In der Nacht auf den 23. November 1992 flogen Molotowcocktails in zwei Häuser, die von türkischstämmigen Familien bewohnt wurden. Yeliz Arslan, Ayşe Yılmaz und Bahide Arslan starben in dieser Nacht. Der Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“ erzählt von den Folgen für die Überlebenden und von hunderten Beileidsbekundungen, die den Familien vorenthalten wurden.

Die beiden Neonazis, deren Namen im Film und deshalb auch an dieser Stelle nicht genannt werden, warfen zwei Molotowcocktails in ein Haus in der Ratzeburger Straße, wo sich alle Bewohner*innen retten konnten, und eine halbe Stunde später einen weiteren Brandsatz in ein Haus in der Mühlenstraße. Dort überlebten mehrere Menschen schwerverletzt durch Sprünge aus den Fenstern, doch zwei Mädchen und ihre Großmutter starben noch in den Flammen oder kurz danach.

İbrahim Arslan, der Bruder von Yeliz, überlebte, weil er von der Großmutter in ein nasses Bettlaken gewickelt worden war. Er und sein Bruder Namik sind die wesentlichen Protagonisten in „Die Möllner Briefe“. Während İbrahim politisch aktiv ist, hat Namik den Schmerz buchstäblich in sich hineingefressen.

Namensgebend für den Titel dieser Dokumentation sind hunderte Beileidsbekundungen, die in den Wochen nach den Brandanschlägen an die betroffenen Menschen geschickt wurden. Viele davon bekommt man im Film zu sehen. Es sind Zeichnungen von Kindern, einfache Grußkarten und längere Texte, die Trauer, Wut und Scham ausdrücken.

Diese Briefe hätten den Familien vielleicht beim Heilen helfen können, doch aus nicht geklärten Gründen landeten sie im Stadtarchiv. Die Familien haben laut eigener Aussage erst Jahrzehnte später von ihrer Existenz erfahren. Statt Solidarität erfuhren sie anhaltenden Rassismus durch Polizei und Mitbürger*innen.

„Die Möllner Briefe“ von Martina Priessner ist keine investigative Recherche der damaligen Umstände, sondern zeigt formell zurückhaltend ausschließlich die Perspektive der Familie Arslan. Besonders berührend sind die Briefe, die Offenheit der Betroffenen und die Begegnungen mit einigen Absenderinnen, die rund drei Jahrzehnte später ausfindig gemacht werden konnten.

Auch wenn der mörderische Rassismus und die bis heute anhaltende Zögerlichkeit in den Behörden schmerzen, bleibt von diesem Film vor allem die überwältigende Solidarität in Erinnerung. Wenn sich İbrahim zum Abschluss mit einer jüdischen Briefschreiberin trifft und über den gemeinsamen Kampf gegen Diskriminierung spricht, schlägt der Film sogar den Bogen zur Gegenwart.

„Die Möllner Briefe“ laufen am Dienstag um 15:30 Uhr in den Passage Kinos sowie von Samstag bis Dienstag zu unterschiedlichen Zeiten in der Cinémathèque – am Samstagabend in Anwesenheit von Regisseurin Martina Priessner und Protagonist İbrahim Arslan.

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