Das wollte dann die Linksfraktion im Sächsischen Landtag doch so nicht stehen lassen, dieses Wegducken und Nicht-geahnt-haben-Wollen, obwohl die Handschrift der Rechtsextremen bei Anschlägen auf Asylbewerberunterkünfte und bei allen möglichen „rechtspopulistischen“ oder „islamkritischen“ Demonstrationen unübersehbar war. Also hat die Fraktion eine richtig dicke Anfrage gestellt.

Und wenn die Staatsregierung antworten muss, stellt sich oft genug heraus, dass man eigentlich längst viel mehr weiß, als man öffentlich zugibt. Dass man aber immer wieder nicht danach handelt. Und dann kommen windelweiche Erklärungsmuster heraus, bei denen sich der wache Bürger an den Kopf fasst. So wie nach Heidenau oder Clausnitz oder Bautzen …

„Vor kurzem warnte Ministerpräsident Tillich in einem Presseinterview vor einem ‚Straßen-Mob‘. Anhand einer Großen Anfrage der Fraktion Die Linke (6/4060) zeigt sich nun, welche Tragweite der rechte und rassistische Anti-Asyl-‚Protest‘ im Freistaat inzwischen angenommen hat“, kommentiert Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag, dieses Herumgedruckse, mit dem nicht nur Stanislaw Tillich so tat, als hätte er mit solchen Vorfällen in seinem schönen Sachsen nie gerechnet.

Die hunderten Landtagsanfragen gerade der Linksfraktion zum Rechtsextremismus in Sachsen sprechen eine andere Sprache. Möglicherweise waren die diversen Innenminister davon immer genervt, vor allem auch, weil es damit im Zusammenhang immer auch Kritik zum Beispiel am allseits beliebten Verfassungsschutz gab. Aber bei solchen Behörden gibt es eigentlich nur eine Frage: Erfüllen sie ihren Job und warnen Regierung, Polizei und Ordnungsbehörden rechtzeitig und fundiert – oder sind sie schlicht überflüssig?

Und die ganze Ratlosigkeit, die Sachsens Regierung im letzten Jahr an den Tag legt, spricht eigentlich dafür, dass die Behörde im heutigen Zustand überflüssig ist. Und dass die eigentlich professionellen Ermittlungsbehörden noch viel zu schlecht personell ausgestattet sind. Denn gerade wenn etwa das OAZ gezielt ermittelt, wird sehr schnell deutlich, dass hinter den ganzen sogenannten „islamkritischen“ Bewegungen immer wieder Verbindungen ins straff rechtsextreme Milieu sichtbar werden.

Exakt 595 demonstrative Aktionen zählte die Staatsregierung im Jahr 2015. In die Zählung gingen Pegida-Märsche in Dresden, Leipzig und Chemnitz ein (110), dazu klar rechtsextremistische Veranstaltungen (210) und Versammlungen verschiedener „Bürgerinitiativen“, die sich vor Asylunterkünften abspielten (275). Die Gesamtzahl hat sich gegenüber dem Jahr 2014 mehr als verdoppelt, damals waren es rund 260 gewesen, listet Kerstin Köditz nun auf.

„Die Warnungen des sächsischen ‚Verfassungsschutzes‘, Rechtsextreme könnten die ‚Protest‘-Bewegung unterwandern, sind eine glatte Verharmlosung. Tatsächlich nehmen an der Mehrzahl der Veranstaltungen Anhänger der extremen Rechten teil. Namentlich bei Pegida sei ‚regelmäßig‘ mit deren Beteiligung zu rechnen, so die Staatsregierung“, zieht sie Bilanz aus dem ganzen Zahlenmaterial.

Und auch sie sieht – wie jüngst in der L-IZ analysiert – dass die „rechtspopulistischen“ Umtriebe gerade dort besonders oft stattfinden, wo auch bisher die dichtesten Netzwerkaktionen der Rechtsextremen in Sachsen zu beobachten waren: In der örtlichen Ausbreitung des „Protest“-Geschehens gibt es aufschlussreiche Unterschiede. Vorn dran sind die Stadt Dresden und der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit jeweils mehr als 90 Veranstaltungen im Jahr 2015, gefolgt von Bautzen (85) und Mittelsachsen (66). Vergleichsweise ruhig war es dagegen im Raum Görlitz, Nordsachsen und Zwickau.

