Für FreikäuferEin Enkelkinderbuch nennt es der Klett Kinderbuch Verlag. Und man guckt und wundert sich und fragt sich: Ja, warum kam noch kein anderer auf die Idee? Ist natürlich nicht so. Auch andere Kinderbücher haben sich schon liebevoll mit dem so wichtigen Thema Oma beschäftigt. Denn ohne Oma würde heute in der Logistik junger Familien manches nicht funktionieren. Da ist es gut, wenn man Oma anrufen und bitten kann, mal einzuspringen.

Auf die Serienidee ist die schwedische Grafikerin Cecilia Torudd gekommen. Die selbst schon im Oma-Alter ist und deshalb selber Erfahrungen sammeln durfte mit der Enkelbetreuung. Die sehr schön sein kann, schön aufregend. Denn wenn Oma zu Hilfe gerufen wird, dann geht es um einen Alltag, den der Enkel besser kennt als Oma. Und wo Regeln gelten, von denen Oma nicht mal was ahnt. Regeln und Rituale.

In diesem Fall soll Oma eigentlich nur den kleinen Oskar aus dem Kindergarten abholen. Oskar ist ein selbstbewusster Bursche. Er hat schon mitbekommen, dass auch für die Erwachsenen Regeln gelten. Was schon zum ersten kleinen Konflikt in der Stadtbahn führt, den Leipziger genauso gut kennen: Wenn andere Leute, die unbedingt aller Welt zeigen wollen, dass ihnen Respekt und Regeln egal sind, ihre Füße auf die Sitze legen und herausfordernd gucken. Na, wer traut sich, sich mit uns anzulegen? Was wohl zur Infantilität der Gegenwart gehört: Ausgewachsene Menschen benehmen sich wie Kinder. Man ahnt nur, wie viel Anerkennung ihnen da von Mama, Papa und Oma in Kindestagen gefehlt haben muss, dass sie jetzt ihren ganzen Trotz darein setzen, die Mitfahrenden in der Bahn zu brüskieren.

Darauf lässt sich Oma lieber nicht ein. Sie muss ja Oskar heil nach Hause bringen. Was auch beinah gelingt – bis zu jenem unersetzlichen Moment, in dem es ums Aussteigen geht und um die Frage: Wer drückt den Knopf zum Türenöffnen?

Wer mit Kindern unterwegs ist, weiß, wie wichtig diese Frage ist. Immerhin ist es ein magischer Moment, wenn ein kleiner Mensch mit einem Knopfdruck eine große Tür aufzischen lassen kann.

Aber es ist in Schweden wohl genauso wie in Sachsen. Es gibt auch dort sture, phlegmatische Erwachsene, die nicht warten können, bis Kindern ihr Wunsch erfüllt ist. Man ist ja größer und älter und schiebt sich Kraft seines regulierten Bürodienstschlusses an den Beiden vorbei und stiefelt davon. Vielleicht noch ein bisschen beleidigt guckend. Denn aus Sicht eines modernen Leistungserbringers halten Omis und Enkel einen ja nur vom effektiven Davonschreiten ab, oder?

Nur dass der Moment für Oskar und Oma zum Drama wird und beinah damit endet, dass Oma den Oskar verliert. Viele Worte macht Cecilia Torudd nicht, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie packt Omas und Oskars ganze Verzweiflung in die Zeichnungen. Und hinterher ihr Erschrockensein: „Mama wird verrückt, wenn Oma ohne Oskar heimkommt!“

Eigentlich versteht man beide nur zu gut, auch wenn Oma sich einfach nicht einkriegen kann. Ihr sitzt der Schreck in den Gliedern. Da hat sie gar keine Antennen für Oskars kleinen Kummer, der ja ein großer ist. Man lebt ja als Kind ganz und gar im Jetzt. Während Oma ja lauter Bilder vom „Was alles passieren könnte“ im Kopf hat. Und sie auch nachher nicht loswird. Es ist also so ein Beide-lernen-was-draus-Enkelbuch: die Oma über die Aufregungen des kleinen Oskar und Oskar was über die Ängstlichkeiten von Oma.

Na ja, vielleicht sollte man auch dem stocksteifen Mann mit Hut so ein Buch schenken, denn eigentlich war er der Spielverderber. Aber diese Typen bemerken es augenscheinlich nicht mal, wenn man es ihnen auf den Kopf zu sagt. Solche Icke-Typen, die eigentlich nur das graue Gegenbild zu den anderen Icke-Typen sind, die ihre Lebensbestätigung durch Schuhe auf Straßenbahnsitzen beweisen müssen. Solche „Is was?“-Typen, zu denen Oskar hoffentlich niemals wird.

Ob er’s schafft? Das weiß man natürlich nach der Geschichte noch nicht. Erst einmal ist ja vor allem Oma aus dem Häuschen. Aber das nächste Enkelkinderbuch kommt bestimmt.

Cecilia Torudd Heute holt mich Oma ab, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 10 Euro.

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