Ist es tatsächlich schon wieder soweit? - Achja. Der Blick in die Supermärkte zeigt es ja: Seit August stapeln sich da die Weihnachtssüßigkeiten. Chöre üben wieder die bekannten Lieder, Kinder rangeln sich um die schönste Rolle im Krippenspiel und alleinstehende Mütter geraten zunehmend in Verzweiflung. Oder versuchen, das kommende Chaos mit Gelassenheit anzugehen. Naja, manchmal geht das schief.

Wie hier zu lesen in dieser Geschichte, die sich Ilona Einwohlt ausgedacht hat. Aber wahrscheinlich nur zur Hälfte. Die andere Hälfe klingt nach echter Erfahrung mit echten Kindern im echten Haushalt einer alleinerziehenden Mutter, die alles gleichzeitig zu deichseln versucht. Eben das, was man so seit “Das Superweib” von kreativen, alleinstehenden Müttern in der Regel erwartet. Ein paar kleine Katastrophen eingeschlossen. Am Ende bekommen sie ja doch noch einen reichen Schnösel zum Mann, es schneit am Heiligabend, der Weihnachtsmann legt heimlich einen Riesenberg eingewickelter Geschenke vor die Tür und eine 100-Quadratmeter-Wohnung haben die jungen Superweiber ja sowieso.

Wenn Medien dafür verantwortlich sind, dass die Deutschen von ihrer Wirklichkeit keinen blassen Schimmer haben, dann sind es solche Superweiber-Bücher und die zugehörigen Kitsch-Verfilmungen im TV.

Und was macht Ilona Einwohlt? Sie lässt erst mal die Bude abfackeln. Kann vorkommen. Mama hat nicht aufgepasst, die Kerzen haben den Adventskranz entzündet, während Mama die verbrannten Plätzchen im Herd zu retten versuchte. Und dann stehen Mama, Luca,  Katharina und der Papagei Jakob nur mit dem Nötigsten am Leib auf der Straße. Was nun? Es ist schon fast eine klassische Weihnachtsgeschichte, die Luca hier in der naseweisen Stimmlage des kleinen Schwerenöters erzählt, der eigentlich ganz, ganz viele Wünsche hat – da ist er wie alle Jungen, die vom Schenke-Rausch der Werbung geradezu närrisch gemacht wurden – aber genau weiß, dass Mama das alles gar nicht bezahlen kann. Papa vielleicht schon, aber der ist gerade bei den Rentieren am Nordpol und kann nicht wirklich helfen, als die kleine Familie nun auf einmal auf der Straße steht. Nicht ganz auf der Straße – die Stadt würde auch schon ein Hotelzimmer bezahlen, bis alle wieder ein Dach überm Kopf haben. Aber eigentlich halten das die drei gar nicht aus.

Denn sie sind eben nicht die übliche Weihnachts-Familienbesetzung, sondern erfahren mit dem Alltag, wie er wohl in hunderttausenden dieser Kleinfamilien ist, in denen das Geld, das Mama verdient, gerade so fürs Nötigste reicht und der Papa eher auf den Weihnachtswunschzettel gehört, denn der ist gerade ausgezogen, weil ihm diese Rasselbande zu chaotisch war. Was man verstehen kann, denn was bleibt vom Familienleben übrig, wenn Mama nun einmal einen dieser so wahnsinnig tollen Kreativberufe hat, die eher saumäßig honoriert werden, dafür aber die ganze Freizeit fressen? Selbst mit dickem Babybauch sitzt Mama abends da und schreibt die Texte, die sie liefern muss.

Und Luca ist eindeutig kein Junge aus einem der üblichen Hollywood-Kinderfilme, der seine Mitschüler mit teuren Markenklamotten, reichem Vater und tollem Technikkram beeindruckt. Hat er ja alles nicht. Und irgendwie prägt das auch seinen Schulalltag, ist er ein bisschen verträumt, lässt sich von der grimmigen Lehrerin aber selbst in dem Fach einschüchtern, in dem er eigentlich der Beste ist. Es sind solche kleinen Szenen, an denen man merkt, dass die Autorin das richtige Leben in den Schikanen einer von Äußerlichkeiten besessen Welt erfahren ist und weiß, wovon sie da schreibt. Logisch, dass Luca seine Freunde dann eher nicht beim arroganten Cousin Theo findet, sondern eher bei Ibi und seiner Schwester Mayla. Und siehe da: Da ist man mittendrin im Winter-Deutschland von 2015 und der Frage: Was bringen uns all diese Menschen aus dem Morgenland, die bei uns Zuflucht suchen?

Für Ibis und Maylas Familie im Buch stand eine echte deutsch-syrische Familie Pate, die Orient-Bäckerei der Eltern gibt es bestimmt irgendwo. Die Freunde werden am Ende der Geschichte wichtig, als Luca, Jakob, Katharina und Mama schon eine echte Odyssee hinter sich haben durch allerlei Herbergen und Wohnungen bei Freunden und Verwandten. Die Gastfreundschaft für die Abgebrannten ist schon da – nur im Konkreten wird es jedes Mal recht kompliziert. Den netten Feuerwehrmann vom Anfang des Abenteuers trifft man zwar nicht wieder, dafür den Taxifahrer, der Mama mit ihrem immer mehr wachsenden Babybauch jedes Mal gleich ins Krankenhaus fahren will. Aber das will sie ja nicht. Auf keinen Fall, schreibt sie doch in ihrem Magazin lauter Kolumnen über das Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Logisch, dass das am Ende auf eine kleine Beinah-Katastrophe zum Weihnachtsfest hinausläuft: kein Dach überm Kopf, kein Baum, keine Geschenke, kein Papa. Aber irgendwie ist auch bei selbstbewussten Autorinnen das Bedürfnis immens, das Weihnachtsfest auf jeden Fall zu retten. Was Ilona Einwohlt dann auch mit einem erstaunlichen Finalaufwand tut.

Und weil’s kein Buch ist für ältere verzweifelte Damen, die die Zeit ohne ihre widerborstigen Kinder irgendwie rumkriegen müssen, indem sie Weihnachts-Wundergeschichten lesen, sind auch liebevolle Illustrationen von Tine Schulz drin, die die Helden und Heldinnen der Geschichte in Aktion zeigen. Am Ende gibt’s alles, was zu Weihnachten gehört. Wirklich alles. Außer Rentiere.

Ilona Einwohlt Advent, Advent, die Bude brennt, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015, 12,95 Euro.

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