LZ/Auszug aus Ausgabe 60Ein Platz in der neueren sächsischen Geschichte ist ihm wohl schon sicher. Er war der erste und einzige, dem es 2017 extrem knapp gelang, der CDU bei der Bundestagswahl ein Direktmandat in einem der beiden Wahlkreise Leipzigs abzujagen. Ein Vorgang, der deutschlandweit für Furore sorgte, Direktmandate über die Erststimmen für das höchste Parlament kannte man in seiner Partei sonst nur aus Berlin.

Schon da gelang es Pellmann praktisch zwischen CDU und AfD hindurchzuschlüpfen, rund 25 Prozent der Stimmen genügten, um die Wahl für sich zu entscheiden. Ein Plan, der angesichts der aktuellen Prognosewerte von 24 Prozent für die Sachsen-AfD und einer schwächer werdenden CDU 2019 im Brennpunktwahlkreis rings um Grünau erneut aufgehen könnte.

Herr Pellmann, wenn man Ihr Beispiel bei der Bundestagswahl 2017 nimmt, scheint es so, dass vor allem die Linkspartei dem Einfluss der AfD im urbanen Leipzig auch was entgegenzusetzen hat und die CDU schlagen kann. Machen wir es doch gerne exemplarisch an Ihrem Wahlkreis inklusive Grünau, wie könnte eine Strategie der Linkspartei zur Landtagswahl 2019 aussehen?

Zum Beginn, ich habe vor allem im Stadtteil Grünau viele, viele Jahrzehnte meines Lebens verbracht, von frühester Kindheit, Jugend bis hin zur Ausbildung. Mit diesem Stadtteil verbindet mich ganz viel. Über viele Jahre, auch zur letzten Stadtratswahl, ist es mir dort gelungen, das beste Erststimmenergebnis von allen Stadträtinnen und Stadträten in ganz Leipzig prozentual zu holen, wir hatten also ein Ergebnis von fast 40 Prozent, sodass man mit Fug und Recht von einer Hochburg, von einer linken Hochburg auch in Grünau reden kann.

Ein Direktmandat in Grünau? Ist auch eine Herausforderung mit Blick auf die Landtagswahl?

Mein Vater hat dort zweimal das Direktmandat gewonnen, das ist für mich auch Verpflichtung – insbesondere wenn ich an 2014 zurückdenke – mal zu sagen, da ist einfach ein CDU-Bewerber angekommen, der weder im Stadtteil präsent war, noch irgendwie für diesen Stadtteil bis dato gewirkt hatte. Er ist gewählt worden, weil die CDU damals überall gute Ergebnisse hatte.

Wenn ich jetzt die 4,5 Jahre zurückschaue, hat er sich im Stadtteil nicht wirklich blicken lassen, er hat für den Stadtteil von seinen Ankündigungen, z.B. den S-Bahn-Takt auf 15 Minuten reduzieren zu wollen, überhaupt nichts getan. Er hat sich auch nicht wirklich präsentiert im Stadtteil. Wenn man seine Arbeit sich im Landtag anschaut, wurde der Stadtteil nicht einmal wirklich beachtet, nichts versucht, um etwas für diesen Stadtteil zu erreichen.

Auch für seine Stadt Leipzig ist da nicht wirklich viel bei rumgekommen, sodass in mir jetzt schon der Gedanke gereift ist, dieses Mandat gehört der Linken und das holen wir uns jetzt auch zurück.

Nun sind Sie selbst ja seit 2017 im Bundestag, seit Jahren Leipziger Stadtrat, ein Dreiermandat wird’s ja wohl nicht werden? Wer soll der CDU oder der AfD für die Linke die Erststimmen abjagen?

Ja, ich hab da schon eine Idee. Unser Stadtvorsitzender, Adam Bednarsky, hat dort viele, viele Jahre verbracht. Wir sind quasi schon zu Ostzeiten zusammen an Parallelschulen gegangen, das war damals die 87. und die 88. Polytechnische Oberschule (POS), er ist dort aufgewachsen, er hat dort seine Jugend verbracht, er ist dort verankert. Dort treibt er Sport, seine Kinder sind in Grünau in den Kindergarten gegangen.

Ich glaube das ist ein Mann, mit dem man auch basisverbunden in diesem Stadtteil es wieder reißen kann. Der Wahlkreis ist ja dann auch noch ein bisschen größer als Grünau.

Adam Bednarsky will 2019 für die Linke in den Landtag. Der Aktivposten seiner Partei ist der aktuelle Stadtvorsitzende. Foto: Michael Freitag
Adam Bednarsky will 2019 für die Linke in den Landtag. Der Aktivposten seiner Partei ist der aktuelle Stadtvorsitzende. Foto: Michael Freitag

Auch Bednarsky ist wie Sie im Stadtrat, die Stadtrats-Wahl steht ja noch vorher an.

