Die Sache mit den drohenden Fahrverboten für Diesel-Autos beschäftigt auch die kleine AfD-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Die scheint nicht so recht überzeugt davon, dass Leipzigs Verkehrsplaner wissen, wie man einen Luftreinhalteplan so schreiben muss, dass künftig Diesel-Fahrverbote an der Pleiße ausgeschlossen sind. Man möge doch die Verkehrsexperten aus Dresden zurate ziehen, meinte die Fraktion. Die Antwort der Stadt ist durchaus erhellend.

Denn eigentlich nimmt man ja an, dass die Bundesrepublik irgendwo eine gut besetzte Abteilung hat, die moderne Verkehrssysteme für die Großstädte entwickelt, in denen es flutscht. Die gibt es nicht. Die meisten Verkehrsminister der Republik definierten ihr Amt als Dienststelle der großen deutschen Autokonzerne. Und richteten entsprechenden Unfug an.

Dass über 60 deutschen Großstädten eine Klage wegen Nichteinhaltung der Grenzwerte für die Luftbelastung am Hals hängt, hat genau damit zu tun: Mit einem bundespolitischen Verkehrsverständnis, das unfähig ist, moderne ingenieurtechnische Modelle zur Grundlage zu nehmen und die Verkehrsentwicklung genauso zu steuern.

Förderprogramme gibt es etliche. Doch letztlich überlassen sie es den Antragstellern – den Kommunen – den Verkehr jedes Mal für sich selbst neu zu erfinden. Entsprechend bunt gemixt sind jetzt die Vorstellungen, wie man aus der Sackgasse wieder herauskommt, in die man sich mit diesem letztlich unsinnigen Verkehrsdenken erst hineinmanövriert hat. Und das, obwohl man einige hochkompetente Forschungsinstitute besitzt im Land.

Eines steht sogar in Dresden.

Und da war es die Idee der AfD-Fraktion, im Stadtrat anzufragen, ob Leipzig dieses Institut jetzt in die Entwicklung seines neuen Luftreinhalteplans einbindet: „Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktur in Dresden beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Verkehrsinfrastruktur und den einhergehenden Problemen, u. a. beschäftigt sich Prof. Matthias Klinger an diesem Institut auch mit der Verkehrsökologie. Der Stadt Leipzig droht derzeit unter Umständen ein Rechtsverfahren mit der Folge eines Dieselfahrverbotes für Kfz, den Privat- und Wirtschaftsverkehr betreffend. Steht die Stadtverwaltung bezüglich eines drohenden Dieselfahrverbotes in Leipzig mit dem Fraunhofer-Institut Dresden derzeit in Verbindung?“

Die Antwort aus dem Planungsdezernat lautet: „Nein. Die Stadt Leipzig geht davon aus, dass mit Umsetzung der im Entwurf des Luftreinhalteplans vorgesehenen A-Maßnahmen, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vermeidbar sind.“

Denn tatsächlich hat sich Leipzig ja auch schon selbst einige Kompetenzen in der Verkehrssteuerung erarbeitet. Die werden freilich nicht immer umgesetzt, weil es am Geld fehlt. Oder weil die Widerstände in der Stadt (und im Stadtrat) zu groß sind. Denn schnelle Verkehrsflüsse bekommt man eben nicht einfach so geschenkt. Der Straßenraum ist begrenzt, und oft genug steht dort allerlei Zeug herum, das den Fluss behindert.

Natürlich wäre es spannend, von den Fraunhofer-Forschern zu erfahren, wie ein optimales Verkehrssystem in Leipzig aussehen müsste. Aber den Hinweis findet man ja schon in der IHK-Verkehrsstudie: Es braucht 1. einen gut ausgebauten und leistungsfähigen ÖPNV und 2. eine intelligente Steuerung per Elektronik.

