Für die Qualität des gerade 2012 aus der Taufe gehobenen Leipziger Krimipreises spricht auch die schöne Tatsache, dass der von der Jury gekürte Titel nicht auch den Publikumspreis gewonnen hat. Gewonnen hat ja bekanntlich Cornelia Lotter mit "Gottesgericht". Den Publikumspreis gewann am 16. November in der Finalrunde Joachim Anlauf. Wohl auch deshalb, weil sein Thema für Leipzig hochaktuell war: der laufende OBM-Wahlkampf.

Aber für Themen allein gewinnt man keine Preise, wird auch nicht in die Finalgruppe gekürt. Schon gar nicht für seinen Erstling, denn das ist es, was Anlauf hier nun vorlegt – nach einem weiteren halben Jahr harter Arbeit. Dabei hatte er sich schon im Frühjahr 2012 richtig Urlaub genommen, um seinen Beitrag zum Krimi-Wettbewerb zu schreiben, angeregt dazu durch den Einladungsflyer. Das muss man sich auch erst einmal trauen. Und Anlauf traute sich das zu. Er kennt Leipzig, auch wenn er vor 45 Jahren im fernen Bielefeld geboren wurde. 1996 trat der Volkswirtschaftler in die Dienste des Freistaats Sachsen, heute ist er Referent für Haushaltsrecht und Stadtentwicklung in der Landesdirektion in Leipzig.

Seine Story tendiert eher zum Politthriller. Denn irgendwie fehlt es am Ende an einer verwertbaren Leiche, was auch das Einschreiten der Polizei nicht notwendig macht. Aber kriminelle Energie entfalten einige seiner Helden, von denen etliche wie aus dem Leben gegriffen erscheinen. Angefangen von Clemens Völker, SPD-Oberbürgermeister in Leipzig, der seinen Posten zu verteidigen hat, bis zum dubiosen Ex-Journalisten und Polit-Berater Michael Lenk, der sein Vorbild durchaus in dem ein oder anderen auf Bundesebene agierenden Polit-Berater haben könnte. Oder doch besser “Polit-Berater”, denn in der Regel geht es da ums Strippenziehen, Kampagnenfahren, Kandidaten-Hochjubeln. Eher ein Spiel mit Ressentiments und Medien als eines mit wirklichen Inhalten.Aber wer keinen starken Kandidaten hat, kann auch gute Politik nicht verkaufen. Und das Bürgerbündnis, das in Anlaufs Buch gegen den Amtsinhaber antritt, hat mit Claus-Friedrich Gordenthal zwar augenscheinlich einen klugen Bewerber von außerhalb gewonnen, der auch theoretisch weiß, wie gute Politik gemacht werden müsste. Doch was theoretisch gut ist, kommt nicht unbedingt auch überzeugend beim Volke an. Das Volk will Macher sehen. So ist es wohl leider wirklich. Egal, was die Macher machen, wie viele Schnitzer sie sich leisten und wie desolat ihr Privatleben ist. Typen wie Gordenthal, der in Anlaufs Buch auch noch in direkter Verbindung zur großen Widerstandsgeschichte des 20. Juli ’44 steht, kommen auch in den besten Parteien erst zum Zug, wenn es keine anderen Optionen mehr gibt.

Aber was kann man tun, wenn ein Amtsinhaber so stark in Position ist und in der CDU-Chefetage in Berlin gar die Angst umgeht, der SPD-Mann könnte nach gewonnener OBM-Wahl gar noch Ambitionen in der Landespolitik entwickeln? Da muss man was machen. Wenn man den eigenen Kandidaten vor Ort nicht stark bekommt, muss man den Amtsinhaber schwächen. Man braucht eine Demontage-Strategie, und die hat Michael Lenk parat, als ihn der große Capitano, der sonst den Wahlkampf für die Bundes-CDU managt, anruft. Man braucht nur einen guten Schauspieler, der mit ein bisschen Schminke und neuen Klamotten haargenau so aussieht wie der Amtsinhaber, und dann lässt man ihn aufs Volk los – mit kleinen, boshaften Auftritten, die den scheinbar so starken Amtsinhaber schnell mal als liederlich, gesundheitlich angeschlagen und nicht ganz bei Trost erscheinen lassen.

Eigentlich auch eine kleine, feine Satire auf den modernen, von Medien geprägten Polit-Betrieb. Denn ein Großteil von dem, was dem Volke als Politik verkauft wird, ist ja mittlerweile reine Inszenierung. Wahlkämpfe machen das nur noch deutlicher, erst recht, wenn es zu einigen Medien, die gern mitspielen, einen direkten Draht gibt, so dass die notwendigen Bilder und Schlagzeilen auch umgehend veröffentlicht werden.Für Anlauf bringt das richtig Feuer in die Geschichte. Und da sein Clemens Völker auch noch mitten in einer Scheidungsgeschichte steckt, merkt er ziemlich spät, dass da was Seltsames hinter den Kulissen läuft. Aber wie sagt man’s den Leuten, wenn doch alle glauben, er war’s? Und wie will er es beweisen? Was in der Boulevard-Zeitung steht, muss doch stimmen? – Es ist eine rasante Geschichte, die Anlauf da aufmacht, mit klugem Wissen um das, was in so einem Leipziger OBM-Wahlkampf tatsächlich abläuft. Mitsamt den Themen, die im Frühjahr 2013 allesamt so aktuell und brisant sind wie im Herbst 2012 – vom Fight um die MuKo bis hin zur Bewerbung um den völlig überflüssigen Titel “Kulturhauptstadt”. Im Stadtrat muss um Mehrheiten gerungen werden, der Mitarbeiterstab hat genug zu tun, die kleinen und mittleren Katastrophen auszubügeln, schwankende Mehrheiten zu bekommen und die Darstellung nach außen zu retten.

Während die KAMPA verzweifelt, weil ihr Kandidat augenscheinlich kurz vorm Showdown völlig aus dem Ruder läuft. Aber es ist auch eine kleine Denkübung: Was wäre wenn – wenn etwa wirklich mal einer den Leipziger OBM-Wahlkampf aufmischen will? Nicht mit diesen lächerlichen Wahlanfechtungen, bloß weil einer seine Stimmen nicht zusammengekriegt hat.

Politik ist tatsächlich Organisationstalent, der “Wille zur Macht”, so schrecklich das klingt – aber wer nicht zugreifen will, wer nicht mal ein kampfstarkes Trüppchen aufstellen will – wie will der für Leipzig kämpfen? Leipzig leidet auch ein bisschen darunter, dass viel zu Viele glauben, man könne etwas erreichen, wenn man eine Eingabe schreibt. Politik braucht nicht nur Mehrheiten, sondern auch Leute, die bereit sind, für ihre Ideen zu kämpfen. Ist natürlich die Frage: Braucht das dann auch Kämpfertypen? – In gewisser Weise schon. Das merkt auch Gordenthal, der bald spürt, dass zumindest das Bürgerbündnis von ihm Anderes erwartet.

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Völkers Schlacht
Joachim Anlauf, Niemeyer Verlag 2013, 9,95 Euro

Am Ende spitzt sich diese furiose Doppelgänger-Geschichte auf eine handfeste Auseinandersetzung im Neuen Rathaus zu – schön filmgerecht im Paternoster. Was dann für eine ohnmächtige Reinigungskraft sorgt und einen Völker, der nun doch zu gern wissen wöllte, wem das kleine Leipzig so wichtig war, dass er hier eine recht dubiose Störaktion starten musste. Aber die Vögel sind ausgeflogen. Herr Lenk weiß von nichts, legt dem neugierigen Kandidaten aber wärmstens ans Herz, sich nicht in die Landespolitik einzumischen. Ob er’s beherzigt?

Anlauf jedenfalls deutet schon mal an, dass ihm das Buch Spaß gemacht hat und dass er Weiteres folgen lassen möchte. In welche Richtung das tendiert? Wer weiß. Es sind ja alle Helden noch auf dem Spielfeld. Und Stoff gibt es in Leipzig genug, der für dicke (Polit-)Krimis geeignet wäre.

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