Es war zwar kein Rekordjahr, aber ein Jahr mit einigen Rekorden, dieses Jahr 2015 in Leipzig. Gerade der Dezember fiel auf mit frühlingshaften Temperaturen und einem neuen Weihnachtsrekord. Aber warum schreibt ein Gohliser über das Wetter in Leipzig?

Der Gohliser Michael Jung ist mittlerweile im Netz eine kleine Berühmtheit. 2007 hat er sich im Garten eine eigene kleine Wetterstation aufgebaut. Ein Faible für die Wetterbeobachtung hatte der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst schon vorher. Da schenkte ihm seine Frau halt zu Weihnachten einfach mal eine Wetterstation aus dem Discounter. Die ging dann freilich gleich mal zu Bruch, so dass sich Jung entschloss, sich im Internet eine richtig professionelle Station zu besorgen. Die Erste bekam gleich mal Softwareprobleme, die nächste funktionierte dann. Denn der Hobby-Meteorologe wollte nicht nur für sich selbst Daten sammeln – so wie einst sein Großvater, der selbst eine kleine Station hatte und über Jahrzehnte eifrig Temperaturen und Niederschlagsmengen aufschrieb. Jung wollte die aktuellen Daten aus seiner Station auch gleich online für die Wetter-Gemeinde sichtbar machen.

Alle 5 Minuten werden die Daten automatisch per Funk aktualisiert. Gleichzeitig beliefert Jung zahlreiche Netze, in denen sich die Wetter- und Blitz-Freunde europaweit zusammengetan haben, um Daten zu sammeln. Die moderne Elektronik macht etwas möglich, wovon die Meteorologen vor wenigen Jahrzehnten noch träumen mussten: Ein immer kleinteiligeres, feinmaschigeres Netz von Messstationen. Die sind dann zwar nicht amtlich, liefern aber mit der professionellen Technik im Grunde Daten, die denen des Deutschen Wetterdienstes nicht nachstehen.

Und Michael Jung zeigt in diesem Buch in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Direktor des Instituts für Geophysik und Geologie der Uni Leipzig, Prof. Dr. Franz Jacobs, was man mit den heutigen Möglichkeiten auf der Ebene der lokalen Wetterforschung eigentlich erreichen kann. Noch hat Leipzig kein eigentliches meteorologisches Messnetz. Aber wenn man die vorhandenen Messstationen zusammennimmt, wird das schon mal so ein Anfang, mit der Station der Universität Leipzig in Zentrumsnähe, der Messstation Holzhausen und der offiziellen DWD-Station in Schkeuditz hat man schon drei Stationen, die schon über Jahrzehnte verlässliche Messreihen liefern (wenn auch mit leicht veränderten Standorten). Mit der Gohliser Station von Michael Jung ist praktisch die erste privat betriebene Messstation dazugekommen, die aber binnen weniger Jahre schon eine Menge Aufmerksamkeit nicht nur bei (Hobby-)Meteorologen, sondern auch bei den ganz einfach aufs Wetter neugierigen Leipzigern gefunden hat. Die Einprägsamkeit der Webadresse leipzig-wetter.de wird ein Übriges dafür getan haben.

Aber die Aktualität der Messdaten bedient natürlich auch eines der größten Interessen der Menschen, die selbst dann, wenn sie nur die Nase aus dem Fenster halten müssen, doch gern wissen wollen, wie das Wetter „wirklich“ ist. Oder war. Denn seit 2007, seit Michael Jung seine Station am Laufen hat, sind natürlich auch eine ganze Reihe extremer Wetterereignisse über Leipzig gezogen: Da gab es ein paar heftige Stürme, einzelne sogar mit Orkanstärke. In mehreren Sommern gab es die mittlerweile typischen Starkregenereignisse, die so sinnfällig sind für die zunehmende Erwärmung der Atmosphäre: Gerade im Sommer, wenn sich die heißen Luftkissen über Europa ballen, entladen sich die riesigen Wassermengen, die mal vom Atlantik, mal vom Mittelmeer über Mitteleuropa ankommen, wie Sturmfluten, sorgen dafür, dass die Kanalisation binnen Minuten überläuft, Keller absaufen und die Flüsse anschwellen.

Das Herannahen der Regenmassen, die im Juni 2013 Leipzigs Flüsse anschwellen ließen, hat zumindest einer der beiden Autoren live bei einer Schulung beim Deutschen Wetterdienst erlebt. Man weiß nicht immer, welcher von beiden gerade das textliche Zepter in der Hand hat. Aber beide zeigen natürlich, mit wie viel Sachlichkeit man über Wetterphänomene schreiben kann. Für einige der Extremereignisse der letzten Jahre liefern sie auch die besonderen physikalischen und meteorologischen Erläuterungen mit – die man heutzutage auch in vielen Wetternachrichten der Medien nicht mehr findet, weil den Redaktionen die Zeit oder der Atem fehlt, solche Dinge zu erklären.

