänderten Umsteigeverhältnisse das Anbieten eines 10-Minuten-Taktes. Das wäre ein bürger- und nutzerfreundliches Signal. Intensiv wird um neue, zukunftsweisende Mobilitätskonzepte gerungen. Die LVB kann hier ohne Mehraufwand demonstrieren, dass der ÖPNV eine wichtige Rolle einnehmen muss“, betont er.

Und weist darauf hin, dass auch der Ökolöwe schon einmal mit gutem Recht kritisiert hat, dass die Linie 89 immer genau dann eingekürzt wird, wenn sie in der City eigentlich am sinnvollsten ist. Bereits vor anderthalb Jahren wurde vom Ökolöwen angeregt, auch den regulären Verlauf der Linie 89 über den Leuschnerplatz (statt Thomaskirche) und Neumarkt/Reichsstraße zu legen.

„Bislang verweigern sich die LVB dieser fahrgastfreundlicheren Lösung. Der damit einhergehende 10- statt 15-Minuten-Takt ist ohnehin dringend notwendig. Überproportionale Einwohnerzuwächse im Musikviertel und Südvorstadt sowie das Gymnasium Telemannstraße erfordern diesen ‚kleinen‘ Schritt“, weist Schulze-Griesbach auf die nächste ungelöste Frage hin. Die Inbetriebnahme des Gymnasiums in der Telemannstraße hätte eigentlich eine Taktverdichtung auf der einzigen ÖPNV-Linie im Musikviertel zwingend gemacht.

„Leipzig wächst!“, mahnt Schulze-Griesbach. „Die Planung und Organisation des ÖPNV muss sich dringend dem Wachstumstrend anpassen. Nicht erst ‚morgen‘, wenn ‚Geld da ist‘, sondern ab sofort. Mit einfachen Mitteln, auch sehr kostengünstigen Mitteln. Das unprofessionelle Einkürzen der 89 und das starre Festhalten an ungünstigen Linienwegen sind Haltungen, die nicht zur Zukunftsfähigkeit des Nahverkehrs beitragen.“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar