Wohin driftet Leipzig? Was gilt es zu tun? Die Bevölkerung wächst, in einigen Stadtviertel steigen die Mieten schon deutlich. Am 21. März gab es eine geschlossene Veranstaltung, bei der Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) mit denen diskutierte, die er zur Lösung der anstehenden Wohnraumprobleme dringend braucht: den Vertretern der Freien Immobilien- und Wohnungsunternehmen. 100 Gäste waren geladen.

Und Frank Müller, Vorstandschef des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) Mitteldeutschland, erklärte bei diesem 17. Leipziger Immobiliengespräch, dass der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) den neu gewählten Oberbürgermeister Burkhard Jung nach Kräften unterstützen werde.

Denn Leipzig bleibt nach Einschätzung von OBM Jung (SPD) auf Wachstumskurs. Bis zum Jahr 2020 werde die Einwohnerzahl von derzeit 542.000 auf rund 600.000 steigen, sagte er.

Damit nehme auch die Nachfrage nach Wohnungen zu, sagte Jung beim Immobiliengespräch Leipzig mit den Branchenfachleuten. Zugleich lud Jung Investoren ein, in die vorhandene Gebäudesubstanz zu investieren. “In der Stadt gibt es noch genügend leerstehende Häuser”, erklärte er und verwies auf die Historie. Die Messestadt sei für rund eine Million Einwohner gebaut worden.

Zumindest hatten die Stadtplaner in den 1920er Jahren solche Visionen. Den höchsten Bevölkerungsstand erreichte Leipzig um 1933 mit 713.470 Einwohnern. Doch wer sich die Wohnungsbaugeschichte der Stadt in den 1920er Jahren genauer betrachtet, sieht auch, welch ein Kraftakt es für die damaligen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften war, überhaupt genug angemessenen Wohnraum für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Selbst für die 713.000 war das Wohnungsproblem noch nicht wirklich gelöst – auch in der NS-Zeit musste weiter Wohnraum neu gebaut werden. Ein Großteil der Wohnstruktur aber wurde im Bombenhagel des 2. Weltkrieges wieder zerstört, die Mangelwirtschaft der DDR tat ein übriges. Auch der Bau eines neuen Wohngebietes für geplante über 90.000 Bewohner in Grünau löste das Problem bis zur deutschen Einheit von 1990 nicht.

Die Sanierung der Gründerzeitbestände kam erst Mitte der 1990er Jahre in Fahrt, nachdem sich die Steuerabschreibungsmodelle der Kohl-Regierung für Neubauten geradezu als destruktiv für die historischen Altstädte erwiesen hatten. Mit der Sanierung der Innenstadt kam auch der Prozess der Re-Urbanisierung in Gang, der Leipzig seit dem Jahrtausendwechsel einen Bevölkerungszuwachs von knapp 50.000 verschafft hatte. Was auch den Wohnungsleerstand drastisch reduziert hat. Auf geschätzte 30.000. Aber die Zahl hat ihre Unwägbarkeiten. Genaueres wird man wohl erst nach Auswertung der Ergebnisse des “Zensus 2011” wissen.

Wenn die Zahl aber einigermaßen hinkommt und man nur 2 Personen pro Wohnung rechnet, fehlen mindestens 20.000, wahrscheinlich eher 30.000 Wohnungen bis 2020. Wohnungen, die jetzt gebaut oder saniert werden müssen, so sie noch im Bestand existieren.

Leipzig hat zwar 1999 bis 2000 kräftig eingemeindet. Aber ob damit Wohnraum für 1 Million Einwohner vorhanden ist, daran darf gezweifelt werden.

Die Dimension von 1 Million Einwohner war immer nur Grundlage der Verkehrsplanungen. Unter anderem für das schon in den 1920er Jahren geplante System aus Magistralen und Ringen. Drei Gesellschaftsordnungen haben diese alten, tatsächlich für eine Millionenstadt des frühen Kfz-Zeitalters entworfenen Pläne immer wieder hervorgeholt. Mal rissen die Nazis eine Auto- und Aufmarschschneise quer durchs Stadtgebiet, mal nutzten die sozialistischen Städteplaner die Wüsten des 2. Weltkrieges, um die alten Straßenräume aufzureißen. Und was die Planer der letzten 20 Jahre mit ihren breiten Straßenplanungen im Stadtraum anrichteten, kann man durchaus recht kritisch betrachten.Die Diskussionen um die künftige Verkehrsplanung der Stadt haben zwar gezeigt, dass für eine Stadt dieser Größenordnung zwar genug Verkehrsraum existiert. Aber auch wenn die Bürger darauf drängen, die rücksichtslosen Planungen für die Routen des “Mittleren Ringes” im Osten und Süden endlich zu begraben – so recht scheint die Verwaltung von diesen 90 Jahre alten Visionen noch nicht Abschied nehmen zu wollen.

