Als Stadtrat Thomas Kumbernuß im Oktober 2019 seinen Antrag stellte, die Arndtstraße in der Leipziger Südvorstadt in Hannah-Arendt-Straße umzubenennen, war noch nicht zu ahnen, dass das Jahr 2020 im Zeichen von „Black lives matter“ stehen würde, dass die Tötung des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai durch einen weißen Polizisten die größten Anti-Rassismus-Proteste seit über 50 Jahren auslösen würde und auch in Deutschland endlich ernsthaft über den eigenen Rassismus diskutiert wird. Was das mit Ernst Moritz Arndt zu tun hat? Eine Menge.

Es haben sich ja, nachdem der Stadtrat am 22. Januar ein bisschen unverhofft mehrheitlich dem Antrag von Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) zugestimmt hatte, eine erstaunliche Menge Verteidiger für Arndt gefunden, meist nach dem Strickmuster, man könne doch nicht einfach die Namensbenennungen einer Zeit aufheben, die noch gar nicht den heutigen kritischen Blick auf Antisemitismus und Nationalismus hatte wie wir heute. Die Straßennamen seien ein zeithistorisches Zeugnis und Arndts Äußerungen seien sowieso nur aus der Zeit zu verstehen.

Eine Argumentation, die eigentlich von der „Black Lives Matter“-Bewegung ad absurdum geführt wird. Denn sie führt vor, wie tief der Rassismus im Denken der Weißen bis heute ist und wie wenig sich diese wirklich jemals mit der eigenen Kolonial- und Sklavenhaltergeschichte auseinandergesetzt haben. Die eng verbunden ist mit einem elitären Dünkel, der in den Rassengesetzen der deutschen Nationalsozialisten kulminierte.

Aber er war vorher schon da. Und er entstand auch nicht erst zur Wagnerzeit. Und kaum ein deutscher Professor zeigt so deutlich, dass Rassismus, Antisemitismus und Nationalhass aus der selben Quelle kommen wie Ernst Moritz Arndt.

Über seinen Franzosen- und Judenhass ist genug geschrieben worden.

Kommen wir zum Rassisten Ernst Moritz Arndt. Es überrascht nicht, dass seine gesammelten Schriften auch in die Bücherei der University von Michigan geraten sind. Dort hat Google in seiner emsigen Kopiereifrigkeit auch seine „Schriften für und an seine lieben Deutschen“ eingescannt, eine Sammlung, in der sich auch Arndt Schrift „Phantasien zur Berichtigung der Urtheile über künftige deutsche Verfassungen“ von 1815 findet.

1815 – das war das Jahr, in dem Napoleon bei Waterloo geschlagen wurde und in einigen deutschen Fürstentümern die Herrscher das Volk mit dem Versprechen zu den Waffen gelockt hatten, sie würden nachher eine Verfassung bekommen. Das Versprechen wurde meistens sehr schnell wieder zurückgenommen. Aber daher ist Arndts Schrift nicht so interessant. Interessant wird sie an der Stelle, an der er zu fabulieren beginnt über die „Verbastardung der Völker“.

Wer noch immer glaubt, Darwin sei schuld an den irren Rassenthesen der Nazis und ihrer Gefolgsleute, wird hier eines Besseren belehrt. Das ist alles viel älter und dünkelhafter.

„Nicht die Überschwemmung durch Schätze und Reichthümer, nicht die Gefahren der Üppigkeit und Wollust, die in ihrem Gefolge kommen, sind einem edlen Volke so tödtlich, als die zu viele Vermischung mit dem Fremden, wodurch endlich alle Triebe und Anlagen desselben eitel tändelisch wild und disharmonisch werden und alle die stillen Kräfte und Tugenden des Gemüthes verschwinden, woraus alles Große und Göttliche und auch die politische Würde und die göttliche Freiheit von jeher gewachsen ist und allein wachsen kann“, schreibt Arndt.

Darin steckt schon der komplette spätere Rassendünkel der Nazis. Aber Arndt wird sehr konkret. Und er hat das eben nicht nur 1815 veröffentlicht, sondern 1845 wieder in der Weidmann’schen Buchhandlung in Leipzig. Es war also auch keine „Phase“, sondern der Mann dachte wirklich so. Lebenslang. Er war zutiefst überzeugt davon, dass man „Menschenarten“ züchten muss. Denn das Bild – das auch die Nazis später genau so übernahmen – stammt direkt aus der Tierzucht.

Ernst Moritz Arndt original: „… denn nur die Mischung des Gleichen und Einfachen veredelt die Art wirklich und giebt eine Art, die bleibt. Ebenso, wenn wir z. B. annehmen, was wir ja gewöhnlich thun, daß der Neger und Mongole eine schlechtere Menschenart sey als der Celte und Germane, sollte man glauben, daß der Neger- und Mongolenstamm durch eine fortgesetzte Mischung mit den letzteren beiden unendlich veredelt ja allmählig wohl in einen ganz anderen und eigenthümlichen Stamm umgewandelt werden müßte.“

Was für eine Überheblichkeit, so selbstverständlich anzunehmen, „daß der Neger und Mongole eine schlechtere Menschenart sey“.

Aber genau die Stelle macht sichtbar, wo das Denken der scheinbar so überlegenen Weißen herkommt, wo unser weißer Rassismus seine Wurzeln hat. Und dass die Empörung darüber, nicht mehr „Neger“ usw. sagen zu dürfen, scheinheilig ist. In den Worten steckt die ganze von Arndt erwähnte Überheblichkeit eines sich edel dünkenden Volkes (oder besser: seiner studierten Elite) über die für primitiv erklärten Völker.

Und die Forderung, solche „großen deutschen Denker“ aus dem Straßenbild zu entfernen, gibt es ja nicht nur in Leipzig. Auch in anderen deutschen Großstädten fordern Bürger und Politiker, die Namen von Antisemiten, Rassisten und Kolonialisten von den Straßenschildern zu entfernen. Bislang meist gegen geharnischten Widerstand auch studierter Experten, die die Benennung solcher Straßen einfach als historisches Relikt erhalten wissen wollen, sozusagen als aufbewahrtes Denken ihrer Zeit. Völlig ignorierend, dass genau dieses Denken jetzt endlich in der Kritik steht. Es war zu lange staatstragend.

Natürlich stand es für den Geist der Zeit. Aber dieser Geist war kein guter, bestenfalls ein „gemüthlicher“. Aber nicht mehr.

Und ein paar kleine Erklärungstafeln schaffen die Folgen dieses Denkens eben nicht aus der Welt. Das Anbringen einer Tafel würde auch nicht klarmachen, wie wenig akzeptabel diese Art Denken immer war. Und vor allem: welche fatalen Folgen es bis heute hat. Es gibt auch in Leipzig immer noch Leute, die genauso denken wie einst Ernst Moritz Arndt. Und die dann gern so tun, als sei das doch nur eine exotische Sicht auf die Welt. Ist sie nicht.

Im Gegenteil: Auch der Leipziger Stadtrat hat in jüngerer Zeit gern mal weggeschaut, wenn da so ein kleiner Kolonialgeruch im Raum stand wie bei einem Mann namens Ernst Pinkert. Zu den kommen wir gleich. Auch seine Straßenbenennug steht zur Disposition.

Leipzigs Verwaltung möchte auch die Jahnallee nicht umbenennen

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