Sie ist Geschäftsführerin der SHIA (Selbsthilfegruppen Alleinerziehender (SHIA) e.V. LV Sachsen), als Künstlerin in Leipzig nicht mehr wegzudenken und als Gewerkschafterin für Ver.di aktiv: Die Leipzigerin Brunhild Fischer. Im Gespräch mit Vera Augspurg gibt sie ihre klaren Statements zur Regierungskoalition in Sachsen, den neuen Möglichkeiten für Familien nach der Regierungsbildung, den offenen Baustellen der sächsischen Gewerkschaften und natürlich auch zur Kunst.

Die neue sächsische Staatsregierung hat im Koalitionsvertrag viel zu Familie festgehalten. Welche Erwartungshaltung haben Sie als Sprecherin der Alleinerziehenden in Sachsen an die neue Staatsregierung?

Es muss jetzt eine genaue Bestandsaufnahme der Lebenswirklichkeiten von Einelternfamilien im gesamtgesellschaftlichen Kontext Sachsens erfolgen. Vor allem die tatsächliche Arbeits- und Einkommenssituation Alleinerziehender muss  zur Kenntnis genommen werden, denn daraus ergeben sich die Risiken wie Armut und Ausgrenzung in den verschiedensten Bereichen wie kulturelle Teilhabe, bei Bildungs- und Freizeitangeboten,  schlechter Wohnqualität und  besonders in strukturschwachen Regionen die fehlende Mobilität. Noch mehr als andere Familienformen leiden Einelternfamilien an Über- und Doppelbelastung, sind häufiger gesundheitlich angeschlagen. Hier hoffe ich auf Strategien, die auf Landesebene und in den Kommunen erarbeitet werden.

Was konkret sollte denn da drinstehen?

Familiengerechte Arbeitszeiten zum Beispiel, das täte auch allen Familienformen gut. Keine verpflichtenden Schicht- und Wochenenddienste und eine 30-35h-Woche für Alleinerziehende und Paarfamilien mit Kindern unter 12 bei angestrebtem Lohnausgleich und Mindestlohn in allen Branchen. Klingt utopisch, aber in vielen Mittelständischen Unternehmen werden schon Modelle ausprobiert.

Haben Sie schon konkrete Veränderungen in den letzten Monaten festgestellt in Sachsen?

Erstmalig, seit vielen Jahren, wird eine Konzeption für ein Zentrum für  Alleinerziehende auf den Weg gebracht. Unterstützt wird dies durch das Sozialministerium und unter der Schirmherrschaft des Wirtschaftsministeriums wird eine Fachdiskussionsreihe als Wirtschaftssozialforum zum Thema „Familiengerechte Arbeitszeitmodelle“ in 2015 fortgesetzt. Ein Gesprächstermin mit der Ministerin für Gleichstellung und Integration Petra Köpping zeigte mir die Offenheit und Bereitschaft zur konkreten Umsetzung integrations-, gleichstellungs- und familienorientierter Themen, dazu werden ganz konkrete Maßnahmen aktuell beraten. Also, es bewegt sich was.

Toll wäre jetzt noch die Einrichtung eines Info- und Beratungsbüros „FAMILIENGERECHT“ für kleine und mittelständische Unternehmen beim Wirtschaftsministerium. Das wäre sehr zu begrüßen.

Sie haben einen Wunsch frei – was müsste im Sinne der Alleinerziehenden in Sachsen morgen geändert werden?

Einen? Wie viel Zeit und Platz hab ich (lacht)? Schon heute müsste es eine Verpflichtung auf allen politischen Ebenen geben, auf Alleinerziehende zugeschnittene Bildungs- und Beratungsangebote in Beratungsstellen anzubieten. Alle familienbezogenen Einrichtungen wie Familienzentren, Beratungsstellen, Mehrgenerationenhäuser sind auf das Thema Alleinerziehende hin zu sensibilisieren und haben speziell für Alleinerziehende gekennzeichnete Angebote vorzuhalten.
Als nächstes stimmt dann Sachsen im Bundesrat für die Abschaffung der besonders harten Besteuerung von Alleinerziehenden durch die Steuerklasse II und es gibt ein gesetzliches Recht auf familiengerechte Arbeitszeiten zwischen 8: 00 und 15:00 Uhr und die 30h-Woche mit einem die Existenz sichernden Einkommen. Also eigentlich ganz einfach.

Sie sagen auch immer Familienpolitik müsse ‚vom Kind her‘ gedacht werden. Was meinen Sie damit genau?

Dieser Ansatz dient nicht nur Alleinerziehenden, sondern ist für alle – Kinder, Jugendliche, Eltern, Familien in all ihren Daseinsformen – ein guter Weg. Das bedeutet ein barriere- und somit kostenfreier Zugang zu Bibliotheken, Kinder- und Jugendtheater und zu Musikbereichen. Kreative und künstlerische Sport- und Freizeitangebote für alle Kinder in erreichbarer Nähe – das ist kein Luxus, sondern sollte schnellstmöglich umgesetzt werden. Dazu gehört auch die kostenfreie Kita- und Schulspeisung in einer kostenfreien Kita, der kostenfreie Schülertransport und in naher Zukunft eine kostenfreie Mobilität für alle Kinder und Jugendlichen in Sachsen. Die kostenfreie allumfassende Gesundheitsvorsorge für Kinder und Jugendliche muss mit allen politischen Ebenen geklärt werden.