„Alarmierend ist, dass nicht nur die Zahl der Anti-Asyl-Demonstrationen zunimmt“, sagt Kerstin Köditz. „Sondern es werden dabei auch immer mehr Straftaten begangen. Für das Jahr 2014 waren insgesamt nur fünf rechtsmotivierte Straftaten im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen verzeichnet. Im Jahr 2015 kletterte der – unvollständig erfasste – Wert auf 123. Neben Verstößen gegen das Versammlungsgesetz (32 Verfahren) kommen am häufigsten Körperverletzungen (27 Fälle) vor. Das ist Anzeichen einer Radikalisierung und einer anhaltenden Eskalationsdynamik.“

So wie sie das sieht, markieren die offiziellen Zahlen der Staatsregierung lediglich eine Untergrenze, das Dunkelfeld sei groß. Das Projekt www.rechtes-sachsen.de listet für das Jahr 2015 sogar noch weitaus mehr Versammlungen auf – 728, verteilt auf 90 unterschiedliche Orte.

Und augenscheinlich steckt hinter der schieren Masse auch System, denn damit sorgt man natürlich auch dafür, dass die Polizei bei immer mehr Einsätzen an die Grenze der Belastbarkeit kommt – und dass sie in die Kritik gerät, wenn sie ihre Nichteinsatzfähigkeit beim nächsten Aufmarsch der Rechtsextremen als Begründung bringt, dass dieser nicht abzusichern sei.

Die Probleme lägen ja auf der Hand, stellt Köditz fest: „Der großen Verantwortung einer ordentlichen Absicherung kann die Polizei offensichtlich nicht nachkommen. Manche Versammlungen erhalten keine Auflagen, werden nicht begleitet und auch dann ‚toleriert‘, wenn auf eine Anmeldung gleich ganz verzichtet wurde. Zudem macht die Polizei von möglichen Gefährderansprachen in diesem Zusammenhang keinen Gebrauch.“

Man kommt der Sache aber nicht bei, wenn man nicht die Ursachen für die systematische Abdeckung Sachsens mit rechtsextremen Veranstaltungen sucht, sondern immer nur auf die Gegebenheiten reagiert.

„Der Fisch stinkt natürlich auch hier vom Kopf her. Völlig weltfremd ist, dass nach überfallartigen Aktionen wie Freital, Heidenau, Dresden-Neustadt und Leipzig-Connewitz das Innenministerium noch immer kein Lagebild erstellt hat. Von einem Gesamtkonzept, die rechte Eskalation auf der Straße zurückzudrängen, einmal ganz zu schweigen“, benennt die linke Abgeordnete das Grundversäumnis.

Das natürlich am Ende nicht nur die Sicherheitslage in Sachsen destabilisiert, sondern richtig teuer wird, wie die – zumindest teilweise – gelieferten Einsatzzahlen zeigen: Die Frage, wie viele Polizeikräfte insgesamt zum Einsatz kamen, vermag die Staatsregierung nicht zu beantworten. Auch nicht, was die Einsätze insgesamt kosten. Für Kräfte anderer Länder und des Bundes wurden bisher aber mehr als 6,3 Millionen Euro ausgezahlt.

„Viel Geld, das zum Beispiel in politischer Bildung bestens angelegt gewesen wäre“, sagt Köditz dazu. „Die jetzt vorliegende Große Anfrage wurde gestellt, nachdem unsere parlamentarischen Anfragen immer wieder abgeblockt wurden unter dem Vorwand, dass man ‚keine Statistik‘ führe. Ganz so, als wisse man nicht oder als wolle man nicht wissen, was im Lande los ist. Die Fraktion Die Linke wird weiter nachfragen und das Thema dorthin bringen, wo es hingehört: ins Landtagsplenum.“

Das simple Fazit: Noch immer sträubt sich Sachsens Innenministerium, die Zahlenbasis für die rechtsextremen Aktionen und Gewalttaten zu bündeln und schon von vornherein aus dem Datenrauschen der Polizei auszufiltern. Lieber zieht sich der Innenminister auf Aussagen wie diese zurück: „Erst durch die umfassende Sichtung des zugrundeliegenden Tatgeschehens ist der Sachzusammenhang zu einem Protestereignis im Sinne der Anfrage feststellbar. Das ist in Anbetracht von jährlich allein über 300.000 infrage kommenden Ermittlungsverfahren innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand selbst unter Zurückstellung von Kernaufgaben des Polizeivollzugsdienstes nicht zu leisten.“

So bekommt man das Problem nicht zu packen und klärt immer nur an der Oberfläche auf – und lässt sich am Ende von den agilen und mobilen Rechtsextremen die Marschroute vorgeben, steht dann jedes Mal vor der Kamera und will nicht gewusst haben, woher das kam. Weiß man ja auch nicht, weil ein Sammeln der Zahlen und Verdachtsfälle nicht systematisch stattfindet.

Aber vielleicht wird man ja so langsam munter.

Die Große Anfrage der Linksfraktion. Drs. 4060

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