Für FreikäuferDeutsche Dichter lieben Pflanzen: Wälder, die da schweigend stehen, Blümchen, die da grüßen, Lindenbäume vor dem Tore. Daran hat sich nichts geändert. Trotz industrialisierter Landwirtschaft, Klimawandel und immer längeren Roten Listen. Vielleicht sogar gerade deshalb. Denn Dichter haben zumindest ein Gespür dafür, was da alles verloren geht.

Denn unübersehbar nehmen sie ihre Umwelt anders war als die üblicherweise tonangebenden Menschen – nicht durch Windschutzscheiben, nicht durch die Rasentrimmer-Brille, nicht über Geld und Nutzwert. Sie gehen noch spazieren, pflegen also eine Fortbewegungsweise, die dem hastenden, zeitgeplagten Gegenwartsmenschen fast völlig verloren geht. Der ja nicht mal mehr wandern kann, wenn es nicht mit Herausforderungen und Grenzerfahrungen zu tun hat. Geschweige denn, dass er sich noch ohne schlechtes Gewissen auf eine Wiese legen oder in einem Wald ausharren und die Stille auf sich wirken lassen kann.

Sofern man noch einen stillen Wald findet, in dem nicht Motorräder oder Sägen heulen oder nahebei das Dröhnen einer Autobahn nicht zu überhören ist.

Aber wer hält das schon aus? Wenn Zeitgenossen heute mal in Wäldern landen, ist ihre Panik nicht zu überhören, dann werden die Stimmen lauter und schriller. Man staunt schon: Wo haben die in diesem Band versammelten Dichterinnen und Dichter so viel Stille und Beschaulichkeit noch gefunden? Orte, an denen sie ungestört schauen und sinnen konnten. Noch so ein Ding, das sich der allseits unterhaltene Gegenwartsmensch tunlichst verkneift: über das Vergängliche nachzudenken.

Denn darum geht es fast immer, wenn Dichter sich einlassen auf Vegetation. Denn nichts führt uns bildhafter vor Augen, dass alles in der Natur vom Wandel geprägt ist, vom großen Aufkeimen und Blühen im Frühjahr, von Pracht und Frucht im Sommer und von jenem melancholischen Moment im Herbst, wenn alles zur Neige geht und die Bäume anfangen, sich ihrer Blätterlast zu entledigen.

Sind Dichter Melancholiker?

Nicht unbedingt. Eher Stoiker, die sich draußen gern vergewissern, dass das Älterwerden nichts Besonderes ist. Und auch nichts Bedrohliches, denn alles kehrt zurück in den Kreislauf des Lebens. Auch wenn es sommers frech tut im Garten oder am Feldrain, wo noch da und dort manches tapfer gegenhält, was der Bauer mit Glyphosat versucht, restlos auszutilgen.

Dichter veranstalten keine Protestcamps. Sie protestieren auf ihre – stille – Weise. Mit einem: Schaut hin! Seht es euch an! – Jeder Garten ist, wenn man ihn nur gedeihen lässt, ein Paradies, das man mit den Augen der Kinder bestaunen kann. Denn es blüht nicht nur und rankt, es wimmelt auch. Zumindest, wo es wimmeln darf. Die leisen kritischen Töne über leere, entleerte Landschaften fehlen nicht. Auch wenn sie zurückstehen müssen hinter der Freude am Schauen. Denn noch sorgen Holunder, Jasmin, Apfel und Kirsche für Freude beim Schauen. Da neigt der Dichter zum Du, als träfe er einen Weggefährten, der ihn begleitet durchs Leben.

Manchmal werden sie gar erotisch, die Dichterinnen. Was passieren kann. Denn was da grünt und blüht, hat ja auch Namen, mit denen man spielen kann und die daran erinnern, wie lebendig das Verhältnis unserer Vorfahren mal war zur belebten Natur, wie sich für sie das Schöne mit dem Nützlichen verband. So spricht Natur mit uns, wenn wir ihre Namen noch kennen. Und augenscheinlich hat jede Dichterin, die etwas auf sich hält, ein ordentliches Pflanzenbestimmungsbuch daheim. Oder ein Herbarium, in dem die gepressten Fundstücke vergilben und doch Erinnerungen wachrufen, Bilder und Düfte. Wer ins Grüne geht, sollte alle Sinne öffnen. „Der Wald ist ein Freund, den man nicht um Almosen bittet“, schreibt der Leipziger Thomas Böhme. Und geht trotzdem immer wieder unters Blätterdach, so wie andere bei jedem Wetter ihre Feldwege gehen und Bäumen und Feldern und Wiesen zuschauen beim Gedeihen und Vergehen.

Selten mischt sich Menschentun hinein. Was erholsam ist in einer Zeit, da der Mensch sich aufspielt als großer Verformer, Verwerter und Zerstörer.

Als hätten sich die 150 Autorinnen und Autoren verschworen, diesen Ignoranten einfach zu ignorieren. Ihn auszuradieren mit seinem lärmenden Tun.

Stattdessen der freundliche Blick aufs Lebendige am Wegrand – so wie bei Bobrowski, für den die Wegwarte ein Wegzeichen wird: „Dort warte an der Halde, bis daß ich wiederkehr.“

Die Welt der namhaften Pflanzen wird zum Identifikationsraum, in dem sich die Spazierenden, Schauenden und froh Gestimmten wiederfinden, aufgehoben und gemeint fühlen. Womit auf einmal das stillste aller Poesiealben entstanden ist, das in dieser Reihe je publiziert wurde. Eines, in dem selbst der Schabernack noch melancholisch klingt – wie bei Ringelnatz und seinem kleinen Gedicht auf den Sauerampfer zwischen den Gleisen. Stichwort: Sehnsucht. Im tapfer Wachsenden und Verwurzelten erkennen die Umgänglichen ihr eigenes Da-Sein wieder. Und ihren Doppel-Wunsch nach Behüten und Behütetsein.

Was dann auch den Zimmerpflanzen zu erstaunlicher Präsenz verhilft. Jede Fensterbank scheint mit ihnen bestellt zu sein, mit denen man sich so gut unterhalten kann, weil sie nie laut werden und zanken. Was man als DichterIn manchmal braucht. Deswegen heißt das Ding meistens ja Zwiegespräch, bei dem man sich selbst zuzuhören vermag und dabei auf wichtige Gedanken kommt, egal, ob es ein Kaktus ist, eine Orchidee oder eine Amaryllis. Hauptsache es guckt so, als ob es zuhört. Was man von den meisten Menschen ja nicht mehr erwarten kann.

Wer’s also leise mag und nachdenklich, der bekommt hier ein extra dickes Poesiealbum mit einer extra großen Mischung aus der Werkstatt ganz junger und viel älterer Dichter, denn selbst Walter von der Vogelweide hat ein Gedicht beigetragen. Wenn man ehrlich ist: ein höchst frivoles. Kaum zu glauben. Aber es muss Frühling gewesen sein und die Wiese mit ihren Blumen gar zu verlockend. Womit wir wieder am Anfang wären: bei der inniglichen Beziehung der DichterInnen zum verlockenden Grün.

Poesiealbum neu „Steinbrech. Gedichte zu Pflanzen“, Edition Kunst & Dichtung, Leipzig 2017, 7,80 Euro

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar