Die CDU liegt schon in 2. Auflage vor, die FDP erschien gerade, die Grünen sind für 2015 angekündigt, die CSU gibt es seit 2013. Wann kommt die SPD? Das kann dauern. Denn mit der Schriftenreihe "Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland" hat sich Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ein ehrgeiziges Projekt vorgenommen: Wie schreibt man die Porträts der derzeit wichtigen Parteien in der bundesdeutschen Politik?

Dass sich die Autoren insbesondere mit den Parteien des “linken” Spektrums schwer tun, zeigen schon die Erscheinungsdaten der einzelnen Bücher. Die Grünen sind erst für 2015 angekündigt, die Linke liegt jetzt gerade vor, die SPD ist noch nicht einmal in Sicht. Was auch daran liegen kann, dass sich mit den Mitteln, die Karl-Rudolf Korte zur Analyse von Parteistrategien anwendet, das Agieren bürgerlicher Parteien leichter erklären lässt als diese seltsame Gemengelage bei den Linken. Und so wie Korte deshalb beim deutschen Fernsehen als Analyst ein gefragter Mann ist, findet sich das Instrumentarium, das er verwendet, auch in den Wahlanalysen der großen meinungsbildenden Zeitungen der Republik wieder.

Es wirkt so schön verständlich, dass es auch von anderen Politikwissenschaftlern gern gebraucht wird, um Aufstieg und Fall von Parteien zu beschreiben. In diesem Fall haben der Jenaer Politikwissenschaftler Prof. Torsten Oppelland und Dr. Hendrik Träger, der als “Lehrkraft für besondere Aufgaben” zwischen Leipzig und Magdeburg pendelt, übernommen, die Linke zu analysieren und einzuordnen. Der Titel provoziert. Aber gerade weil er augenscheinlich etwas Untypisches herausstellt, bezeichnet er tatsächlich das Typische an jenen Parteien, die man in Deutschland so leichthin als “links” bezeichnet.

Die schlichte Wahrheit, die dann in den Bänden zu SPD und Grünen sichtbar werden wird, ist: Diesen beiden Parteien geht es nicht anders.

Aber – und das wird oft verkannt: Es ist kein Makel. Das wird gerade dann sichtbar, wenn Oppelland und Träger versuchen, all die diversen Strömungen und Plattformen in der Linken zu beschreiben und ihr Wechselspiel zu begreifen. Irgendwann fällt auch das Wort Sammlungspartei. Ein Positivum und eine Last – denn das stellt jede Parteispitze vor die heillose Aufgabe, einen Sack Flöhe zu hüten. Da gibt es die Realisten, die Fundamentalisten, die Anarchisten, die Regierungswilligen und die ganz und gar Oppositionellen. Und es gibt auch noch die, die ganz offen über eine Veränderung der Gesellschaftsordnung nachdenken. Und einige davon stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, weil ihre Art Gesellschaftsumwälzung schon wieder gegen das Grundgesetz verstößt. Es gibt auch noch die ganz Altbackenen, die der weiland verstorbenen DDR nachtrauern, die auch Mauer und Geheimdienst und stalinschem Zentralismus etwas abgewinnen können.
Aber sie sind nicht die Mehrheit. Die alte SED-Nachfolge-Partei PDS hat sich im Lauf der 25 Jahre sehr gewandelt, ist bei einer ersten West-Expansion gescheitert und hat 2005 die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, mit der WASG gemeinsam eine neue Partei zu bilden, die sich vor allem als Sprachrohr der sozial Benachteiligten – auch und gerade in Abgrenzung zur SPD – definiert.

Oft sickern Wertungen ins Buch, wie man sie aus den genannten Meinungsmedien kennt – Wertungen, die sich auch widersprechen, etwa die Behauptung, die Linke hätte für ihre programmatischen Forderungen keine Finanzierungsvorschläge gemacht. Um nur wenige Seiten später darauf zu verweisen, dass diese Finanzierungsvorschläge in Form von Erhöhungen der Spitzensteuersätze und der Erhebung von Vermögens- und -erbschaftssteuern bestanden und bestehen. Übrigens ein Thema, über das mittlerweile auch die konkurrierenden Parteien diskutieren, denn auch dort haben ein paar kluge Köpfchen begriffen, wie verheerend der internationale Steuersenkungswettlauf für die Haushalte der Staaten ist.

