Unsere Sprache ist voller Tücken. Kinder wissen das. Oder lernen es erst so richtig, wenn sie in die Schule kommen, wo ihnen strenge Lehrer manchmal beibringen: Mit Wörtern spielt man nicht. Und dann spielen sie selbst und ändern immer mal Rechtschreib- und Schönschreibregeln. Wer soll sie da noch ernst nehmen? Jawohl: Mit Wörtern muss man spielen. Dazu sind sie da.

Wenn nämlich unsere Vorfahren, damals, als unsere Sprache gerade geboren wurde, nicht ein bisschen rumgespielt hätten, hätten sie nie und nimmer das geschafft, was Herr Adam sogar laut Bibel getan hat: Er hat nämlich allen Tieren auf dem Felde und allen Vögeln unter dem Himmel einen Namen gegeben. Welche, dass wusste auch Gott nicht, da ließ er sich von Adam überraschen, „dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.“

Und bei den Vögeln und Tieren blieb es ja nicht. Auch alles andere benannte der Mensch. Manchmal so komisch, dass man vermuten darf, da hatte er wohl schon bei der Erstbenennung seinen Spaß. Das weiß eigentlich jedes Kind, denn einen Vogel, der Kuckuck ruft, einfach Kuckuck zu nennen, zeugt ja von einem gewissen Humor, genauso wie die Sache mit dem Uhu, der Krähe und dem Zilpzalp. Was eigentlich noch ganz eingängige Namen sind. Und etliche Tiere gehören ja – auch wenn man sie in der Stadt nicht mehr hört und sieht – zum Alltag der Kinder, weil sie in Büchern, als Plüschtiere oder im Trickfilm in ihre Welt kommen. Recht geheimnisvoll und märchenhaft.

Jörg Mühle hat diese Stimmung – halb Märchenwald, halb „Struwwelpeter“ – eingefangen in seinen Bildern zu den neuesten Rätselwitzen aus dem Frankfurter Künstlerlabor, wo er seine Illustrationen macht und nebenan Moni Port sich ihre neuen Geschichten ausdenkt. Oder eben diese Kinder-Quatsch-Rätsel aufschreibt, die nun schon das zweite Buch füllen. Das erste war das mit diesem komischen Lebewesen am Strand, das so undeutlich redet. Das scheint in Frankfurt so gut angekommen zu sein, dass die Kinder in der näheren und weiteren Verwandtschaft und Bekanntschaft einfach weitergemacht haben. Vielleicht zum Entsetzen ihrer Eltern, denen wieder die eigentlich als heimelig geplante Abendessen völlig entglitten sind. Vielleicht hat Papa sogar mitgemacht und Mama hat nur streng und verzweifelt geguckt, weil die Bande nicht mehr aufhören konnte, sich über lauter harmlose Lebewesen lustig zu machen.

Wo bleibt da der Respekt? Ist das nicht diskriminierend, wenn man dem Uhu etwas anderes unterstellt als seinen gelehrigen Uhu-Ruf? Und wie ist das mit dem gesunden Vollkornbrot auf dem Teller? Man darf sich nicht wundern. Das war auch im ersten Band schon so: Den Knirpsen ist auch das gesunde Essen auf dem Tisch in keiner Weise heilig. Wo sich Mama doch so eine Mühe gibt, den Kleinen nur gesunde Sachen hinzustellen. Die aber dummerweise meistens so schrecklich ernst aussehen: Auberginen, Salat, Apfelsinen – na gut, mit denen kann man ja noch lustig sein. Aber Sellerie und Leberwurst?

Und mittendrin klingelt natürlich das Telefon – Mamas oder Papas, egal. Gerade an der Stelle, an der die Kinder sich mit lauter ernsthaften Tieren beschäftigen wie dem Krokodil, dem Schmetterling und dem Elefanten … Da macht es kurz zisch. Und man sieht die Kinder vor sich, wie sie alle sechse gleichzeitig auf dieselbe Idee kommen. Die wird natürlich nicht verraten. Die Seitenzahl hätten wir an der Stelle verraten. Aber es gibt keine im Buch. Der Elefant sitzt ganz traurig zwischen Salat und Leberwurst.