Ja, auch da werden wir schon mal alles geben und dann auch zur Landtagswahl am 1. September 2019 um dieses Direktmandat und ich hoffe, mit Adam Bednarsky dann auch wirklich kämpfen zu können.

Ähnlichkeiten mit Ihrem Weg hätte Adam Bendarsky jedenfalls und er ist mit der parlamentarischen Arbeit durch den Stadtrat vertraut. Zugleich wird aber jeder Kandidat in Grünau auf eine erstarkende AfD treffen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung und wie sehen Sie diese Situation?

Der ehemalige AfD-Kandidat Uwe Wurlitzer ist ja jetzt bei den „Blauen“. Er ist da auch verortet, hat aber gesagt, das sei ihm alles – O-Ton – zu sehr rechtsaußen abgedriftet, deswegen macht er etwas Neues auf. Daher ist es in dem Wahlkreis dann schon spannend, wie sich die Blauen und AfD gegenseitig verhalten.

Ich denke aber, mit dem was wir dort an Stimmengewicht mitbringen, besteht für uns eine realistische Chance, auch der AfD klar zu zeigen, dass sie auch in diesem Wahlkreis nicht wirklich gemocht ist. Und sie nutzen natürlich Ressentiments aus, auch in dem Wahlkreis. Wir haben dort einen sehr hohen Anteil an Geflüchteten, einen überproportional hohen Anteil. Das hab ich auch immer kritisiert weil ich für eine Gleichverteilung der dezentralen Unterbringungen von Geflüchteten bin.

Nun jedoch haben wir einzelne Teile des Viertels, gerade in Grünau Mitte, rückseitig unseres Wahlkreisbüros in der Ringstraße, wo mittlerweile Menschen mit Migrationshintergrund in einer Quote von an die 80 % leben.

Das verändert ja auch eine Optik eines Viertels, der Eindruck vom Leben wird ein anderer. Wie wird das empfunden?

Das verändert und das bringt natürlich auch Probleme mit sich. Auch innerhalb der dort wohnenden Bevölkerung. Und das spiegelt sich wider, da muss man auch zumindest die Frage von Menschen zulassen – oder die Sorgen und Nöte anhören – die auch zu uns in die Sprechstunde kommen und sagen: Ich hab da Angst vor. Ich hab hier Sorgen. Mit denen muss man reden, mit denen muss man eine Art Lösungen und Problemlagen erörtern und schauen, wie wir dort wirken können. Das sind nicht die klassischen Rassisten oder Nazis, die es auch in Grünau gibt.

Aber es wird auch viel getan. Da gibt es ein spannendes Projekt mit den örtlichen Straßensozialarbeitern, wir haben den Quartiersrat, das Quartiersmanagement und die alle ziehen an einem Strang. Da hat sich auch ganz viel entwickelt. Wir haben das „Heizhaus“ als soziokulturelles Zentrum, wir haben das „Kommhaus“ weiter hinten im Viertel und Grünau ist ein hochinteressanter Stadtteil, der ganz viel Potential hat, auch für junge Familien. Man findet dort noch Kita-Plätze, das ist ja in der Stadt nicht so häufig.

Ich wollte es gerade sagen … andererseits ist Grünau für den schlechten Schulzustand bekannt.

Aber man hat eben, um wieder die kommunale Sicht zu nehmen, über 25 Jahre dort in die Schulinfrastruktur nicht investiert. In allen Stadtteilen waren alle Schulen saniert und von den vielen Schulen – und in Grünau gibt’s eine Menge Schulen – waren zwei bis jetzt saniert. Wir kämpfen – Ilse Lauter und ich – seit mittlerweile 12 Jahren, dass dort mehr passiert.

Jetzt wird immerhin das Klinger-Gymnasium angefasst, das ehemalige Lichtenberg-Gymnasium, in das ich immerhin 12 Jahre gegangen bin, soll jetzt wieder ans Netz genommen und vorher saniert werden. Also es bewegt sich was, aber es war tatsächlich ein massiver Druck notwendig, auch mit der Bevölkerung zusammen.

Braucht es dafür also eine AfD?

So wie ich die Grünauerinnen und Grünauer kenne, bin ich ganz optimistisch, dass sie sich nicht von plumpen Parolen einfangen lassen und denen dann auch nicht nachlaufen in der Mehrheit.

Das Interview ist ein Auszug aus der neuen “Leipziger Zeitung” (LZ). Das Lesefutter für einen ganzen Monat, jetzt wieder da zu finden, wo man noch gute Zeitungen kaufen kann. Die LZ liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden, aber auch in Presseläden und Großmärkten.

Man kann auch einfach für 29,50 Euro im Jahr abonnieren und unsere Lokalzeitung einmal im Monat pünktlich im Briefkasten vorfinden.

Warum hat die Rheinische Post die Zahlen eher als der Abgeordnete, der gefragt hat?

Warum hat die Rheinische Post die Zahlen eher als der Abgeordnete, der gefragt hat?

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar