"Die Wehrmacht von innen" will uns der Historiker Felix Römer in seinem aktuellen Buch "Kameraden" zeigen. Die verwendeten Vernehmungsberichte und Abhörprotokolle des amerikanischen Geheimlagers Fort Hunt erzählen von den Taten und Befindlichkeiten der deutschen Soldaten so ungefiltert wie wohl noch nie zuvor. Ein Lesebericht.

Das Zweite Deutsche Fernsehen zeichnete unlängst in dem Dreiteiler “Unsere Mütter, unsere Väter” Kriegserleben und Kriegsverstrickungen junger Deutscher der Jahrgänge 1920 bis 1922 nach. Die im Film dargestellten Kriegsverbrechen ließen ein bekanntes Boulevardmedium fragen “Waren deutsche Soldaten wirklich so grausam?”

Die Antwort ist unter seriösen Historikern schon lange unstreitig: Ja, sie waren es. Wie es in der Wehrmacht von innen aussah, schildert der Historiker Felix Römer, seit dem Vorjahr wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Historischen Institut in London, nun also in seinem aktuellen Buch “Kameraden”. Wie deutsche Kriegsteilnehmer tickten, kann Römer anhand der verwendeten Vernehmungsberichte und Abhörprotokolle akribisch und anschaulich nachzeichnen. Über 100.000 Blatt hat Römer dazu gesichtet.

Die erhellende Quellensammlung verdanken wir einer geheimdienstlichen Innovation, die die Amerikaner nach Kriegseintritt von den Briten übernahmen. Deutsche Kriegsgefangene, mit Bedacht ausgewählt, durchliefen vor ihrer Überstellung in ein reguläres Kriegsgefangenenlager auf amerikanischem Boden ein Geheimlager zwecks Abschöpfung von Informationen ganz verschiedener Art. Eines dieser Interrogation Center war Fort Hunt im US-Staat Virginia.

Die Praxis der schwarzen Lager verstieß schon damals gegen das Völkerrecht. Wie wir im Zusammenhang mit den zeitgenössischen, so genannten asymmetrischen Kriegen zuletzt mehrfach erfahren mussten, verzichten Demokratien auch heute offenbar nicht auf dieses zweifelhafte Instrument.

Gleichwohl stellen die Vernehmungsberichte und Abhörprotokolle für den Historiker einen Glücksfall dar. Denn zum einen wollten die amerikanischen Vernehmer vieles wissen: politische Bewertungen und ideologische Einstellungen. Und was die Wehrmachtssoldaten und Angehörigen der Waffen-SS den Vernehmern nicht erzählten, besprachen sie auf ihren Zellen, die sie im Regelfall mit einem Kameraden teilten. Die Abhörtechnik war damals schon so weit, dass dieser Zellenkamerad nur im Ausnahmefall ein Zellenspitzel sein musste. Die Leute sollten in den Zellen einfach reden, dann kamen sie von ganz allein auf Einsatzverhalten, Kriegstaktik und Waffentechnik. Für einen Teil der deutschen Gefangenen war übrigens klar, dass sie sich in einer “Quetsche” befanden.Intention zum Töten bei vielen angelegt

Für Römer steht nach dem Studium unzähliger personalisierter Akten fest: Die in Fort Hunt Inhaftierten bildeten einen interessanten Querschnitt der Hitlerschen Wehrmacht.

Doch eines waren sie in ihrer Masse so gut wie alle: Kämpfer der besonderen Art. Um es in den Worten der seit einigen Jahren ausgetragenen geschichtswissenschaftlichen Kontroverse zu sagen: Für die Art und Weise des Kämpfens und Tötens, die die Männer insbesondere im Krieg gegen die Sowjetunion anwendeten, war eben nicht nur die Situation im Kampfgebiet samt einer wechselseitigen Gewalteskalation nebst Gewöhnung an die individuelle Gewaltanwendung entscheidend.

“Doch nicht der Raum an sich gab dies vor, sondern die deutsche Wahrnehmung dieses Raums, einschließlich ihrer antislawischen, antibolschewistischen und antisemitischen Einfärbung.” Mit anderen Worten: Die Wehrmachtssoldaten und SS-Männer ganz verschiedener Jahrgänge und Waffengattungen brachten die nötige Intention zum Töten jenseits bislang normierter Grenzen bereits in das Kriegsgebiet mit.

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Hier erinnert Römer an die prägenden Sozialisationserfahrungen der Männer: den “Sozialmilitarismus”, der auf “soldatische Tugenden” und auf den Nationalismus des 19. Jahrhunderts aufbaute. Für die eingangs erwähnten Jahrgänge ab dem Geburtsjahr 1920 kommt für Römer hinzu, dass diese ihre formativen Jahre im NS-Staat und in den NS-Organisationen verbrachten. Auf das Soldatische hin waren sie ebenso sozialisiert, wie sie durch den Nationalsozialismus indoktriniert waren. Von daher machten sie nahezu ausnahmslos den “Weltanschauungskrieg” und Vernichtungskrieg im Osten aktiv mit.

Der Zusammenhang von biografischen Dispositionen und den Befindlichkeiten der Soldaten konnten mit den Akten aus Fort Hunt erstmals untersucht werden, wie Römer hervorhebt. “Dabei hat sich bestätigt: Weder soziale Schichtzugehörigkeit, Bildungsstand, regionale Herkunft, konfessionelle Prägung oder politische Orientierung allein determinierten, wie die Soldaten dachten und fühlten. Erst all diese Parameter zusammen ergaben die Verortung in einem Sozialmilieu, das den Männern einen eigenen Stempel aufdrückte.”

Aus diesem Zusammenspiel entschied sich, “an welcher Stelle im Spektrum des Konformismus man sich einordnete”. Besonders prägend wirkte sich dabei laut Römer die biografische Variable des Lebensalters aus. Als besonders hitlertreu erwiesen sich die Angehörigen der schon mehrfach beschriebenen “HJ-Generation”.

Alliierte Bombenangriffe als Menetekel der Niederlage

Bereits britische Zeitgenossen artikulierten während des Krieges ihre Empörung über das moral bombing und area bombing deutscher Städte durch Royal Air Force und US Air Force. Bislang galt zudem, dass die Zerstörungen durch die alliierten Luftangriffe die deutsche Zivilbevölkerung eher an die NS-Führung gebunden hätten.

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Kameraden
Felix Römer, Piper-Verlag 2012, 24,99 Euro

Römer hingegen argumentiert, dass der alliierte Luftkrieg gerade unter den Soldaten eine weit nachhaltigere Wirkung erzielte, als bislang angenommen. Die flächendeckenden Zerstörungen in der Heimat waren unter den Inhaftierten ein prominentes Gesprächsthema. “Die schweren Bombenangriffe waren ein Menetekel der Niederlage”, so Römer.

Neben diesen analytischen Stärken überzeugt Römer durch ausführliche, erzählende Passagen, die die Insassen von Fort Hunt hinreichend ausführlich zu Wort kommen lassen. So wird individuelles Denken und Handeln sichtbar. Dadurch gelingt Krämer mit “Kameraden” ein Geschichtsbuch im besten Sinne.

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