Jens Kassner steigt aus dem Auto. Geparkt hat er's im Parkhaus des Kornmarkt-Centers. So kommt man heute nach Bautzen. Früher konnte man auch den Zug nehmen. Doch in Sachsen mag man Züge nicht mehr. Da spart man lieber. Das ist auch für die schönen alten Städte an der Via Regia nicht gut. Auch nicht für Besuche an einem Tag. Nicht jeder will dafür extra mit dem Auto fahren.

Etwa von Leipzig nach Bautzen, um eine Stadt zu besichtigen, die irgendwann vor ungefähr 500 Jahren in ein anderes Hosenbein der Geschichte rutschte. Bis dahin konnte sich das 1002 erstmals von Thietmar von Merseburg erwähnte Bautzen durchaus mit Leipzig vergleichen. Hier war ein wichtiger Knoten an der Handelsstraße Via Regia, hier hatte sich ein selbstbewusstes Bürgertum herausgebildet. Und man gehörte ab 1031 zur Mark Meißen.

Bis 1135, als das Gebiet vom böhmischen König beansprucht wurde, der zwar die Sicherheit in der Oberlausitz nicht immer garantieren konnte. Aber bis zum Frieden von Prag 1635 blieb es dabei. Die wichtigen Städte der Lausitz – zu denen auch Bautzen gehörte – organisierten sich selbst im Sechs-Städte-Bund und konnten sich lange Zeit Rechte bewahren, die erst die sächsischen Kurfürsten wieder beschnitten. Die Lausitz war gerade deshalb lange ein reiches und selbstbewusstes Gebiet.Und die innere Stadt von Bautzen zeugt bis heute davon. Wer also schon einmal begonnen hat, die stolzen Städte Sachsens zu erkunden, dem kann auch Bautzen empfohlen werden. Mit der Ortenburg, die ihre Gründung im 10. Jahrhundert hatte – als Grenzfeste gegen die wehrhaften Slawen. Mit dem Reichenturm, dem “Schiefen Turm” von Bautzen, den man sogar besteigen darf – im Unterschied zu jenem Turm in Pisa. Schon dafür lohnt sich der Weg.

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Jens Kassner hat – so ist ja die rote Linie dieser handlichen Ein-Tag-Stadtführer – auch für Bautzen eine Route mit 31 Stationen ausgewählt, bebildert und erläutert, die man durchaus schaffen kann an einem Tag. Sie lässt die eindrucksvollen Bauwerke der alten Stadtbefestigung nicht aus, nicht die eindrucksvolle Ortenburg, nicht das städtische und nicht das sorbische Museum, nicht Domstift mit Schatzkammer, nicht die große Stadtkirche St. Petri und auch nicht das Rathaus, das – wie das Leipziger – ein mehrfach veränderter Bau ist. Das erste Rathaus ist für 1213 erwähnt.

Man sieht auch Manches, da sagt der Leipziger “Hoppla!”Auch Bautzen hat ein Gewandhaus, aber da wird nicht musiziert. Teile der Stadtverwaltung sitzen drin und die Bautzener können sich hier trauen lassen, wenn sie sich trauen. Und das Hartmannsche Haus dicht daneben erinnert irgendwie – ja, kann das sein? – an das Romanushaus in Leipzig. Böhmischer Barock ist das. Den man nicht gleich erwartet in einer Stadt, die so von Türmen dominiert ist wie Bautzen. Der berühmteste ist nicht einmal ein Luginsland, sondern die Alte Wasserkunst, mit der das Wasser aus der Spree in die Stadt hinaufgepumpt wurde.Gottfried Semper begegnet dem Spaziergänger – er hat die Bautzener Kaserne gebaut. Wie eine Burg mitten in der Stadt. Türme und Zinnen. Vom alten Mönchskloster stehen noch die Mauern. Das wäre in Leipzig nie passiert. Da hätte man längst was draufgebaut. Und wenn’s noch ein Einkaufs-Center wär. Aber auch die Bautzener haben so ihre Rätsel. Auch sie wissen nicht ganz genau, wo die erste Kaufmannssiedlung war. Irgendwo unterhalb der Nikolaikirche. So wie in Leipzig. Die Katasterzeichnungen im Archiv fehlen.

Dafür haben auch die Bautzener nach 1990 nicht nur ihre Liebe zum Senf wiederentdeckt (“Bautzener Senfstube”, Ecke Brüdergasse), sondern auch ihre Freude an alten Denkmälern. Auch sie stellen wieder auf, was ihnen im Stadtbild fehlte – den Figurenbrunnen mit dem “Ritter Dutschmann” zum Beispiel, den sie 1855 eingemottet hatten. Doch in Bautzen kommt so schnell kein Denkmal weg. 1995 haben sie den Ritter von 1575 wieder auf den Markt gestellt.

Man merkt: Wer das alles an einem Tag schaffen will, muss sich sputen. Wer dann gar noch die Einladungen von Dom, Domstift, Ortenburg und Sorbischem Museum annimmt, braucht bestimmt mehr als einen Tag. Erst recht, wenn er auch noch – etwas außerhalb der Route – das Senfmuseum mitnehmen will und das beklemmende Bauwerk, das im 20. Jahrhundert den Ruhm des stolzen Bautzen beschattete: die Strafvollzugsanstalt Bautzen II. Es war eins der beiden Gefängnisse, die in der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR-Zeit als Haftanstalten für politische Gefangene dienten. Heute ist es Gedenkstätte. Das andere, Bautzen I, wird vom Freistaat Sachsen weiter als Justizvollzugsanstalt genutzt. Das ist jenes, das in der DDR den Spitznamen “Gelbes Elend” bekam.

Wer jetzt auf andere Gedanken kommen will, kann an der Talsperre Bautzen baden gehen oder sich im Saurierpark im Ortsteil Kleinwelka die Saurier anschauen. Da ist es dann wohl eher die Frage, ob zwei Tage reichen. Das Heft im Taschenformat hilft, die ganze Sache generalstabsmäßig zu planen, wenn man schon mal nur einen Tag zur Verfügung hat. Aber der Tag lohnt sich.

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