Es wird das Standardwerk zur Musikstadt Leipzig - auf Jahre hinaus. Ob man sich alle drei Bände zulegen wird oder nur einzelne: So kompakt bekommt man das Wesentliche zum musikalischen Leipzig nirgendwo beisammen. Selbst wenn es immer wieder Bücher zu einzelnen Glanzlichtern der Leipziger Musikgeschichte gibt und immer wieder geben wird. Wer die Stadt und ihre Musik liebt, hat eh schon ein ganzes Regal voller Leipziger Musikbücher. Die drei Bildbände, die der Lehmstedt Verlag jetzt vorlegt, passen auch noch hinein.

Der erste – von Dr. Michael Maul betreut – umfasste die Anfangszeit bis zum späten 18. Jahrhundert. So ungefähr bis 1775. Eigentlich kann man sogar sagen: bis 1778. Das ist die Zeitenwende, die die damaligen Leipziger sehr wohl als solche erlebten, auch wenn das Jahr in der heutigen Leipziger Erinnerungskultur keine Rolle spielt. Sollte es aber. Denn Revolutionen finden manchmal statt, ohne dass die Fernsehteams aus aller Welt angereist kommen. 1778 war so ein Knackpunkt: Es war das Jahr, in dem Carl Wilhelm Müller Bürgermeister wurde und aus dem alten, noch halb mittelalterlich, halb ständisch organisierten Leipzig der Professoren und Kaufleute das moderne, von wirtschaftlicher, kultureller und bildungspolitischer Entfaltung geprägte Leipzig schuf.

Er ließ die Nikolaikirche klassizistisch umbauen, ließ einen Teil der alten Stadtmauern niederreißen und Parks und Promenaden anlegen, und der aufsehenerregende Konzertsaal für das Große Konzert entstand im alten Messhaus der Tuchhändler, dem Gewandhaus. Die Entwicklung der Musikstadt – ein Begriff, der auf Leipzig eigentlich erst ab dem 19. Jahrhundert zutrifft, – hängt mit diesem stark im Geist der Aufklärung gesetzten Impuls zusammen, der die Stadt nun auch für Musikverleger, engagierte Herausgeber musikalischer Zeitschriften und hochkarätige Musiker aus aller Welt attraktiv machte.

Aufs Thomaskantorat konnte man sich immer nur einzeln bewerben. Doch mit dem Gewandhaus entwickelte sich – mitten aus bürgerlichem Engagement heraus – zum ersten Mal eine Institution, die um sich herum eine ganze Welt professioneller und dilettantischer Musikinitiativen entfaltete. Und Dilettantismus war damals noch ein durch und durch positiv besetztes Wort, das längst sein Comeback verdient hätte zu all den selbsternannten “Experten” der Gegenwart.Und weil dieses von seinen alten Fesseln befreite Leipzig so aufblühte, schwimmt Doris Mundus fürs 19. Jahrhundert geradezu im Material. Und deswegen dominiert das Gewandhaus – oder genauer: dominieren die Gewandhäuser diesen Band mit all ihren Musikdirektoren, die ab Mendelssohn Bartholdy dann den stolzen sächsischen Titel Kapellmeister tragen durften, mit ihren Starsolisten und hochkarätigen Ensemblemitgliedern, die oft im Zweitberuf Lehrer am von Mendelssohn gegründeten Musikkonservatorium waren. Also kommen auch die Schüler des Konservatoriums ins Bild, die jungen Musiktalente, die es geradezu nach Leipzig zog – und die später die so gefeierten Komponisten des Jahrhunderts wurden.

Man erlebt mit, wie das alte Gewandhaus aus allen Nähten platzt, weil auch das gut betuchte Bürgertum nicht mehr hineinpasste, wie neue Chöre, Singakademien und Veranstaltungshäuser entstanden, wie das reiche Leipzig geradezu freigiebig investierte in prachtvolle neue Häuser – von der Central-Halle über das Neue Theater, das Neue Gewandhaus bis zum Krystallpalast. Man lernt die Stars am Neuen Theater kennen, manchmal funkt auch einer von den vielen berühmten Komponisten hinein, für die Leipzig – neben Wien – zur wichtigsten Musikstadt auf dem alten Kontinent geworden war.

