In Reudnitz-Thonberg konnte man im dunklen Monat Januar etwas miterleben, was es in Leipzig durchaus öfter geben sollte. Da traf sich der Kleingartenverein Ostvorstadt e.V. in den Räumen der Johanniter Akademie in der Witzgallstraße, um über ein den Verein seit Jahren bewegendes Thema abzustimmen: Wie weiter mit dem eindrucksvollen Schreberheim an der Holsteinstraße? Gibt man es her, um ein spannendes Projekt darin entstehen zu lassen? Oder behält man es doch?

Sorgen hatte der Verein mit seinem Schreberheim schon länger. Auch wenn es „stolz wie eine Walhalla“ am Ausgang zur Holsteinstraße steht und seit 1990 schon einige Interessenten angelockt hat, etliche sehr dubiose Gestalten darunter, wie sich Marlies Ehrke, Vorstandsvorsitzende des Schrebervereins Ostvorstadt e.V., erinnert. Erbaut wurde das eindrucksvolle Gebäude praktisch mit der Vereinsgründung im Jahr 1891. 2017 wurde folgerichtig das 125-jährige Vereinsjubiläum gefeiert. Die Parzellen sind beliebt – gerade auch bei jungen Familien mit Kindern. Denn hier hat man ein Stück lebendiges Grün mitten in einem zusehends gefüllten Wohnviertel.

Nur das Vereinsheim …

Bis 1990 fiel es dem Verein leicht, es in Schuss zu halten und auch regelmäßig beliebte Veranstaltungen darin abzuhalten. Es gab eine Vereinsgaststätte und der Wirt fühlte sich wohl – genauso wie seine Gäste. Doch mit der D-Mark und Deutschen Einheit änderte sich das abrupt.

Ein paar Jahre versuchte der Wirt noch, die Vereinsgaststätte am Leben zu erhalten. Doch eigentlich hätte er schon gründlich renovieren und technisch aufrüsten müssen. Das überforderte die Möglichkeiten dieser beliebten Kleingartengastronomie. Und ganz ähnliche Probleme rollten auf den Verein zu, denn das in die Jahre gekommene Gebäude hätte schon lange saniert werden müssen. Selbst die dringenden Reparaturen werden immer teurer. Und als dann im Januar auch noch das Sturmtief Friederike über Sachsen hinwegtobte, deckte es auch gleich noch das halbe Dach ab.

Da war der Kleingartenverein freilich längst schon in Gesprächen mit dem Investor Alexander Malios, der in Leipzig schon sechs Kindertagesstätten gebaut hat – am bekanntesten ist wohl „Claras Kinder“ in Schönefeld. Das Vereinsjubiläum im Sommer 2017 war dann der letzte Anstoß, die Idee weiterzuverfolgen. Und da Malios das Prozedere nun gut genug kennt, wurde im August auch die Stadt mit ins Boot geholt, die die Idee, hier mitten in einer Kleingartenanlage eine besondere Kindertagesstätte für 120 Kindergartenkinder und 60 Krippen-Knirpse zu schaffen, begrüßte.

Was aber auch erst der zweite von vielen Trippelschritten war. Denn nun musste ein Betreiber ins Boot geholt werden, der ein attraktives Programm für die Kita entwickelte und auch das nötige Knowhow und das Personal mitbrachte. Die benachbarte Johanniter Akademie war im Grunde ein Glücksfall. Dort werden nicht nur Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet – dort hatte man auch den Wunsch nach einer eigenen Ausbildungs-Kita, wo die Absolventen ihre ersten Praxiserfahrungen machen können.

Das Konzept zu entwickeln, so Lars Menzel aus der Johanniter Akademie, der auch Geschäftsführer der Leipziger Kinderstiftung gGmbH ist, war eigentlich ganz einfach: „Natur erleben – sehen, wachsen und ernten“. Also gleich hinterm Haus nicht nur einen Rasen zum Spielen, sondern auch Hochbeete anlegen, mit denen die Kinder erleben können, wie Natur funktioniert. Und unterschiedliche Formen, wie auch Gemeinschaft erlebt werden kann mit dem Kleingartenverein, bieten sich geradezu an – vom gemeinsamen Besuch einer Parzelle über gemeinsame Feste mit Marktstand oder einfach frischem Gemüse, das die Kleingärtner selbst nicht verbrauchen, in der Kita-Küche aber dankbare Abnehmer findet.

Das Vereinsheim des Kleingartenvereins Ostvorstadt in der Holsteinstraße. Foto: Ralf Julke
Das Vereinsheim des Kleingartenvereins Ostvorstadt in der Holsteinstraße. Foto: Ralf Julke

Blieb nur die Frage: Wohin mit den Vereinsräumen, die sich ja jetzt auch im Vereinsheim befinden?