Aber wie ist das nun mit der “ideologischen Zerstrittenheit”? Auf die Ideologie selbst gehen ja Oppelland und Träger gar nicht extra ein, weil das ein eigenes Buchprojekt wäre, etwa so dick wie “Das Kapital” von Karl Marx (768 Seiten in der Anaconda-Ausgabe von 2009) oder “Das Kapital im 21. Jahrhundert” von Thomas Piketty (912 Seiten in der deutschsprachigen Ausgabe, die im Oktober bei C. H. Beck erscheint).

Das Wort Ideologie wird seit einiger Zeit gern missbraucht – gern vorwurfsvoll aus Parteien heraus, die glauben, selbst keine Ideologie zu haben. Was ein Irrtum ist. Auch die bürgerlichen Parteien würden sich wundern, wenn man sich einmal mit ihren Grunderklärungsmustern für die Gesellschaft beschäftigen würden. Warum macht das eigentlich keiner?

Dann würde auch ein wenig klarer werden, was die “linken” Parteien eigentlich von den anderen unterscheidet. Es ist nämlich ihr Streiten über diese Erklärungsmuster. Man kann versuchen, sich mit einer Gesellschaft abzufinden, wie sie ist. Und dann so tun, als sei alles in Ordnung. Doch all diese “Linken” beschäftigen sich (nicht erst seit Marx) mit der Frage: Wie kann man das alles besser machen?

Zu erinnern ist an die ganze Reihe weltberühmter Utopisten, die versucht haben, ideale Gesellschaftsbedingungen zu erdenken – Morus und Campanella vorneweg. Fourier und Co. als erste Ausprobierer hinterdrein. Zu erinnern ist auch daran, dass auch die parlamentarische Demokratie einst ein utopisches Projekt war und dann im Grunde von den Engländern exemplarisch in ein funktionierendes Staatsprojekt verwandelt wurde.

Die Linke begreift sich als so ein Sammelbecken der alternativen Denkrichtungen und sieht sich auch selbst immer wieder in der Gefahr, diesen Wesenskern zu verlieren, wenn man nicht nur in Parlamente einzieht, sondern gar Regierungsverantwortung übernimmt. Das ist der Punkt, an dem sichtbar wird, dass Oppelland und Träger die Linke vor allem aus der Warte der medialen Wahrnehmung der Parteien und ihrer Beteiligung an Parlamenten und Regierungen betrachten. Da spielen Personen eine herausragende Rolle, denn wir leben ja in einer Mediendemokratie, wo Parteien überhaupt nicht nach ihren tatsächlichen Inhalten bewertet werden, sondern nach ihrem öffentlichen Erscheinungsbild. Und bei der Linken waren vor allem drei Personen immer auch die Zugpferde: Gregor Gysi, Lothar Bisky und Oskar Lafontaine. Die beiden Autoren stellen durchaus die berechtigte Frage: Was wird aus der Linken, wenn sich auch Gysi zurückzieht?

Wobei die drei Genannten auch elementar waren, den Haufen zusammenzuhalten. Ohne Gysi wäre die alte SED einfach implodiert und es hätte keine namhafte Linkspartei gegeben, die sich im Osten gar zu einer Art regionaler Volkspartei entwickelt hat.

Opelland und Träger gehen natürlich noch tiefer in die Geschichte, verorten die Geburt der heutigen Linkspartei in den frühen Abspaltungen von der SPD: der USPD und der KPD. In einem kurzen Exkurs gehen sie natürlich auch auf die Deformierungen ein, die die KPD in den 1920er Jahren zu einer Partei nach stalinschem Muster machte, eine Deformierung, die 1946 die Grundlage bildete für die Funktionärspartei SED und ihren selbstherrlichen Machtanspruch.