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Das Leipziger Publikum – schon mancher hat versucht, es auf den Punkt zu bringen. Manch einer – wie Robert Schumann – hat es erst mitgenommen in ein neues Musikzeitalter. Mancher warf den galanten Damen und befrackten Herren im Gewandhaus einen konservativen Geist vor – und wurde, wie selbst der grimmige Wagner – eines Besseren belehrt. Manchmal war der Eindruck ein völlig Zwiespältiger, wie in der 35 Jahre langen Zeit des Gewandhauskapellmeisters Carl Reinecke, dem es wie keinem anderen gelang, das Orchester auf der Höhe des Mendelssohnschen Anspruchs zu halten und der dann trotzdem gehen musste, weil das Publikum hungrig nach Neuem war. Auch nach Veränderung, die es dann ja mit Nikisch auch in gewollter Qualität bekam.

Mancher feierte in Leipzig Erfolge, die er so nie erwartet hätte – wie Bruckner. Andere gingen im Zorn, am Boden zerstört – wie Mahler und Lortzing. Denn neben dem kunstliebenden Leipzig gab es auch immer ein anderes, ein um Positionen balgendes, knausriges und manchmal auch intrigantes, das manchmal auch die Besten traf und verprellte. Pardon kannten die Leipziger Zelebritäten dann eher nicht, wussten sie doch, dass es nur noch zwei Städte gab, die bei den besten Musikern der Zeit so begehrt waren: Wien und Paris.

Und selbst wer nicht in Leipzig anlandete – wie Liszt oder Grieg -, kam trotzdem auf einem Umweg. Denn mit Breitkopf & Härtel, Hofmeister und der Edition Peters waren hier auch noch die wichtigsten Musikverlage der Zeit regelrecht aufgeblüht. Sie verlegten nicht nur die Gesamtwerke der wichtigsten Komponisten – sie versorgten auch die aufsprießenden Salons des großen, mittleren und kleinen Bürgertums mit Partituren für jedes Instrument der Hausmusik. Und zugleich entstand eine weltweit agierende Instrumentenproduktion. Die Leipziger wussten schon, dass sie im Mittelpunkt der Musikwelt standen. Und die Musiker wussten, dass ein erfolgreicher Auftritt in Leipzig die Tür öffnen konnte zur Weltkarriere.Natürlich lässt Doris Mundus auch all das nicht weg, was im “Schatten” dieser gloriosen Musikstadt alles entstand – von den großartigen Sängerinnen über die faszinierende Karriere der Clara Wieck, die Arbeiterchöre bis hin zu den ersten Vereinen, die sich um die Wahrung des Musikerbes kümmerten, man denke nur an die emsige Arbeit des Leipziger Bach-Vereins.

Das Meiste entstand aus bürgerlichem Engagement heraus, auch wenn es am Ende meist die Stadt war, die Einrichtungen wie die Theater und das Gewandhaus übernahm. Man musste damals nicht wirklich über Marketing nachdenken. Man lebte Hochkultur, weil sie Teil des eigenen bürgerlichen Standesverständnisses war. Etwas, was sich seitdem gründlich verändert hat, seit der bürgerliche Unternehmer des klassischen Zuschnitts praktisch ausgestorben ist, der sich für seine Stadt und ihren Ruhm noch selbst verantwortlich fühlte und sehr genau wusste, wofür er sein Geld ausgab und wem er seine Sammlungen und sein Erbe vermachte.

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Musikstadt Leipzig in Bildern
Doris Mundus, Lehmstedt Verlag, 24,90 Euro

Es ist – so betrachtet – auch eine wundersame Stadt, die man hier aufblättert, eine Stadt, in der die maßgeblichen Unternehmergestalten nicht nur irgendwie ein bisschen kulturinteressiert waren, sondern auch selbst noch sangen, manchmal sogar komponierten, sich in Chören und Ensembles engagierten und sich deswegen auch darum kümmerten, dass gute Sänger und Instrumentalisten in Leipzig auch auskömmlich bezahlt wurden. Sie saßen in Direktorien und Vereinsvorständen – und zwar ganz persönlich, nicht stellvertretend durch ein lächerliches “sponsored by”.

Das alles hat sich im 20. Jahrhundert dann gründlich geändert. Was auch den Charakter der Musikstadt gründlich veränderte und teilweise auch gründlich in Frage stellte.

Aber das ist dann der Stoff für den dritten Band, der im Lehmstedt Verlag gerade in Vorbereitung ist. Da braucht der Musikinteressierte noch ein bisschen Geduld.

www.lehmstedt.de

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