Es betrifft in großen Teilen auch Stadtgebiete, die in den nächsten Jahren eine wesentliche Rolle bei der Aufnahme der wachsenden Bevölkerung spielen werden.

Der Unterschied ist nur: Das 21. Jahrhundert kann nicht einfach da weiter machen, wo die Planer der 1920er Jahre ihre Träume in die Zukunft malten. Denn große Verkehrsstrukturen brauchen nicht nur immense Investitionen, die auf mindestens acht Jahre hinweg – also die komplette neue Amtszeit von Burkhard Jung – nicht darstellbar sind. Sie erfordern auch regelmäßig neue Sanierungsinvestitionen. Ohne dass Leipzig bis heute gelungen wäre, den Sanierungsstau des Jahres 1990 auch nur abzuarbeiten. Welche Dimensionen das hat, sieht man aktuell in der Lützner Straße und in den nächsten Jahren in der Karl-Liebknecht-Straße, der Könneritzstraße, der Wurzner Straße, der Georg-Schumann-Straße …

Die Stadtpolitik ist verdammt dazu, den Verkehr in der Stadt genauso nachhaltig zu organisieren wie die Instandhaltung der Verkehrsstrukturen.

Was auch bedeutet, die Wohnungspolitik im selben Kontext zu sehen. Denn der zunehmende Bevölkerungszuwachs ist mit dem so lange favorisierten Automobil nicht mehr zu bewältigen. Neue Wohngebiete müssen mit umweltgerechten und vor allem bezahlbaren Verkehrsträgern erschlossen werden.

Frank Müller plädierte beim Immobiliengespräch für Stadtentwicklungskonzepte, die die Attraktivität der Kommunen für die kommenden 20 Jahre sichern. “Trotz der Erfolge bei der Stadtsanierung verzeichnen gerade innerstädtische Quartiere oft hohe Leerstände in unsanierten Gebäuden”, so Müller. Aus diesem Grund sei eine strategische Ausrichtung des Stadtumbaus auf die Stärkung der Stadtteile und der Stadtteilzentren durch Aufwertung, Lückenneubau und konzentrierten Rückbau notwendig. “Dafür sind städtebauliche Fördermittel auch über den Zeitraum von 2014 hinaus von Bund und Ländern zur Verfügung zu stellen, damit dieser wichtige Entwicklungsprozess nicht ins Stocken gerät.”

Dabei komme dem Denkmalschutz eine Schlüsselrolle zu. Müller zufolge muss die Stadtentwicklung zudem in besonderem Maße der demografischen Entwicklung Rechnung getragen werden. Die Zahl der älteren Menschen steigt und damit der Bedarf an alten- und behindertengerechten Wohnungen. Zudem fordert Müller: “Wir brauchen Planungssicherheit bei der konkreten Ausgestaltung der Energiewende im Immobilienbereich. Erneuerbare Energien, Energieeinsparung, Gebäudedämmung und Denkmalschutz müssen zueinander passen und in ihrem austarierten Wechselverhältnis verlässlich bleiben.”

Was natürlich heißt, dass Städte wie Leipzig verlässliche Partner mindestens auf der Höhe des Sächsischen Innenministeriums brauchen – mit nachhaltig planbaren Investitionszusagen. Aber schon in der sächsischen Landespolitik gibt es die Infrastrukturförderung nicht aus einer Hand. Der Verkehrsminister gibt das Geld für Verkehrsprojekte aus – gern für Parkplätze und Ortsumgehungen, es gibt keine Abstimmung mit dem Innenminister, der für die direkte Städtebauförderung zuständig ist. Dass die demografische Entwicklung damit aufs Engste verbunden ist, spielt in der sächsischen Politik auch keine Rolle – die Förderung für ausgewählte Demografieprojekte läuft direkt über die Staatskanzlei.

So lange derart in Ressorts gedacht wird, werden die Städte sich auch weiterhin abkämpfen in dem verzweifelten Versuch, überall ein paar Fördersümmchen zusammenzukratzen, um die anstehenden Veränderungen überhaupt mit Geld unterfüttern zu können.

Appelle wie die von Frank Müller verhallen immer wieder ungehört. Man weiß jetzt zwar wieder, wo in Leipzig 2020 die Latte hängt. Aber die Lösungen stehen noch aus. Und wenn das Thema wieder verschlafen wird, ist eigentlich ja bekannt, wie die Leipziger Lösung dann wieder heißt: Systembauweise.

www.bfw-bund.de

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