Die sächsischen Familienverbände sind ja sehr breit aufgestellt, vom Katholischen Familienverband bis zum Familiendachverband der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, vom Deutschen Familienverband, dem Verband Alleinerziehender Mütter und Väter und Ihnen als Landesfamilienverband Selbsthilfegruppen Alleinerziehender sind alle dabei. Was eint eigentlich all diese Verbände?

Die Verbände sind familienpolitisch in den wichtigsten politischen Gremien auf Landesebene aktiv und die Angebote und Projekte der Familienverbände richten sich an alle existierende Familienformen, Ehen, Patchwork- Regenbogen- und alleinerziehende Familien. Wir verstehen uns als Dachorganisation für die politische Interessenvertretung sächsischer Familien. Demzufolge haben wir auch ein breites Familienleitbild. Das Leitbild der LAGF sieht Familien in allen Formen als Familie an, egal ob verheiratet oder nicht, mit oder ohne Kinder, ob Regenbogenfamilien oder nicht. Das heißt für uns auch, dass die aktuelle Familienpolitik als eine Sozial- und Familienpolitik verbindende Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik arbeiten muss. Also eine zukunftsorientierte Gesellschaftspolitik, die allen Familienformen gleichberechtigt existenzielle Rahmenbedingungen bietet. In der ganzen Bandbreite erhoffen wir uns als Familienverbände für unsere Arbeit von der neuen Staatsregierung eine kontinuierliche, langfristigere Förderung über die reine Projektförderung hinaus. Wir sind da aber sehr zuversichtlich.

Sie sind auch als Gewerkschafterin aktiv und haben sich der Vertretung für die Künstlerinnen und Künstler in ver.di verschrieben. Was sind denn da Baustellen, die die klassische Gewerkschaftsarbeit aufnehmen muss, um auch die künstlerische Seite zu vertreten?

Neben einem klaren ver.di-Bekenntnis gegen Einkommensarmut in künstlerischen Berufen, gibt es viele weitere Themen. Wir brauchen den barrierefreien, einkommensunabhängigen Zugang zur Künstlersozialkasse für alle Künstler_innen. Übrigens zählen für mich die Soloselbständigen in vielen weiteren Branchen dazu. Honorartätigkeiten sollten nur noch nach Honorarordnungen mit einer Existenz sichernden Vergütung geregelt werden und es muss Schluss sein mit der Einstellung, dass künstlerische Tätigkeiten ausschließlich im Ehrenamt ‚erledigt‘ werden. Auch hier muss gelten: von künstlerisch-schöpferischer Arbeit muss man leben können! Ich denke, die Förderung von Kunst und Kultur als Förderung von Demokratie muss als Daseinsvorsorge und als Pflichtaufgabe im Grundgesetz verankert sein.

Wie sehen Sie allgemein die Stellung der Gewerkschaften in Sachsen in der  Zukunft und wo klemmt‘s auch intern?

Also ganz ehrlich: Mitunter sind mir auch in Sachsen die Gewerkschaftsrituale immer noch zu männlich dominiert und orientieren sich in der Mehrheitsmeinung noch zu sehr am männlichen Industriefacharbeiter.  Aber Gewerkschaften sind nur dann zukunftsfähig, wenn sie nach allen Seiten schauen. Die Arbeitswelt hat sich verändert, das sollten Gewerkschaften nachvollziehen.
Aktuell denke ich, sind die Gewerkschaften nicht nur durch unterschiedlich stattfindende Tarifauseinandersetzungen in der Öffentlichkeit sicht- und spürbar. Insbesondere dem Thema Pegida gilt die inner- wie außergewerkschaftliche Aufmerksamkeit. Bei einem gemeinsamen Miteinander für ein demokratisches Sachsen spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle. Es müssen natürlich auch noch viele weitere Themenfelder bearbeitet werden, Einkommensarmut bestimmter Personengruppen, die schlechte Bezahlung in verschiedenen Branchen, die besonders belastende Versteuerung der Erwerbseinkommen von Alleinerziehenden und, und, und… .Da gibt es noch sehr viel Handlungsbedarf!

Was steht als nächstes bei der Künstlerin Brunhild Fischer an? Wo findet das nächste Konzert statt?

Wer mich und meine Kunst sehen und hören will, kann das am 14. März anlässlich der Buchmesse im Gohliser Schlösschen. Aber auch weiter weg bin ich aktiv: am 25. April spiele ich zur Eröffnung einer Gemeinschaftsausstellung der beiden GEDOK Künstlerinnengruppen Leipzig und Bonn mit dem Thema „Neue Bahnen“ in Bonn.  Anlass ist das diesjährige Jubiläum der deutschen Frauenbewegung, ins Leben gerufen durch  Louise Otto-Peters.

Besonders freue ich mich auf das Erste Leipziger Frauen*festival “Ohne uns würde es Leipzig nicht geben! Frauen erobern den öffentlichen Raum.” im Rahmen „1.000 Jahre Leipzig“ am 30. Mai. Das ist mir eine besondere Freude, daran mitzuwirken.

Vielen Dank Brunhild Fischer!

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