Der Quotendruck bei den Medien und der politische Drang zur "Mitte", das ist ein Thema, über das Wolfram Weimer, Gründungsherausgeber des "Cicero" im ersten Teil seines Beitrags im Begleitband "Unter Druck!" sehr gründlich und nachdenklich referiert - im zweiten Teil macht er dann deutlich, dass er so ganz unparteiisch, wie er sich gibt, dennoch nicht ist. Aber auch das ist wichtig, sich dessen immer wieder zu vergewissern: Journalismus ist in gewisser Weise immer subjektiv, die Autoren haben ihre persönlichen Sichtweisen und Einordnungen.

Aber wenn Weimer auf die durchaus kritisch zu betrachtende “Macht der Mitte” zu sprechen kommt, die sich mit den Informationsmustern des Internets noch verstärkt, dann steckt auch eine berechtigte Warnung darin – auch an eine Politik, die sich ganz und gar von Meinungsumfragen, Google-Suchergebnissen oder der Macht der Algorithmen leiten lässt. Das Ergebnis ist ein “Quadratmillimeter konsensualer Mitte”. Was übrigens auch dazu führt, dass kaum noch ein Politiker den Mut hat, von diesem ausgemittelten Konsens abzuweichen. Was dann einen glatten, zufriedenen Einheitsbrei ergibt. Aber auch innerhalb der Parteien einen zunehmenden Druck, nur noch medienaffine Politiker in wichtige Wahlpositionen zu hieven. Denn wenn einer störrisch vom Wohlfühl-Konsens abweicht – wie 2013 im Bundestagswahlkampf der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück – dann rollt sofort die mediale Empörungswelle los. Wobei unklar bleibt, ob ihm das Punkte gebracht oder gekostet hat. Denn der 2013er Bundestagswahlkampf war ja eine einzige Kette von medial geschürten Empörungen – man denke an die Veggie-Day-Kampagne gegen die Grünen.

Mehrere Beiträge im Begleitbuch gehen recht gründlich ein auf die Macht von Medienskandalen, setzen sich auch mit den Effekten auseinander, die sich ergeben, wenn ein Produkt wie die “Bild”-Zeitung auf einmal zu einem zumindest von der Politik akzeptierten Leitmedium wird. Woran die Politiker nicht ganz unschuldig sind: Sie haben die Chancen einer medial zur Unterhaltungsshow aufgemotzten Politik emsig genutzt, tummeln sich in Talkshows, entblättern ihr privates Leben für Gazetten und Magazine. Auch das hat Wirkungen beim Rezipienten. Denn wie ernst kann man Politiker noch nehmen, wenn die dritte Frau an ihrer Seite, die Halskette oder ihre Haarfarbe wichtiger sind als die inhaltliche Begründung ihrer Arbeit?Tragen Talkshows tatsächlich dazu bei, mehr Menschen für politische Diskussionen zu begeistern, weil Politik als Unterhaltung dargeboten wird? Oder ist eher das Gegenteil der Fall, tragen “Personalisierung und Boulevardisierung” dazu bei, Politik als eine Show von nicht ernst zu nehmenden Menschen zu zeigen, die – wie beim Wrestling – am Ende einen kraftstrotzenden Sieger hervorbringt, der mit Umtata um den Ring zieht?

Während das in der Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum eher als offene Frage am Ende des Rundgangs dargestellt ist, erscheint es im Buch auch in einer stillen Kontroverse zwischen den verschiedenen Autoren und Interviewten – zu denen auch bekannte Namen wie Kai Diekmann, Günter Wallraff, Rita Süssmuth und Frank Plasberg gehören. Ein bunter Strauß, der auch sichtbar macht, dass die Einschätzung der Problemlage auch immer davon abhängt, für welches Medium einer arbeitet und wie er damit seine Brötchen verdient. Aber auch, wie kritisch er seiner eigenen Zunft gegenüber steht und der Arbeit von Kollegen in anderen Häusern.Auch wenn Journalisten gern vorgeworfen wird, sie würden viel zu unkritisch mit der eigenen Zunft umgehen, zeigen selbst die Beiträge in diesem Buch, wie sehr die Haltungen von gestandenen Journalisten differieren können – etwa in der Einschätzung der medialen Aufbereitung der NSA-Affäre, die von Christoph von Marschall und Marcel Rosenbach völlig unterschiedlich eingeschätzt wird.

Was es dem Leser natürlich nicht einfacher macht: Wenn schon gestandene Medien dieselben Vorgänge durchaus unterschiedlich bewerten oder gar noch anfangen, auf den ersten Blick skandalöse Vorgänge auch noch zu differenzieren, was passiert dann, wenn das heutige Internet auch noch Millionen Leuten ein Podium verschafft, die zwar eine Meinung haben, aber mit den Fakten nicht ansatzweise so vorsichtig umgehen wie die klassischen Journalisten? Wer schafft dann überhaupt noch eine Orientierung? Oder läuft das jetzt alles über Kampagnen, die jeder entfachen kann, der nur genug Follower hat, oder über Hashtags, die zum sofortigen (Ab-)Reagieren und Kommentieren auffordern? Ist das schlecht? Ist das gut?

Wandelt sich die Öffentlichkeit, fragt Daniel Bouhs im letzten Kapitel des Buches. Oder wird hier nur eine Öffentlichkeit sichtbar, die im vor-digitalen Zeitalter einfach keine Plattform hatte, sich zu äußern? Während gleichzeitig in vielen Zeitungen die Redaktionen ausgedünnt oder outgesourct werden, wichtige Blätter wie die “Financial Times Deutschland” verschwinden und der halbe Bundestag twittert und chattet, während vorn einer redet, dem keiner mehr zuhört? Was passiert da?

Wie verändert das ständige Online-Sein die politische Diskussion? Oder verflacht sie einfach, weil kaum noch einer den ernsthaften Diskurs wagt aus Angst, Opfer des nächsten Shitstorms zu werden?

Lauter Fragen, die natürlich nicht beantwortet werden können, weil die ganze Gesellschaft noch mittendrin steckt in den Veränderungen. Die einen fühlen sich entmachtet in ihrer Deutungshoheit, die anderen sehen sich einem enorm erhöhten Zeitdruck ausgesetzt. Aber in einem sind sich die Autoren des reich bebilderten Buches einig: Ohne kompetente Analysen, Recherchen, Reportagen von Journalisten, die ihr Handwerk verstehen, wird es in einer demokratischen Gesellschaft auch künftig nicht gehen. Die Frage ist eher das Wie. Aber auch darüber zerfetzen sich ja bekanntlich die diversen Leitmedien und Chefredakteure.

Buch und Ausstellung sitzen also quasi genau an der Nahtstelle, an der die klassische Medienwelt der vergangenen 65 Jahre so nicht mehr weiterfunktioniert und die neue sich erst herauskristallisieren muss.

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) “Unter Druck! Macht und Politik”, Kerber Verlag, Bielefeld 2014, 19,90 Euro

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