Der Stachel sitzt tief - nicht nur bei Jürgen Weiß, der das Ende des Teubner Verlages in Leipzig miterlebte, auch bei Heinrich Krämer, dem langjährigen Geschäftsführer des 1991 wieder vereinigten Verlages, der bis zu seinem Verkauf 1999 der traditionsreichste und einer der wichtigsten Wissenschaftsverlage in Deutschland war. Wirtschaftlich stand er auf festen Füßen, als er 1999 an Bertelsmann verkauft wurde und den langen Weg in die Namenlosigkeit antrat.

Dass nun Siegfried Otto mit einem eigenen schmalen Buchtitel gewürdigt wird, hat nicht nur mit dem 100. Geburtstag von Siegfried Otto zu tun, der am 25. Dezember 1914 in Halle geboren wurde, es ist auch ein Versuch, ein im Verschwinden befindliches Unternehmerbild zu zeichnen. Denn dafür steht Siegfried Otto exemplarisch: für den verantwortlichen Inhaber, der um den Wert eines Traditionsunternehmens weiß und in Unternehmensteilen nicht nur wertvolle Verkaufsoptionen.

Dabei kommt noch einmal die Schwestergeschichte der beiden Ur-Leipziger Unternehmen Teubner und Giesecke & Devrient zur Sprache, quasi im Frage-Antwort-Spiel zwischen Weiß und Krämer noch einmal zum Leben erweckt, eine Gemeinschaft, die im Grunde 1867 begann, als Dr. Bruno Giesecke B. G. Teubners Enkelin Leontine Roßbach heirate. Siegfried Otto heiratete 1943 Jutta Devrient, wurde aber zur prägenden Gestalt der weltberühmten Druckerei erst 1948, nach seiner Gefangenschaft in der SU. In München gründete er Giesecke & Devrient quasi neu, nachdem das Leipziger Unternehmen verstaatlicht worden war. Und er schaffte es, das Druckhaus wieder zu internationalem Erfolg zu führen. 1969 wurden die alten familiären Beziehungen zum Teubner-Verlag wiederbelebt, der ganz ähnlich wie Giesecke & Devrient  im Westen neu gegründet worden war – in diesem Fall in Stuttgart.

Das war der Zeitpunkt, als Heinrich Krämer zum neuen Geschäftsführer bei B. G. Teubner in Stuttgart wurde und dem Verlag wieder zum Erfolg verhalf. In den 1980er und 1990er Jahren erwirtschaftete Teubner in Stuttgart so viel Überschuss, dass er recht problemlos den Leipziger Bestand des – aus Stuttgarter Sicht widerrechtlich weitergeführten – Teubner-Verlages übernehmen konnte. Bis zu Siegfried Ottos Tod war die Fusion vollzogen, das Geschäft stand auf sicheren Füßen und niemand in der deutschen Verlagsbranche hätte auch nur ahnen können, dass der Name Teubner binnen weniger Jahre verschwinden würde.

Darauf geht Heinrich Krämer in der zehnten Antwort besonders ein, als er über die diversen Kaufanfragen an Siegfried Otto betreffs des Teubner-Verlages erzählt. Otto legte dabei immer Wert, auch Krämers Meinung einzuholen. Und es waren durchaus international renommierte Verlage, die anfragten, weil das über 150 Jahre gewachsene Portfolio praktisch singulär waren in der deutschen Verlagsbranche. Auch Bertelsmann fragte an – und wurde genauso abschlägig beschieden wie die anderen. Siegfried Otto hätte – so schätzt es Krämer ein – den Teubner Verlag niemals verkauft und im Firmenverbund mit Giesecke & Devrient erhalten. Doch die Erbinnen sahen es anders und verkauften den renommierten Wissenschaftsverlag 1999. Dem folgte eine Wanderung durch mehrere Hände, bis aus dem einstmals normprägenden Verlag im Grunde nicht mehr wurde als ein Imprint.

Was dann auch für den Leipziger  Verlagsteil das Ende bedeutete – und damit auch für die hiesigen qualifizierten Mitarbeiter.

Deutlich wird in den zehn sehr ausführlichen Antworten auf die Fragen von Jürgen Weiß natürlich auch, dass auch Krämer selbst ein anderer Manager-Typus war, als man es aus vielen Unternehmen der Gegenwart kennt. Er musste es auch zwingend sein, sonst hätte die Wiederetablierung des Teubner-Verlages ab 1969 nicht geklappt, denn solche Verlage brauchen einen langen Atem, ein profundes Portfolio und vor allem eine enge Zusammenarbeit mit hochkarätigen Autoren, die auch in der Lage sind, gültige Standardwerke zu schreiben. Das schließt direkt an das an, was Benedictus Gotthelf Teubner ab 1824 in Leipzig aufgebaut hatte – mit einem hohen Feingefühl für einen qualitätvollen Druck und mit einem besonderen Sinn für wissenschaftliche Qualität.

Eine ganze Reihe von Veröffentlichungen aus der von Jürgen Weiß gegründeten Edition am Gutenbergplatz Leipzig hat sich mittlerweile mit dieser auch für Leipzig einmaligen Verlagsgeschichte und den hohen, mittlerweile legendären Ansprüchen des Verlagsgründers und seiner Nachfolger beschäftigt. Die Wehmut ist verständlich. Auch weil sie einem Unternehmerverständnis entspringt, das tatsächlich selten zu werden droht, einem Verständnis, das Unternehmen auch als Investition und Wertanlage für nachfolgende Generationen begreift und deshalb auch das Portfolio anders strukturiert, als es etwa Verlage haben, die auf schnelle Rendite getrimmt sind.

Solche Verlage wie Teubner waren auch immer Sammelpunkt für Kompetenz und – auf den selbstgewählten Fachgebieten – auch das nötige Expertenwissen. Man lagerte die Buchentwicklung nicht aus, wie das heute oft genug der Fall ist, sondern konnte Titel oft über Generationen immer weiter entwickeln und bei Folgetiteln an die gemachten Erfahrungen anknüpfen. Das betrifft auch das große Thema Schulbuch, das einmal eine der tragenden Säulen im Geschäft von B. G. Teubner war.

Der Schnitt von 1999 wirkt nach, auch in Leipzig. Das Projekt Edition am Gutenbergplatz ist ja auch ein Versuch, die Kompetenz des wissenschaftlichen Fachbuchs in Leipzig zu erhalten. Mit anderer Arbeitsstruktur, mit begrenzteren Möglichkeiten. Der Abschied vom Jahrhundertprojekt Teubner fällt nicht nur Heinrich Krämer schwer. Genauso wenig wie der Abschied von einem Unternehmtyp, auf den noch das alte Wort Prinzipal passt, das Weiß und Krämer für Siegfried Otto verwenden.

Aber ist es wirklich nur ein langer Abschied? Oder ist es auch ein Ansatz, Unternehmertum wieder anders zu denken als nur im simplen Management-Denken? – Das könnte ja durchaus auch mal wieder Auftakt einer Reihe sein. Und es hat mit Leipzig natürlich auch zu tun, das diesen Typus Unternehmer schon seit 1945 nicht mehr hat.

Heinrich Krämer/Jürgen Weiß “Siegfried Otto (1914 – 1997)”, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, Leipzig 2014, 19,50 Euro

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