LeserclubWer will, kann umkehren. Gleich hier am Wegweiser in der Nähe der Bistumshöhe, der noch 16 Kilometer bis Pegau verheißt oder 7 nach Markkleeberg. Denn hier endet das Leipziger Teilstück des Elsterradwegs, so ziemlich genau 20 Kilometer lang. Mit einer Steigung von 13 Metern. 115 Meter über Null sind wir hier. Aber gibt’s da weiter westlich und südlich überhaupt noch was zu sehen?

Eigentlich bekommt man schon hier ein Unikum zu sehen: den Drei-Städte-Stein. Denn hier grenzen die Feldfluren der Städte Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau aneinander. Jede Seite des Findlings trägt ein Städtewappen. Und da, wo Zwenkau dran steht, da wollen wir noch ein Stück weiter fahren. Nicht ganz bis Zwenkau. Das wäre dann ja schon wieder der Einstieg in die Neuseenland-Route. Aber zum Zwenkauer See wenigstens.

Drei-Städte-Stein kurz vor der Bistumshöhe. Foto: Ralf Julke
Drei-Städte-Stein kurz vor der Bistumshöhe. Foto: Ralf Julke

Ab hier zeigt die Strecke, was neu entsteht, wenn eine alte Kohlelandschaft neu gestaltet wird. Das ist ganz sicher ein Problem für das Neuseenland. Denn mit der Devastierung der einstigen Dörfer und Flecken, Vorwerke und ländlichen Strukturen ist auch die Kleinteiligkeit verloren gegangen. Die neuen Strukturen, die oft sogar direkt auf einstigen kilometerlangen Bergbaustraßen beruhen, sind etwas für Leute, die gern Kilometer schrubben und in hohen Gängen strampeln. Eine gewisse Eintönigkeit ist diesen Streckenabschnitten nicht abzusprechen.

Der erste heißt auf den Karten Mückenhainer Weg. Das steht nicht dran. Wieder so ein Punkt, an dem man sich fragt: Warum eigentlich nicht? Immerhin erinnert der Weg an ein schon im 15. Jahrhundert wüst gefallenes Dorf an der Harth, dem legendären Wald im Leipziger Süden, der einst das beliebte Wanderziel der Großstädter war. Wüst gefallen ist Mückenhain wahrscheinlich, weil sich das benachbarte Zwenkau zur dominierenden Ackerbürgerstadt entwickelte. Der Weg wurde angelegt, als sich der Tagebau Espenhain von Süden her immer weiter auf Leipzig zufraß und dabei auch die Hälfte des Elsterstausees verschlang. Was dann eigentlich der Anfang vom Ende des einst beliebtesten Leipziger Segelgewässers war. Einen Kilometer führt der Mückenhainer Weg direkt am jetzigen Südende des einstigen Sees entlang. Schnurgerade. Wer sich rechterhand durchs Gebüsch schlägt, kann über ein wogendes Meer junger Bäume schauen, die mittlerweile den Seegrund besiedelt haben.

Der Abzweig zum Nordufer des einstigen Elsterstausees kommt bald. Und danach hört man’s meckern.

Im Hutewald am Mückenhainer Weg. Foto: Ralf Julke
Im Hutewald am Mückenhainer Weg. Foto: Ralf Julke

Da begegnet man einem Projekt, das die Städte Leipzig und Markkleeberg rund um den Cospudener See ausprobieren, dessen Umgebung sie gern als Landschaftspark Cospuden entwickelt sehen möchten. Nicht mit künstlichen Landschaftsgestaltungen, sondern mit meckernden Ziegen, fröhlichen Schafen und mümmelnden Yaks. Hier am Mückenhainer Weg kann man lauter Ziegen samt Böcken und Lämmchen sehen, die im Unterholz nach Fressbarem suchen. Einige schauen den Radfahrer mutig aus gelben Augen an. Andere huschen – auf strenges Geheiß ihres Leithammels – tiefer ins Gesträuch. Vielleicht aus schlechter Erfahrung, obwohl eine Handreichung der Stadt aufklärt: Die Tiere dürfen nicht gefüttert werden.

