Warum werden Menschen rechtsextrem? Warum wählen sie auf einmal Rechtspopulisten? Warum radikalisieren sich auf einmal Jugendliche in rechtsextremen Gangs? Eine Menge Fragen tun sich auf, wenn man auf die Entwicklung der letzten Jahre schaut. Und das beschäftigt auch Forscher. In dutzenden Studien in mehreren Ländern haben sie versucht herauszubekommen, was da eigentlich in den Menschen vor sich geht und welche Auslöser wirklich eine Rolle spielen, wenn Teile der Gesellschaft ins rechtsextreme Lager abdriften. Dieses Buch versucht eine Überschau.

Rund 40 Studien haben die Autor/-innen aus dem Katapult-Team genauer angeschaut und in diesem Buch in kurzen Texten zusammengefasst. Nicht jede Studie hat wirklich ein eindeutiges Ergebnis ergeben. Manchmal auch deshalb, weil man sich auf eher sekundäre Phänomene fokussierte und nicht wirklich fragte, warum Menschen auf einmal beginnen, den Staat und die Demokratie infrage zu stellen und zu glauben, ein neuer Duce würde die Sache dann besser machen.

Dass hinter dem politischen Abdriften und dem Verhärten der Fronten letztlich vor allem ökonomische Gründe stecken, das machen schon die ersten Beiträge im Buch deutlich. Sie gehen natürlich davon aus, dass die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien vor allem in strukturschwachen Regionen beginnen. Wobei das schon wieder eine Verharmlosung ist.

Denn das negiert in der Regel die Tatsache, dass es vor allem deindustrialisierte Gebiete sind, wo sich der Frust ballt und Menschen am eigenen Leibe und in ihrer direkten Umgebung erfahren haben, was passiert, wenn einst den Wohlstand in der Region tragende Industrien verschwinden und Städte und Landschaften ohne eine Vision, eine Hoffnung, dass dafür Neues kommt, zurücklassen.

Falsche Botschaften

Es sind direkte und indirekte Abwertungserfahrungen, die Menschen empfänglich machen für die Botschaften der Rechtspopulisten.

Das bestätigen inzwischen dutzende Studien. So viele, dass man sich inzwischen fragt: Warum kommt die Botschaft nicht in den Spitzen der etablierten Parteien an? Warum kopieren konservative Parteien dann sogar noch die Botschaften und Forderungen der Rechtspopulisten? Dass das nicht funktioniert, sondern die Rechtspopulisten sogar stärkt und bei den Wählern die Überzeugung nährt, dass die Rechtsaußen-Parteien mit ihren Vorstellungen von einem Umbau des Landes vielleicht sogar recht haben könnten, hat sich mittlerweile Wahl um Wahl bestätigt.

Konservative Parteien gewinnen so keine Wähler dazu, machen aber die Erzählungen der Rechtsextremen hoffähig, normalisieren sie geradezu – und sorgen so selbst mit dafür, dass die gesamte Gesellschaft immer weiter nach rechts rutscht. Während die tatsächlichen Probleme des Landes völlig außer Sicht geraten.

Es gibt nur einen in Europa nachweisbaren Fall, wo diese Strategie dabei geholfen hat, die Rechtsextremen kleinzuhalten. Aber es ist die absolute Ausnahme. Und in einem Land wie Deutschland schon gar nicht umsetzbar, wo die „Brandmauern“ sowieso schon riesige Löcher haben. Eine Studie widerlegt diesen Ansatz sogar: „Ausgrenzende Rhetorik stärkt rechtsextreme Parteien“.

„Den Forschern zufolge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Wähler mit solchen Ansichten einer rechtsextremen Partei zuwenden, wenn Politiker insgesamt stärker nationalistische und einwanderungskritische Positionen beziehen. Demnach profitieren rechte Parteien besonders von einer politischen Rhetorik, die Themen wie nationale Grenzen und Zugehörigkeit in einer ausgrenzenden Weise behandelt.“

Enthemmung in den sozialen Medien

Eigentlich muss man sagen: einer Rhetorik, die einen sowieso schon katastrophalen Effekt noch verstärkt. Denn Studien bestätigen auch, dass „soziale Medien“ Polarisierung verringern könnten, aber tatsächlich das Gegenteil tun. Weil den Besitzern dieser Plattformen die Demokratie völlig egal ist. Ihnen geht es nur um Profit. Und dafür öffnen sie alle Schleusen für Aufregung, Feindseligkeit und Radikalisierung.

Es geht auch anders, auch das haben Studien längst belegt: Denn „soziale Medien“ können mithilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen so programmiert werden, „dass sie Polarisierung reduzieren, statt sie zu verstärken. Es ist jedoch fraglich, ob Plattformen wie Facebook oder X solche Änderungen umsetzen würden – schließlich profitieren sie von emotional aufgeladenen Inhalten.“

Natürlich erzählen die Studien auch von politischen und gesellschaftlichen Versäumnissen. Denn dafür, dass Menschen für rechtsradikale Botschaften ansprechbar sind, gibt es längst untersuchte psychologische Gründe. Fehlende Aufmerksamkeit, Gleichberechtigung und Respekt zum Beispiel, wie es eine Studie anhand von Radikalisierungstendenzen in der Schule untersucht. Schulen, in denen Kinder das nicht erleben, befördern Radikalisierungen. Das stärkt die „Sozialisierung“ der jungen Menschen in rechtsradikalen Gruppen außerhalb der Schule.