Und letzteres steckt ja schon ein Stückchen weit in den vom Planungsdezernat benannten „A-Maßnahmen“. Das sind die fünf mit höchster Priorität versehenen Maßnahmen im Entwurf des Luftreinhalteplans, der jetzt dem Stadtrat vorliegt. Sie sollen die Zufahrt auf einigen wichtigen Hauptstraßen Richtung Innenstadt-Ring drosseln und durch verkürzte Grünphasen dafür sorgen, dass mehr Kraftfahrer schon an der Berliner oder der Marschnerstraße abbiegen auf das Tangentenviereck. Denn alle, die dort abbiegen, verstopfen nicht den übervollen Bereich Jahnallee, Gerberstraße, Hauptbahnhof.

Augenscheinlich sind auch Autofahrer Gewohnheitsmenschen und fahren geradeaus, wenn geradeaus „Grün“ bekommt. Auch wenn sie danach am Goerdelerring und der Gerberstaße ewig stehen und Zeit verplempern.

Und wenn weniger Fahrzeuge einfahren, sinkt logischerweise auch die Belastung mit Stickoxid. Das ist der Stoff in der Luftbelastung, der Leipzig aktuell noch richtig Sorgen macht. In den letzten beiden Jahren wurde gerade so der Grenzwert erreicht.

Man weiß also eigentlich, wie man die Autoströme umleitet und die Luftbelastung ein bisschen senkt.

„Sollte dies bisher nicht der Fall sein, wird die Verwaltung sich demnächst unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten an das Fraunhofer-Institut wenden, um optimale Ergebnisse und Handlungsempfehlungen für Leipzig zu erzielen?“, wollte die AfD-Fraktion noch wissen.

Und erfährt natürlich, dass das Fraunhofer-Institut in anderen städtischen Projekten natürlich eingebunden ist: „Eine Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) ist im Zuge der weiteren Bearbeitung des vorliegenden Entwurfs zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans nicht vorgesehen. Eine Einbeziehung des IVI erfolgt im Zuge der Erarbeitung des sogenannten Masterplans oder Green City Plans für Leipzig über den Projektpartner – die L-Gruppe. Der Green City Plan enthält verschiedene Arbeitspakete, die teilweise über die Maßnahmen im Luftreinhalteplan hinausgehen bzw. diese weiter untersetzen.“

Wir erfahren also zwei Dinge: Einerseits soll mit dem „Green City Plan“ versucht werden, noch mehr zu erreichen als mit dem Luftreinhalteplan. Und: Die Verkehrsplaner sind fest überzeugt, dass die Drosselung der Fahrzeugströme Richtung City-Ring funktioniert und die innerstädtische Luftbelastung deutlich sinkt.

Da diese Maßnahmen sofort umgesetzt werden sollen, wenn der Stadtrat den Luftreinhalteplan beschlossen hat, wird man womöglich schon im nächsten Jahr sehen, ob die Idee funktioniert.

Die Idee, dass man so etwas mit Menschen tun kann, nennt sich übrigens Nudging. Nudge bedeutet Stubs. Die Menschen werden also durch eine sanfte Beeinflussung angestubst, ihr Verhalten zu ändern. Die Methode haben der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein 2008 in ihrem Buch „Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ (deutsch Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt) beschrieben. Natürlich ist auch das eine mögliche Methode, Menschen zu Dingen zu verleiten, die ihnen nicht guttun und fatale Folgen haben. Die „Likes“ von Facebook sind so ein Beispiel.

Aber gerade ihr Gebrauch/Missbrauch zeigt auch, wie leicht Menschen solchen Ver-Führungen erliegen und ihr eigenes Verhalten ganz und gar nicht rational hinterfragen. Oder gar ihre eigene Rolle im täglichen Stauerlebnis. Denn augenscheinlich fahren ja tausende Leipziger immer wieder lieber in das Nadelöhr Innenstadtring, auch wenn sie übers Tangentenviereck schneller dran vorbei wären. Denn wirklich in die City wollen die wenigsten Autofahrer.

Vielleicht haben ja die Verkehrsplaner Recht und die Idee des ampelgesteuerten Nudging funktioniert in Leipzig.

Zurück in die Zukunft oder doch lieber endlich drüber reden? – Die neue LZ Nr. 53 ist da

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 53 beschäftigt sich mit Kulturkämpfen, alten Revolutionen und den Mühen der täglichen Zukunft

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar