Konjunkturanalysen sind wie Seismometer: Sie zeigen an, wie erdbebengefährdet bestimmte Teile der Wirtschaft sind. Oft genug geht das unter, weil allerlei Konjunkturdaten zu einer Gesamtwirtschaft erhoben werden, die es so nicht gibt. Selbst im Leipziger Handwerk zeigen die ersten Trends in völlig verschiedene Richtungen. Am Donnerstag, 1. November, stellte Handwerkskammerpräsident Ralf Scheler die neuen Zahlen vor.

Sie basieren auf Fragebögen, die von Juli bis September an 2.000 Handwerksbetriebe verschickt wurden. Die Meister und Chefs durften wieder bewerten, wie es ihrem Unternehmen geht, wie die Auftragslage ist, wie sich Investitionen und Personaleinstellungen entwickeln.

Das allgemeine Fazit: Dem Handwerk geht es aktuell noch gut. Die Auftragsbücher sind im Durchschnitt auf 8,7 Wochen hinaus gefüllt. Vor einem Jahr – als die Handwerker auch schon eine gute Lage attestierten – waren es 7,6 Wochen. Die Beschäftigtenzahl liegt bei durchschnittlich 8,2 – ist damit zwar leicht gesunken, aber das hat nichts mit Entlassungen zu tun. “Das Handwerk ist immer noch einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region”, sagt Scheler. Selbst die Erwartungen für die nächste Zukunft – und damit meinen auch Handwerker eher das nächste halbe Jahr als das ganze – sind gut. Trotz aller finsteren Zeichen am Krisenhorizont.

“Noch hat die Eurokrise nicht auf die regionale Wirtschaft durchgeschlagen”, sagt Scheler. Auch wenn die Probleme der Weltmärkte längst durchschlagen: Auch das Handwerk hat zunehmend mit gestiegenen Rohstoff- und Einkaufspreisen zu kämpfen. Und hat das Problem, dass das Einkommensniveau in der Region nicht so schnell steigt wie die Beschaffungspreise – die Handwerksbetriebe können die gestiegenen Beschaffungskosten nicht an den Kunden weiterreichen.

Nur 17,8 Prozent der befragten Betriebe sagen, dass sie ihre Verkaufspreise erhöhen konnten. Die Einkaufspreise sind aber in 56,6 Prozent der Betriebe gestiegen. Und werden weiter steigen. Denn mittlerweile haben sich die steigenden Energiekosten zu einem der drängendsten Probleme im Handwerk entwickelt. “Seit 2005 haben sich unsere Energiekosten verdoppelt”, sagt Scheler. Und kritisiert vor allem die Ziellosigkeit der Bundespolitik in Energiefragen. Keiner wisse mehr wirklich, wohin es geht. Die Großbetriebe wurden von Stromkosten entlastet – die Handwerksbetriebe zahlen genauso drauf wie die Privatkunden. Andererseits schafft es der Bund nicht einmal, ein stringentes Förderprogramm für die energetische Sanierung des Gebäudebestandes aufzulegen. Das würde nicht nur zahlreichen Handwerkbetrieben Aufträge verschaffen, es würde auch tatsächlich erreichen, was mit der “Energiewende” so fröhlich in die Welt posaunt wurde: eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs.

Die Unternehmen aus der Baubranche gehören freilich derzeit zu jenen, die wenig Tamtam veranstalten. Bei einigen von ihnen – besonders aus dem Ausbaugewerbe – sind die Auftragsbücher auf Monate hinaus gefüllt. Auslastungsgrad über 100 Prozent. Denn augenblicklich investieren eben doch viele Gebäudeeigner noch einmal kräftig in die Bausubstanz, legen das Geld nachhaltig an, so lange es da ist. Es wird saniert, modernisiert und gedämmt. Und in Leipzig auch wieder neu gebaut. Der Bevölkerungszuwachs macht auch Bau- und Sanierungsprojekte attraktiv, die sich 20 Jahre lang nicht lohnten.

Was auch zu einem Leipziger Sondereffekt führt: Es gibt mehr Unternehmensgründungen im Handwerk als sonst in Sachsen.
Was freilich auch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Betriebe im Kfz-Handwerk so langsam Probleme bekommen. Beim Neuwagengeschäft ist – nach dem Feuerwerk im Gefolge der “Abwrackprämie” – deutlich zu spüren, dass der Markt gesättigt ist. Der Kauf von Neuwagen ist rückläufig. “Nur die Werkstätten melden noch stabile Auftragslagen”, sagt Scheler. Die Zukunftsaussichten der Kfz-Betriebe sind entsprechend getrübt. Denn wenn sich das Mobilitätsverhalten der Sachsen ändert, muss sich zwangsläufig auch diese Branche ändern, kann nicht Jahr um Jahr erneut darauf hoffen, der Export würde dem deutschen Autobau neue Flügel verleihen. Schon der leichte Dämpfer der Weltmärkte im Gefolge der südeuropäischen Schuldenkrise hat den Absatz der deutschen Autobauer schrumpfen lassen.

“Wobei wir uns ja seit 2008 die ganze Zeit in einer Krise befinden”, stellt Scheler fest. Und sagt damit ein wahres Wort, dass all die politischen Krisenmanager wohl nicht gern hören wollen: Die Finanzkrise von 2008 hat nur in den vier Jahren ihren Charakter und ihren Brandherd verändert – gelöscht ist der Brandherd nicht. Und allein immer neue Milliarden werden ihn auch nicht löschen. Ein ganzes Wirtschaften auf Pump steht in Frage, braucht völlig neue Lösungen – und damit wohl auch Politiker, die über die üblichen Strohfeuereffekte hinauszudenken vermögen.

Spürbar ist das auch längst beim Fachkräftebedarf. Ein Thema, das alle Beteiligten seit fast genau 20 Jahren auf Sachsens Wirtschaft zurauschen sahen. Die halbierten Geburtenjahrgänge von 1993 sind längst in der Berufsausbildung angekommen. Das macht sich bemerkbar, auch wenn gerade die Handwerkskammern frühzeitig begannen, Programme zur frühzeitigen Nachwuchsgewinnung aufzulegen. Was das Problem jetzt zwei Jahre lang noch dämpfte. Aber die ersten Zeichen deuten darauf hin, dass auch das Handwerk in nächster Zeit akute Probleme mit der Fachkräftegewinnung bekommen wird.

Mit Betonung auf Fachkräfte.

Denn die Probleme tauchen zuerst da auf, wo von den Berufsbewerbern auch höhere Bildungsvoraussetzungen verlangt werden. Gerade im Elektrotechnikerhandwerk gibt es schon seit geraumer Zeit Probleme, geeignete Bewerber zu bekommen, stellt die Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers der Handwerkskammer zu Leipzig, Dagmar Ehnert, fest. “Das Problem betrifft im Grunde alle Gewerke, die gute naturwissenschaftliche Vorkenntnisse verlangen”, betont Scheler. Auch deshalb bemühten sich einige Betriebe und auch die Handwerkskammer selbst, frühzeitig in Kontakt mit Schulen, Lehrern und Schülern zu kommen. “Möglichst schon in der siebenten und achten Klasse”, so Scheler.

Denn da können noch Weichen gestellt werden und kann vor allem die Motivation der jungen Leute gestärkt werden. Dass zehn Prozent der Leipziger Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, hat ja nichts mit der Unfähigkeit zu Lernen zu tun, sondern viel mit Motivation. Motivation, die oft im Elternhaus schon fehlt. Wo Eltern selbst demotiviert zu Hause sitzen, werden sie eher keine Ermunterer für ihren Nachwuchs sein.

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Aber auch das sächsische Bildungssystem mit seiner gepflegten Praxisferne ist eher ein Demotivator als eine Einrichtung, in der junge Menschen Lust darauf bekommen, ihre Chancen für einen anspruchsvollen Beruf zu verbessern.

Dass 300 Ausbildungsplätze im Handwerk im Herbst 2012 nicht besetzt werden konnten, hat zur Hälfte mit der demografischen Entwicklung zu tun – und zur anderen Hälfte mit der Tatsache, dass jene Jugendlichen, die sich bewerben, die notwendigsten Voraussetzungen nicht erfüllen.

“Das ist ein ganz heikles Thema”, sagt Scheler. “Und wir allein werden es wohl nicht lösen können.”

Denn das Loch, das da aufreißt, wird sich ja in den nächsten Jahren noch vergrößern. Die Bewerberzahlen steigen zwar wieder leicht. Aber das Schulsystem ist nach wie vor das alte.

In den Unternehmen weiß man um das aufkommende Problem. “Da heißt die Devise eindeutig: Personal halten, wo immer es geht”, sagt der Handwerkskammerpräsident. Denn wer seine Leute verliert, wird sie in naher Zukunft nicht wieder rekrutieren können, weil alle Betriebe ein Fachkräfteproblem bekommen werden. Da wird schon jetzt mit Prämien und leichten Lohnerhöhungen gearbeitet, um die Belegschaft zu halten. Von der Einführung eines Mindestlohns hält Scheler nichts. Weiß aber auch, dass sich das Lohnniveau im Leipziger Handwerk wohl bald schon über die simple Wettbewerbssituation erhöhen wird.

Und die Nachwuchsprobleme werden zuallererst die kleinen Handwerksbetriebe bekommen. “Die großen können auch niedriger qualifizierte Leute einstellen und auf eng begrenzten Arbeitsgebieten gut einsetzen”, spricht Scheler aus eigener Erfahrung als Unternehmer. “In einem kleinen Betrieb aber braucht man Leute, die alle Aufgabenfelder beherrschen und überall einsetzbar sind, also eigentlich nur die Guten.” Und gerade die sind rar gesät.

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