Die sollen hier ganz allein dafür sorgen, dass die wild gewachsenen Bäume auf den einstigen Tagebauaufschüttungen sich zu Wäldern entwickeln, die an die ursprüngliche Weidelandschaft in der Leipziger Region erinnern. Zumindest als Hinweisschild steht es da: Diese Ecke des Landschaftsparks wird seit 2012 als Hutewald betrieben. Und die Tiere sollen vor allem auch dabei helfen, die exotischen, eingewanderten Pflanzen wie den Eschenblättrige Ahorn, die Hybridpappeln, die Ölweide, die Kanadische Goldrute und den Japanischen Knöterich kurz zu halten.

Übrigens gehören auch die Bisons am Südufer des Cospudener Sees zu dem Projekt. Sie sollen vor allem das Offenland frei halten von Gesträuch.

Vielleicht ist das alles irgendwo erklärt. Hier jedenfalls, bei den meckernden Ziegen, könnte ja auch so eine Tafel hängen.

Haben wir was von Schranken erzählt? Hier kommt die nächste, die wir umkurven. Natürlich stehen die Schranken da, um streunende Autofahrer vom See fernzuhalten. Es wird ja derzeit wieder gerungen von einigen autoverliebten Parteien um eine Autozufahrt zum Nordufer des Cospudener Sees. Statt „Nein“ zu sagen, haben die Verwaltungen von Leipzig und Markkleeberg eine Prüfung beauftragt. Prüfungen brauchen ihre Zeit. Da kann man derweil was Anderes machen.

Baustelle der Erikenbrücke. Foto: Ralf Julke
Baustelle der Erikenbrücke. Foto: Ralf Julke

Radfahren zum Beispiel. Als wir weiterfahren, würdigt uns kein zufriedenes Meckern, nichts. Dafür kommen wir endlich wieder in die Nähe der Elster, die hier – in Höhe von Hartmannsdorf am anderen Ufer – tief eingeschnitten in ihrem Bett fließt. Aus der Entfernung eher ein Bächlein. Aber dafür lädt hier seit dem Frühjahr eine große Baustelle zum Gucken ein. Gebaut wird hier eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke, die die Weiße Elster nördlich der A39 überspannen soll. Weil sie drüben in Hartmannsdorf auf die Erikenstraße trifft, soll sie Erikenbrücke heißen, 115 Meter lang werden und 1,6 Millionen Euro kosten und 2017 fertig sein. So dass man auch von Hartmannsdorf hier direkt ins Neuseenland kommt.

Zumindest kommt man direkt zur Strampelpiste Mückenhainer Weg und – wenn man von der Brücke kommend rechts abbiegt – auf die Straße Zur Weißen Mark, die mit landwirtschaftlicher Ruhe nichts mehr zu tun hat. Obendrüber rauscht die A38, unten drunter hat ein aufmerksamer Bauarbeiter extra auf den Radweg geschrieben: „Bitte auf Straßenverkehr achten.“

In deutschen Gegenden so selten: Ein schönes Bitte auf dem Asphalt. Foto: Ralf Julke
In deutschen Gegenden so selten: Ein schönes Bitte auf dem Asphalt. Foto: Ralf Julke

Es muss ein Bauarbeiter gewesen sein. Eine Amtsverwaltung hätte niemals das Wort bitte verwendet.

Der Warnhinweis tut gut. Wir beherzigen ihn. Denn schon kurz hinter der A38 hört der Radweg nämlich auf. Stehen bleiben lohnt sich. Nicht wegen des fast völlig farblos gewordenen Hinweisschildes, das die Nutzer des Elsterradwegs hier einfach über die Straße schickt, irgendwohin da drüben ins Gelände des Zwenkauer Sees.

Rechterhand sieht man eindrucksvolle Ingenieurkunst. Im doppelten Sinne eindrucksvoll. Mächtig gewaltig neben dem mächtigen Brückenbauwerk der A 38. Gleich unter einem strömt Wasser in die Elster. Das ist das Auslassbauwerk des Zwenkauer Sees, das es ermöglicht, das zu viel in den See geratene Wasser ganz einfach wieder in die Weiße Elster fließen zu lassen. So wie beim Hochwasser 2013 runde 20 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Elster in den See geleitet wurden und natürlich irgendwann wieder raus mussten. Denn 2 Meter Reserve-Wasserstand soll der Zwenkauer See ja behalten, um im Hochwasserfall genau so – als Hochwasserrückhaltesee – zu funktionieren.