Aber nicht jede Veränderung zeigt sich natürlich als Extrem, auch wenn im Sommer 2015 einige deutsche Rekorde purzelten, insbesondere in der heißen Phase im Hochsommer, als etwa in Kitzingen über 40 Grad Celsius offiziell gemessen wurden.

Da Jacobs und Jung das ganze Jahr 2015 systematisch Monat für Monat abhandeln, steigt man natürlich gleich von Anfang an mit ein in die Diskussion, die mittlerweile aus der Debatte um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf das lokale Wetter nicht mehr wegzudenken ist. War es nun zu warm? Oder reiht sich das Jahr in langjährige Normaltrends ein? Aber um klimatische Veränderungen abzubilden, braucht man natürlich den Vergleich mehrerer jahrzehntelange Perioden, braucht auch eine Referenzperiode, deren Messdaten sichtbar machen, ob die gegenwärtigen Jahre sich nun deutlich unterscheiden oder nicht.

Und natürlich ist es so, dass sich in der Gegenwart die besonders warmen Jahre ballen. Das Jahr 2015 wurde zwar im Leipziger Vergleich der vergangenen 100 Jahre nur die Nr. 3, je nach Messstation auch die Nr. 4 (nach 1934, 2014 und 1949). Aber schon im Januar zeichnete sich ab, dass es am Ende wieder rund 2 Grad überm Referenzwert von 8,8 Grad Celsius landen könnte. Und das hörte in den Folgemonaten nicht auf. Jeder einzelne Monat bis zum Spätsommer lag überm langjährigen Durchschnitt, erst der Herbst brachte eine deutlich kühlere Phase. Hätten Oktober und November genauso weitergemacht wie die Monate davor, Leipzig hätte den Temperaturrekord von 1934 (11,2 Grad) wahrscheinlich geknackt.

Tatsächlich hat das Jahr 2015 den Trend bestätigt, dass das Wetter in Leipzig zunehmend wärmer wird, dafür phasenweise (gerade im Frühjahr und Frühsommer) deutlich niederschlagsärmer und öfter von Extremereignissen geprägt ist.

Was aber die Autoren natürlich besonders interessiert, ist die Frage, ob die Stadt Leipzig vielleicht so etwas wie eine Art Wetterscheide ist (manches meteorologische Phänomen wie etwa der Zug von Gewitterfronten deutet darauf hin). Aber interessant ist natürlich auch, ob es selbst innerhalb Leipzigs mehrere verschiedene Mikroklimata gibt, sich das Wetter zwischen den Stadtgebieten nicht in wichtigen Details sogar unterscheidet.

Dazu haben die beiden Autoren ja nur die Station der Universität Leipzig als Vergleichspunkt und es deutet sich zumindest an, dass es an einigen Tagen spürbare Unterschiede bei der Temperaturentwicklung und bei den Niederschlagsmengen gibt. Das wäre natürlich eine spannende Ergänzung zum Forschungsprojekt des DWD in Leipzig, das 2014 startete und mit dem vor allem die Hitzebelastung der Stadt erforscht wird.

Keine Überraschung ist natürlich, dass sich das Gohliser Wetter nur in Nuancen vom Gesamtwetter der Stadt unterscheidet. Um so markante Unterschiede aufzuzeigen, wie sie 2015 in der gesamtdeutschen Wetterlage vor allem zwischen dem Westen und dem Osten der Republik sichtbar wurden, ist Leipzig natürlich viel zu klein. Hier ist eher interessant, wie sich lokale Gegebenheiten auswirken. Und natürlich wäre auch ein engmaschiges Messnetz in der ganzen Region interessant, denn wenn Niederschlagsdaten darauf schließen lassen, dass es außerhalb der Stadt (in Schkeuditz) deutlich weniger Niederschläge gab als innerhalb der Stadt, dann könnten hier durchaus signifikante Unterschiede in den lokalen Klimabedingungen sichtbar werden. Bis hin zu der Frage, ob Leipzig als Stadt nicht selbst zum wetterbeeinflussenden Faktor wird – und zwar nicht nur beim Temperaturgefälle zwischen aufgeheizter Innenstadt und kühlerem Umland.

Alles Fragen für die Zukunft. Vielleicht finden sich ja noch mehr ambitionierte Hobby-Meteorologen, die das Datennetz erweitern und damit auch der Forschung eine Datenfülle zur Verfügung stellen, die es so bislang noch nicht gab.

Franz Jacobs, Michael Jung Leipzig-Wetter aktuell, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, Leipzig 2016, 19,50 Euro.

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