Abwertung und Ausgrenzung

Und auf einmal merkt man: Es geht immer um die ganze Gesellschaft. Und den Geist, der in ihr herrscht. Und auf einmal ahnt man, warum der Rechtspopulismus praktisch parallel mit dem Neoliberalismus an Zuspruch gewann. „Mehr neoliberale Wirtschaft, mehr rechte Medien“ attestiert eine Studie am Beispiel einer entsprechenden Entwicklung in der Türkei.

Denn wenn die Wirtschaft rücksichtsloser wird und da auf einmal ein Sprechen von Mehr- und Minderleistern aufkommt und bornierte Politiker über die Bürgergeldbezieher herziehen, dann schafft das den Raum, in dem Neodarwinismus wieder die Köpfe füllt. In dem ganze Menschengruppen abgewertet und ausgegrenzt werden. Eine andere Studie macht es noch deutlicher: „Wirtschaftliche Ungleichheit fördert Rechtsextremismus“.

Es gibt auch ein paar Studien, die Wege aufzeigen, wie man die Radikalisierungstendenzen von Probanden abschwächen kann. Aber die Versuche dazu haben alle ihre Grenzen, weil sie die Wurzel des Übels nicht anpacken, sondern eigentlich nur (noch) diejenigen erreichen, die noch ansprechbar sind für rationale Argumente. Deswegen ist der Buchtitel „Rechtsextremismus bekämpfen“ ein wenig irreführend, weil das Buch keinen solchen Kampf beschreibt. Die meisten Studien untersuchen eben nur, wie (Rechts-)Radikalismus in den Köpfen entsteht und wie man als Gesellschaft die Folgen etwas abmildern kann.

Wer wirklich etwas ändern will, geht an die Wurzel und betrachtet die komplette ökonomische Fehlentwicklung seit Aufkommen der radikalisierten Wirtschaftsideologie vom Neoliberalismus, deren wichtigster Effekt ein Effekt der Ohnmacht ist: Denn wenn die Wirtschaft das Primat hat, wenn alle Politik sich immer nur am „Markt“ ausrichtet und an den speziellen Wünschen der Wirtschaftslobby, dann erfahren die Menschen natürlich Politik nur noch als Elitenprojekt, als undurchschaubar und unbeeinflussbar.

Missverstandene Signale

Denn wenn sie schon mal ganz menschliche Wünsche anmelden, kommt immer irgendein Argument aus dem Köcher des Neoliberalismus. Die Vermögen der Supereiche wachsen ungebremst, aber die Menschen erfahren die Entwertung ihres Lebensumfeldes direkt vor Ort. Und sind – folgerichtig – wütend. Nur: Wohin mit dieser Wut?

„Offenbar erhöht die persönlich erlebte wirtschaftliche Ungleichheit das Gefühl von Benachteiligung gegenüber anderen, nicht nur in niedrigen Einkommensschichten. Für zahlreiche Protestwähler/-innen ist die Unterstützung rechtspopulistischer Parteien möglicherweise weniger eine Entscheidung aus Überzeugung als vielmehr ein Weg, um mit dem Gefühl der Benachteiligung umzugehen und ein deutliches Signal an die etablierten politischen Kräfte zu senden.“

Ein Signal, das aber ganz offenkundig falsch interpretiert wird. Und schon gar nicht als Ruf nach einer Politik verstanden wird, die wieder von Respekt und Fürsorge geprägt ist. Und von Gestaltungswillen, muss man hinzufügen. Denn ein Durchwursteln, wie es Deutschland seit 20 Jahren erlebt, erhöht natürlich den Frust, bietet keine greifbaren Visionen und verstärkt eher das Gefühl, dass nur Politik für „die da oben“ gemacht wird. Es geht um Zugehörigkeit, Sinn und Orientierung.

Wenn die gelebte Politik dafür keine Angebote mehr macht, öffnet das die Türen für die Radikalisierung der Menschen und ihre Sinnsuche in radikalen Gruppen. (Kapitel: „Radikalisierung verstehen“)

Es gibt längst genug Stoff, über das Phänomen Radikalisierung grundlegend nachzudenken und dessen Wurzel eben auch in einer entgleisten Wirtschaftspolitik zu sehen, die das „Wohl der Märkte“ über das Wohl der Menschen stellt. Auch wenn es die Autor/-innen des Buches nicht extra hervorheben, ist es eins der zentralen Ergebnisse der hier untersuchten Studien.

„Rechtsextremismus bekämpfen. Was sagt die Wissenschaft“ Katapult Verlag, Greifswald 2025, 15 Euro.

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Jetzt wissen wir weshalb Menschen rechtsextrem werden, endlich. Und warum werden die Menschen linksextrem ? Weil es Rechtsextreme gibt, vermute ich…

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