Das Auslassbauwerk des Zwenkauer Sees mit der Betonelster im Hintergrund. Foto: Ralf Julke
Das Auslassbauwerk des Zwenkauer Sees mit der Betonelster im Hintergrund. Foto: Ralf Julke

Das Einlassbauwerk war ja bekanntlich 2013 knapp vor dem Hochwasser erst fertig geworden. Glück für Leipzig. Der See hat als Retter funktioniert. Dieses Einlassbauwerk befindet sich noch 5 Kilometer weiter südlich. Da fahren wir heute nicht mehr hin, werfen aber einen zumindest staunenden Blick auf die Weiße Elster, die hier in einer gewaltigen Betonrinne ankommt. Denn selbst diesen Fluss haben die Bergleute verlegt, um an die Kohle zu kommen. Und damit ihnen der Tagebau garantiert nicht absäuft, haben sie die Elster auf mehreren Kilometern in ein Betonbett gepackt. Das ist die Betonelster. Hier hat man also gleich drei gigantische Ingenieurbauwerke an einem Platz.

Also fahren wir doch mal rüber auf die Seeseite. Da führen zwei parallele rustikale Bergbaustraßen nach Süden. Wir nehmen die linke. Die ist im ersten Teil wenigstens geschottert, später auch asphaltiert. Und nach zwei Parkplätzen stößt man auf den ersten Teil des geplanten Rundwegs um den Zwenkauer See, der hier bis nach Zwenkau schon richtig asphaltiert ist. Dass wir noch immer auf dem Elsterradweg sind, verraten uns zwei weitere von der Witterung gebleichte Schilder. Und wir passieren die letzte Schranke für heute, die sich da befindet, wo sich die Straße Zur Weißen Mark und die neu gebaute B186 treffen. Von jetzt ab rauschen die B186 und der Radweg nebeneinander her und man kann kilometerweit spurten. Wenn man will und es verträgt, dass man bei jeder Wurzelwölbung unterm Asphalt einen Sprung macht.

Blick über den Zwenkauer See zum Kraftwerk Lippendorf. Foto: Ralf Julke
Blick über den Zwenkauer See zum Kraftwerk Lippendorf. Foto: Ralf Julke

Es gibt mehrere Gelegenheiten, um links ran und rauszufahren, auch wenn die Schilder der LMBV warnen: Bergbaugelände, Unbefugten betreten verboten.

Wir wollen ja nicht ans unfertige Ufer. Und rüberschwimmen zum Ostufer, wo jetzt der Harthkanal gebaut werden soll, wollen wir auch nicht.

Wir wollen nur unseren Liebling sehen: Das Kohlekraftwerk Lippendorf mit seinen Kühltürmen und den Wasserschwaden, die sogar an so einem schwülwarmen Morgen in den Himmel wabern. Noch brodelt ja der Streit hinter den Kulissen, ob die Mibrag noch weitere Abbaurechte bekommt und noch weitere Dörfer – wie Pödelwitz – abbaggern darf. Obwohl alle Zahlen sagen, dass selbst die hungrigen Öfen von Lippendorf diese Kohle nicht brauchen.

Durchbruch. Foto: Ralf Julke
Durchbruch. Foto: Ralf Julke

Auf dem Rückweg entdecken wir dann im alten Asphalt die Botschaft, die uns zumindest tröstet, dass sich das Leben nicht unterkriegen lässt, auch wenn es die Menschheit vergeigen sollte. Und es sieht ganz so aus, als werde es die Menschheit jetzt so richtig vergeigen. Aus dem Asphalt kämpft sich der Trieb einer Pflanze. Nicht mal ein Baum, eher so ein tapferes Ödlandgewächs, das hier aber zeigt, was für eine Kraft in so einem grünen Spross steckt. Diese Pflanzen werden auch nach uns da sein und ans Licht drängen. Und vielleicht gibt’s in fünf Millionen Jahren auch eine neue Spezies, die unsere Hinterlassenschaften findet und sich fragt, wie wir es geschafft haben, die Sache so gründlich zu vermasseln.

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