Man findet ihn, wenn man ihn sucht. Aber auch, wenn man sich mit Papa nach dem Abendessen emsig durch das Buch arbeitet. Was ja besonders viel Spaß macht, wenn die Knirpse selbst noch nicht lesen können. Dann können sie grübeln. Und grübeln. Denn: Was schwimmt denn nun im Meer und addiert die ganze Zeit? – Eigentlich eine hübsche Frage für die Pause nach der Mathestunde. Das ist ja der Platz, an dem die Kleinen selbst auf solche Sachen kommen und die kleinen Pfiffikusse sich gegenseitig anspitzen beim Wörterverdrehen. Man braucht ja nur ein bisschen Phantasie, ein bisschen Freude am Montieren der seltsamsten Dinge. Und schon bekommt man seltsame neue Wesen, die so ulkig ja gar nicht sind. Denn in dem Alter ist ja die ganze Welt noch animiert, haben die Dinge alle noch einen Charakter und haben sich noch nicht in das lächerliche singende Gemüse im Werbefernsehen verwandelt, das erwachsene Spaßverderber draus machen.

Denn tatsächlich ist diese Kinder-Wörter-Welt ja noch nah an der Märchenwelt, wo Brote um Hilfe rufen und Bäumchen singen und Frösche geküsst werden wollen. Das ist alles skurril, das wissen ja auch die kleinen Menschlein. Aber es ist lebendiger als das, was einem die Erwachsenen mit ihrer ganzen „Ottografie“ und „Plutimikation“ beizubringen versuchen. Es ist ein Raum der Freiheit, den sich manche Menschen bewahren. Weil es auch ein Ort der Rebellion ist, einer fröhlichen Rebellion mit Worten. Und in Bildern, wie man hier sieht. Und wer noch genauer hinhört, der merkt, dass hier ein Stück von dem zu sehen ist, was unserer auf Besitz, Bewahren und „Betreten verboten!“ fixierten Gesellschaft noch eine kleine Chance lässt, sich zu verändern und nicht in den humorlosen Vorgärten der besorgten Kleinbürger zu ersticken. Geht das wirklich so weit? Ja, geht es. Denn nur Menschen, die sich die Freiheit zum Spiel bewahrt haben im Kopf, haben auch noch die lebendige Lust an der Veränderung. Und nur Veränderung ist Leben. Alles andere ist nicht nur phantasielos, sondern dumm.

Kluge Eltern, die sich für ihren ungebändigten Naschwuchs (sorry: Nachwuchs), wirklich ein aufregendes Leben wünschen, die mogeln solche Bücher ins Kinderzimmer. Oder lassen sie gleich im Wohnzimmer liegen, wo der Fernsehapparat verstaubt, weil die Knirpse nur eins wollen: dass Papa das Buch mit der Eule rausholt. Und Mama schaut ganz ernst, sagt, dass sie in die Küche muss, lässt aber die Türen offen. Und deswegen hört man sie nicht, wenn sie sich krumm und schief lacht über ihre verrückte Familie. Wo sie sich doch so eine Mühe mit der ganzen Bande gegeben hat, aus ihnen anständige Menschen zu machen. Und dann das! Wer hat das Buch eigentlich gekauft?

Ich? Niemals, schwört Papa.

Jörg Mühle, Moni Port Was sitzt im Wald und winkt?, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2016, 9,95 Euro.

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Ob die Besorgten heut wohl weniger besorgt wären, wenn sie solche Eltern wie oben beschrieben gehabt hätten? Dann wären sie vielleicht jetzt neugierig statt ängstlich.

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