Das war die Aufgabe für den Projektentwickler Alexander Malios im November/Dezember 2017. Das Ergebnis: Der Kleingartenverein bekommt eigene Büroräume im Tiefgeschoss – mit eigenem Zugang, mietfrei. Die Vereinsarbeit ist gesichert und künftig fallen nur noch die Nebenkosten an. Und das Tiefgeschoss bietet sich an, weil hier eher die Nutz- und Büroräume der Kita untergebracht sind. Man kommt sich also mit der Kita-Betreuung auch nicht ins Gehege. 1.600 Quadratmeter stehen dann für die eigentliche Kita im Erdgeschoss, im 1. Geschoss und unterm Dach zur Verfügung.

Diese Pläne stellte Malios im Januar der Vereinsversammlung vor. Und wie brennend sich die Mitglieder des Kleingartenvereins für das Thema interessieren, zeigte die Teilnehmerzahl: Von 170 Vereinsmitgliedern waren 109 gekommen. Und einige hatten durchaus berechtigte Fragen zum künftigen Miteinander, zur Vergabe der Kita-Plätze und vor allem zu den Kosten. Wer würde das alles bezahlen?

Diese Frage beantwortete dann Ines Heber, die im Amt für Jugend, Familie und Bildung der Stadt für die Kita-Projektplanungen zuständig ist. Letztlich ist es die Stadt Leipzig, die den Bau der Kita finanziert. Im Kostenvoranschlag 3,2 Millionen Euro, von denen nicht nur die veränderten Raumstrukturen gebaut werden, sondern auch ein Aufzug und ein zweiter Treppenaufgang, Küche, Lager und Kinderwagenparkplatz im Souterrain. Die Freifläche von 1.836 natürlich, für die der Verein auch zwei leerstehende Parzellen zugibt. Die Kinder sollen ja Platz zum Toben haben. Zur Holsteinstraße hin soll eine Lärmschutzwand gebaut werden. Und von den acht entstehenden Stellplätzen sollen auch zwei für den Verein zur Verfügung stehen.

Und dann ging es an die Abstimmung. Würde sich der Verein sträuben? Immerhin war das Vereinsheim 100 Jahre lang das Herzstück der ganzen Anlage gewesen. Würde sich vielleicht doch noch eine andere Lösung finden?

Aber da hatten wohl alle zu oft mitbekommen, wie schwer es noch fiel, das nicht mehr genutzte Gebäude wetterfest zu halten. Jetzt ging es um ihre Zustimmung zum Kaufvertrag, mit dem das Vereinsheim an die Leipziger Kinderstiftung gGmbH wechselt. Drei Stimmenthaltungen gab es, zwei Gegenstimmen – die überwältigende Mehrheit stimmte dem Verkauf zu, sodass die geplanten Baudaten in den Blick genommen werden können: Baubeginn im August 2018, Einzug der ersten Kinder im August 2019.

Und für Lars Menzel ist dann die Frage, die er sich so oft beim Durchqueren der Kleingartenanlage stellte, geklärt: „Mensch, was machen wir mit dem Schreberheim?“ Aus dem einstmals größten Vereinsheim Deutschlands wird „die erste Lehr- und Konsultationskita (mit speziellen Angeboten für zukünftige Erzieherinnen und Erzieher zur engeren Verzahnung von Theorie und Praxis) in Sachsen“. Und eine Kita, in der die Kleinen von Anfang an mit gesunden Äpfeln, Mohrrüben und Erdbeeren aufwachsen und lernen, was Käfer, Schmetterlinge und Regenwürmer im Garten eigentlich zu suchen haben. Der Name für die Kita ist dann nur folgerichtig: „Die Naturwichtel“.

 

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Es gibt 2 Kommentare

Der Artikel ist zwar schon 3 Jahre her, aber ich bin erst jetzt darüber gestoßen. In meiner Jugend besuchte ich das Schreberheim immer zum WE, man wartete immer in einer Schlange und hoffte das Schandor (Sollte den alten Hasen ein Name sein 😉 ) einen den Zuztritt gewährt. Ach waren die Zeiten schön, für die Anwohner zu dieser Zeit bestimmt nicht 😉 …. Es ist schon traurig wie der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlässt 🙁

Ich finde es schön, dass ins Schreberheim (wieder) Knirpse einziehen. Denn als ich noch sehr, sehr jung war – was nun schon ein paar Jahrzehnte her ist – war dort bereits ein Kindergarten untergebracht. Wie es der Zufall so will, war das die erste Station auf meinem langen Weg durch die Bildungsinstitutionen. Und: Ich erinnere mich gern daran. Auch deshalb wünsche ich den Initiatoren bestes Gelingen bei der Umsetzung ihres Kita-Projektes!

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