Manchmal könnte man ja bei einigen völlig exponierten politischen Diskussionen meinen, die Linken seien in Sachsen ein besonders rabiates Völkchen und würden die braven Bürger geradezu mit Gewalttaten terrorisieren. Aber sind sie wirklich die Staatsgefahr, die einschlägige Medien immer wieder an die Wand malen? Die Zahlen aus dem Operativen Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Polizei sprechen eine etwas andere Sprache.

Das OAZ wurde ja 2012 extra gegründet, um die Ermittlungen gegen politisch motivierte Straftaten in Sachsen wieder zu bündeln. Anlass war das Bekanntwerden der rechtsextremen Terrorgruppe NSU im November 2011. Da hat dann auch die sächsische Regierung begriffen, dass sie einen schweren Fehler begangen hatte, als sie ausgerechnet 1998 die „Soko Rex“ amputierte, die der damalige sächsische Innenminister Heinz Eggert nach den schweren Ausschreitungen von Hoyerswerda 1991 gegründet hatte.

Augenscheinlich muss auch Politik immer wieder neu lernen. Und vergisst immer wieder, wie politische Radikalisierung eigentlich funktioniert und wie insbesondere die gut vernetzten rechtsradikalen Brandstifter immer wieder dafür sorgen, dass verunsicherte Bürger ihnen auf den Leim gehen.

Der Zeitpunkt 1998 war deshalb so makaber, weil das genau das Jahr war, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Sachsen untertauchten und dann dreizehn Jahre lang unbehelligt in Chemnitz und Zwickau leben und ihre Taten planen konnten.

Anfangs sollte auch das OAZ sich vorrangig um die Straftaten des rechtsradikalen Spektrums kümmern, aber dann entschied sich die Regierung, hier auch die anderen „Extremismen“ bearbeiten zu lassen – „Linksextremismus“, „Ausländerextremismus“ und alles, was irgendwie als staatsfeindliche Straftat erfasst wird, aber nicht eindeutig einem politischen Lager zugeordnet werden kann.

Schon 2015 hatten Nachfragen der Abgeordneten der Linksfraktion Kerstin Köditz recht genaue Zahlen ergeben, wie sich das Ermittlungsmuster des OAZ zusammensetzt. Natürlich spricht auch das OAZ nicht von Extremismus. Der Begriff ist viel zu verwaschen. Ganz klassisch werden die Fälle als politisch motivierte Kriminalität einsortiert. Schon im November 2015 bestätigte sich das Muster, das man auch aus den regelmäßigen Polizeiberichterstattungen kennt: Auf jede hier bearbeitete Straftat im linken Spektrum kommen fünf bis sechs Straftaten aus dem rechten Spektrum.

Und da geht es eben nicht nur um Propagandadelikte und Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen, sondern um wirkliche Gewalt gegen andere Menschen. Denn rechtsradikale Einstellungen zeichnen sich nun einmal nicht nur durch verbale Aggressivität und Menschenverachtung aus – sie setzen sich auch immer wieder in gewalttätige Angriffe gegen andere Menschen um. So tauchten schon in der Novemberanfrage 14 Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen auf (von denen 9 aufgeklärt werden konnten) und 13 Straftaten gegen die persönliche Freiheit anderer Menschen.

Die linken Straftäter tauchten insgesamt mit sieben Straftaten aus diesem Spektrum der Gewalt auf. Und während man denkt, die Linken seien doch die, die die „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ vor allem auf der Agenda haben, sieht man ein anders Bild. Denn bei den Linken wurde nur eine solche Straftat verfolgt, bei den Rechten aber 38.

Hat sich das Bild im ersten Halbjahr 2016 geändert?

Gar nicht, teilt nun Innenminister Markus Ulbig auf Nachfrage des Linke-Abgeordneten Enrico Stange mit. Im 1. Quartal wurden 69 Straftaten bearbeitet, von denen 36 der politisch motivierten Kriminalität rechts zuzuordnen waren, 10 den Linken. 23 Fälle waren nicht zuordenbar. Im zweiten Quartal wurden 154 Fälle bearbeitet, von denen 73 den Rechten zuzuordnen waren, 40 den Linken und 41 ohne politische Einordnung blieben. Wobei diese Nicht-Einordnung nicht wirklich beruhigen dürfte, denn Gesellschaften radikalisieren sich auch jenseits der politischen Lager. Was an zwei Kategorien sichtbar wird: Neun Verstößen gegen das Waffengesetz und in einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.

Wie wichtig die Bündelung der Ermittlungen im OAZ war, zeigen die Aufklärungsquoten. Mit 51 Prozent lagen sie zwar im ersten Quartal sehr niedrig und mit 68 Prozent im 2. Quartal auch nicht gerade auf einem Niveau, mit dem man zufrieden sein kann. Aber die Zahlen machen auch sichtbar, wie schwer Ermittlungen werden, wenn Phänomene viel zu spät als politisch motiviert eingeordnet werden, wie das 2015 bei vielen Anschlägen auf Asylbewerberunterkünfte der Fall war. In vielen Medien hielten sich die unbegründeten Behauptungen, man habe es hier doch nur mit Taten „besorgter Bürger“ zu tun. Da, wo das OAZ zum Ermittlungserfolg kam, stellte sich fast immer heraus, dass die Täter aus rechtsradikalen Netzwerken stammen.

Wenn man solche Motivationen aber ausblendet, tappt man natürlich im Dunkel, wie das bei der Mordserie des NSU bis zum Schluss der Fall war. So betrachtet, macht die Arbeit des OAZ auch sichtbar, dass Weggucken in einer sich politisch radikalisierenden Gesellschaft ein gewaltiger Fehler wäre.

371 Straftaten waren übrigens per 1. Juli noch in Bearbeitung, davon 206 eindeutig politisch zuzuordnen. Bei den anderen bekommt man das politische Motiv wohl erst heraus, wenn man die Täter gefunden hat.

Anfrage von Kerstin Köditz (Die Linke) zur Ermittlungsarbeit des OAZ aus dem November 2015. Drs. 2975

Anfrage von Enrico Stange (Die Linke) zu den OAZ-Ermittlungen 2016. Drs. 5557

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