Im Sommer 2018 ist ein Ruck durch Leipzig gegangen. Die steigende Anzahl ertrunkener Menschen im Mittelmeer, die Kriminalisierung der Seenotrettung und die fehlende Bereitschaft vieler Anrainerländer, Geflüchtete von den wenigen Rettungsbooten an Land zu nehmen, hat zu Empörung und Schock geführt. Aus dieser Empörung heraus ist die Leipziger Seebrücke entstanden, zu der auch ich gehöre.

Die Leipziger Seebrücke ist eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, in der Menschen entweder zum ersten Mal Politik machen wollen, weil sie das Sterben im Mittelmeer nicht länger ignorieren können oder als alte Häs*innen schon lange dabei sind und auch hier mitmischen wollen. Der Sommer war daher ein Sommer voller kreativer Aktionen, Demonstrationen und medialem Aufschrei.

Doch was nach dem Sommer bleibt, ist die Vorausschau in einen kalten, trüben Winter. Nach allen Protesten und Bitten hat sich Leipzig nicht dazu bekannt, ein Hafen in Not zu werden und Menschen von Seenotrettungsschiffen aufzunehmen. Als Teil eines europäischen Netzwerks verschiedener Städte bekennt sich Leipzig dazu, eine solidarische Stadt zu sein.

In den Grundsätzen dieses Netzwerks ist u. a. festgehalten, dass sich die Städte für die Integration und Aufnahme von Geflüchteten einsetzen wollen. Andere Städte wie Berlin oder Barcelona haben sich im vergangenen Sommer dazu bereiterklärt, die Geflüchteten von den Booten aufzunehmen.

Was aber passiert in Leipzig? Leipzigs Gemeinschaftsunterkünfte stehen teilweise leer. Dort hätte mehr als nur ein Seenotrettungsschiff Platz. Stattdessen wird der Platz aufgespart für „schlechte Zeiten“. Genau das Gegenteil eines Hafens wird in Leipzig praktiziert: Anstatt Menschen auf der Flucht einen Ort zum Ankommen zu bieten, finden am Flughafen Halle/Leipzig Abschiebungen in eine unsichere Zukunft statt, zurück in Länder, aus denen Menschen nicht ohne Grund geflohen sind.

Leipzig könnte ein sicherer Ort zum Leben für alle sein. Stattdessen werden Menschen, die in bestimmten Straßen leben, zunehmend kriminalisiert, die Grünflächen für rassistisch motivierte Personenkontrollen genutzt. Eine flächendeckende Gesundheitsversorgung für alle stellt für uns einen Mindeststandard dar.

Doch sind auch in Leipzig Menschen davon ausgeschlossen, weil kein Zugang für sie geschaffen wird. Diese Liste kann noch mit etlichen Beispielen weitergeführt werden. Einem europäischen Netzwerk anzugehören, das sich solidarisch nennt, macht eine Stadt in der Realität offensichtlich nicht solidarisch.

Von was ich also träume? Dass Leipzig zu einer wahren solidarischen Stadt wird, die sich offen zeigt, soziale Gerechtigkeit aktiv einfordert, sich gegen Ausgrenzung einsetzt und eine aktive, politische Zivilgesellschaft fördert.

Zur Reihe „Wenn Leipziger träumen“: Wie schon im Jahr 2017 und manchen Jahren zuvor, sind sie wieder unter uns – die Leipziger Träumer. Mal visionär oder fragend, mal ganz nah bei sich haben Menschen ihre Wünsche und Träume frei von redaktionellem Eingriff unsererseits aufgeschrieben. Für die Stadt in der sie leben, für sich und für alle Leser der L-IZ.de und der Leipziger Zeitung. Ein unverstellter Blick auch auf die, die im Alltag oft eher leisere Stimmen als haben oder bekanntere Namen, die sich zur Abwechslung mal ganz persönlich äußern wollen.

Dabei ist es logisch, dass jeder der bereits 2017 und in den folgenden Tagen auf der L-IZ.de veröffentlichten Träumer durch Beruf, das persönliche Umfeld und eigene Erlebnisse verschiedene Ansätze bei der Beantwortung der Frage nach einem besseren Miteinander, wichtigen Vorhaben und einer gemeinsamen Zukunft in unserer Gesellschaft haben muss. Vor allem aber: viele voller Hoffnung auf ein besseres Miteinander in unserer Stadt.

Alle Träume, welche bereits veröffentlicht sind, finden Sie unter dem Tag l-iz.de/tag/traeume.

2.000 Leipziger demonstrierten am Samstag dafür, Leipzig zum sicheren Hafen zu machen + Video

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