Für FreikäuferIm Aphaia Verlag in München gibt es eine sehr ansprechende, sehr liebevoll gesetzte Heftreihe. „Mitlesebuch“ nennt sie sich und bringt die Texte spannender Gegenwartsautoren in kleiner Auflage, erfrischend illustriert und – wie in diesem Fall – auch kenntnisreich kommentiert. Das macht der Leipziger Dichter Bertram Reinecke gleich selbst. Denn kein anderer Leipziger Lyriker betrachtet derart konsequent Lyrik als Kunst-Werk.

Davon zeugt auch schon längst das Programm seines kleinen Verlages Reinecke & Voß, in dem er Leser geradezu einlädt, sich mit den strengen dichterischen Formen der Vergangenheit und der Gegenwart zu beschäftigen. Was eigentlich ein geistiges Vergnügen ist. Lyrik war immer ein geistiges Vergnügen, in manchen Jahrhunderten bis zur zirzensischen Höchstleistung getrieben. So weit, dass mancher Leser wohl glaubte, hier ginge es nur noch um Form.

Aber Sprache ist ein erstaunliches Ding. Sie steckt voller Nachhall, Beiklang, Beifang und Farben. Und je eifriger man sie versucht, in Formen zu pressen, umso mehr zeigt sie ihre Widerborstigkeit, ihre Schattenseiten und ironischen Hintergründe.

Sie ist ein kaum zu bändigendes Ding. Deswegen glauben trotzdem tausende Deutsche, sie könnten mit ihr umgehen. Und sie irren. Und merken gar nicht, was dazugehört, wenn die wirklichen Könner sich des Stoffes bemächtigen. Selbst in Literaturwelten sorgt das selten für große Nachrichten. Wer erinnert sich schon an all die Shakespeare-Wellen, die immer neue Dichter-Generationen in ihren Bann gezogen haben. Klar, Bertram Reinecke erinnert sich. Denn Shakespeare ist – was das Sonett betrifft – die absolute Herausforderung. Eben gerade weil er genau das, was der Theaterbesucher manchmal in guten Hamlet-Inszenierungen zu hören bekommt, in seinen Sonetten auf die Spitze getrieben hat. Fast jedes ist ein existenzielles Gebilde, in dem der Autor sich mit dem Leben, der Liebe und allerhand kryptischen Zeitgenossen beschäftigt. Bis heute rätseln selbst die Kriminologen: Wen meinte er? Wer war’s?

Und gleichzeitig setzen sich immer wieder Dichter hin und versuchen die bekanntesten dieser Sonette neu zu übersetzen – und auch immer Neues darin zu entdecken. Das berühmteste dieser Sonette ist die Nummer 66, an der sich auch Bertram Reinecke versucht. Inniger können sich zwei Dichter gar nicht begegnen. Und Shakespeare kann nicht mal sagen, ob es den Kern getroffen hat. Hat das Sonett überhaupt einen? Oder liegt seine Stärke darin, dass es eigentlich eine in 14 Zeilen komponierte Symphonie der Gedanken ist?

Natürlich spielt Bertram mit den Erwartungen der Leser. Nichts eignet sich dazu so gut wie die gebundene Form des Sonetts, das gerade wegen seiner Form- und Rhythmus-Strenge einlädt zum Spielen. Je strenger man arbeitet, umso mehr passt hinein. Und umso mehr findet der Übersetzer darin, erst Recht, wenn er sich mit der ganzen langen Traditionslinie des Sonetts beschäftigt. Denn wenn Dichter erst einmal eine solche exzellente Bauform gefunden haben, dann testen sie alles aus. Vom gehobenen lyrischen Stil eines Dante bis hin zum spätromantisch-schwebenden eines Rilke, den man logischerweise in mehreren Sonetten, die Reinecke für den Band zusammengestellt hat, ebenfalls hört. Und zwar nicht nur in der übers Englische rückübersetzten „Blauen Hortensie“.