Doch gerade im Osten hat sich die Linke – auch durch einen großen Aderlass an älteren Mitgliedern – vielerorts zu einer Art “besserer SPD” gewandelt, hat aber schon lange keine Scheu mehr davor, mit der alten Konkurrenz aus der eigenen Familie Bündnisse einzugehen – über geduldete Regierungen wie vormals in Sachsen-Anhalt bis zu Regierungskoalitionen wie in Mecklenburg-Vorpommerm. Brandenburg und Berlin. Es ist zumeist eher die SPD, die lieber in große Koalitionen geht, als mit der Linkspartei zu regieren. Wobei – auch das werten die beiden Autoren aus – zumeist die Linke dabei an Wählergunst einbüßt, wenn sie mitregiert. Was auch daran liegt, dass viele Wähler die Linke vor allem als Oppositionspartei wählen. Doch wer in der Opposition sitzt, kann nicht gestalten.

Auch das spaltet die Linke auf Parteitagen oft genug. Und die beiden Autoren analysieren sehr genau, welches Talent die jeweiligen Parteiführungen brauchen, um die auseinander strebenden Meinungen unter einen Hut zu bekommen und einen Kompromiss zu finden, der beide Seiten nicht beschädigt.

So nebenbei ist man da also auch ganz tief in der Parteiensoziologie. Denn tatsächlich geht es anderen Parteien nicht anders, wird – offen oder verdeckt – über Strategien und Richtungsentscheidungen gestritten. Nur unterbinden es manche Parteien bis zum Platzen und schwören “Schulterschluss” selbst dann, wenn die Konflikte kurz vor der Explosion stehen. Die SPD kostete das im Umfeld der “Agenda 2010” nicht nur tausende streitbare Mitglieder, von denen viele die WASG mitgründeten, es kostete sie auch 10 Prozent der Wählerstimmen, die sie auch zehn Jahre später noch nicht wieder zurückgewonnen hat.

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Die Linke
Torsten Oppelland; Hendrik Träger, Nomos Verlag 2014, 19,90 Euro

Denn augenscheinlich erwarten Wähler von “linken” Parteien auch diese ehrlichen und offenen Auseinandersetzungen, die das bürgerliche Feuilleton immer als so verstörend und weltfremd empfindet. Krumm nehmen es diese Wähler nur, wenn die Auseinandersetzungen dann in Verletzungen und Siege über den verfeindeten Parteiflügel ausfallen. Das bekam auch die Linke nach einigen heftigen Parteitagen zu spüren. So nach dem heftigen Konfliktparteitag 2012 in Göttingen, der dann eine Reihe von Wahlniederlagen insbesondere bei westdeutschen Landtagswahlen zur Folge hatte.

Augenscheinlich nehmen auch “linke” Wähler sehr genau war, ob nur ein paar Leute ihre Macht- und Sieggelüste austoben wollen, oder ob eine Partei tatsächlich versucht, Lösungen für die Dilemmata der Gegenwart zu finden.

Und da kann man eigentlich auf die Grundunterscheidung der “linken” Parteien von den konservativen zurückkommen: Eine moderne Gesellschaft braucht Parteien, die über das Gegebene hinausdenken und Visionen entwickeln. Denn eine Politik, die nicht mehr in Alternativen entscheiden kann, ist im Grunde handlungsunfähig. Von dieser Weiterdenkerei profitieren dann auch die anderen Parteien. Insofern ist Die Linke eine ganz exemplarische Variante für eine “linke” Partei und ist das, was Oppelland und Träger als “ideologisch zertritten” bezeichnen, gerade das Typische für so eine Partei. Tatsächlich erhöht das nur den Druck auf die Personen, die in so einer Truppe Führungspositionen einnehmen wollen: Sie müssen robustere Moderatoren sein als Spitzenleute in eher monothematischen Parteien.

Und natürlich sind solche Parteien immer Störenfriede, weil sie das Gegebene zum Teil massiv infrage stellen. Manchmal aber gern hinter einem Wort wie “demokratischer Sozialismus” verstecken. Die richtigen Auseinandersetzungen fangen erst an, wenn man dem Begriff einen Inhalt zu geben versucht. Da sind dann auch viele Linke-Mitglieder lieber gleich Realos und versuchen die parlamentarische Demokratie ein bisschen besser zu machen, ohne sie gleich umstürzen zu wollen.

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