Und bevor wir die Freude am Entdecken feiern, merken wir zumindest an, dass Reineckes Sonette zwar manchmal wie echte Handarbeiten aus der Werkstatt klingen, aber genauso fähig sind, die nicht immer sonnige sächsische Gegenwart einzufangen. Denn dazu bieten sie sich ja geradezu an: Im Moment des Erfassens das Nachdenkliche mitzubringen, im nebligen Loschwitz auch gleich den Abschied mitzudenken oder im Kindheits-Erinnerungsgedicht das Für-immer-Verlorene. Denn – die verklärten Orte der Kindheit sind längst saniert. Man kann gar nicht mehr zurückkehren in die Bilder der Kindheit. Genauso wenig wie in die Idyllen der Dichter – in deren Gärten trinkt man höchstens noch ein Bier.

Und Liebe und Liebesverdruss passen auch hinein. Es ist also in gewisser Weise auch eine Sonett-Reise durchs Werk von Bertram Reinecke, zu dem er am Ende augenzwinkernd den Kommentar als Lehrender gibt: Man beachte doch bitte immer die ironische Handhabung des Werkzeugs.

Haben wir. Aber wir sind ja keine Literaturstudenten und Professoren. Wir dürfen uns mit dem Bändchen hinsetzen – am Fluss oder im Sessel oder in den Körnergarten – und uns ausmalen, was wir lesen. Denn Reinecke schreibt bildhaft. Er ist kein abstrakter Dichter, sondern liebt die herzhaften Zutaten der Wirklichkeit, mit denen er gern und lustvoll spielt. Die Strenge des Gedichts quasi als Schutzschild gegen die romantischen Fallgruben des Lebens. Denn da draußen wird ja gewaltig sentimentalisiert und lustgeäugelt. Das Volk mit Gänsefüßchen vorn und hinten liebt die Verklärung, zitiert Heine falsch (den Reinecke gar nicht zitiert) und hält sich für auserwählt, bloß weil man gemeinsam „mit alten Weltbildbrillen“ auf dem abendlichen Nikolaikirchhof herumgeistert.

Das mag Reinecke nicht. Und man versteht es. „Schon damals konnten andre lauter brüllen …“

Das ist nämlich das Problem der Dichter: Wer sie verstehen will, rennt nicht auf die Märkte. Der sucht sich einen ruhigen Ort. Denn Gedichte – wenn sie schon so voller Klang sind (und das sind sie) müssen wiederklingen, nachhallen und anstoßen. Also gelesen sein, und zwar so, dass man sich selbst beim Lesen zuhören kann. Dann erschließen sich die Bilder, entfalten sich die Worte, merkt man, wie kunstfertig hier einer gearbeitet hat, weil er am Ende ein gutes Stück Sonett abgeben wollte. Oder im Schrank verwahren, bis sich mal die Gelegenheit ergibt für ein Sonett-Bändchen wie dieses. Und es stimmt: Sie funktionieren noch. Kein Gebrodel über Moderne und Post-Moderne und anderlei entformende Mode kann ihnen etwas anhaben. Die Arbeit in der strengen Form erfordert den ganzen Sprach-Arbeiter. Da kann nicht geschludert werden, denn das fällt auf.

Was sogar jene wissen, die sich schon einmal im Rilke-Ton versucht haben. Dazu braucht man – Ruhe. Konzentration. Und ein gutes Ohr, sonst klingt es nicht, sondern scheppert.

Bei Reinecke klingt’s. Und nun hat er ein Sonett-Bändchen zum Vorzeigen und zum Vorlesen in abendlicheren Kneipen, mit lauschendem Publikum und gemeinsamer Freude am Reichtum unserer Sprache. Denn wir haben eine schöne Sprache. Die auch noch voller Neckereien und Listigkeiten steckt. Ein paar von denen hat Monika Rinck in kleine Grafiken gebannt. Das alles sieht so leicht hingetuscht aus, dass man denkt: Das ist doch kinder…

Ist es auch. Wenn man sein Kunst-Werk beherrscht.

Bertram Reinecke „Nur gries getupfte Reste von Gesängen“, Mitlesebuch 141, Aphaia Verlag, München 2017, 8 Euro.

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