Spätestens auf Seite 14 wünscht man sich, wieder Kind zu sein. „Kinder spielen lassen“, heißt das Kapitel, in dem die beiden Autorinnen erklären, warum Kinder so gern ins Essen fassen und damit Dinge anstellen, die ein brav erzogener Erwachsener niemals mehr machen würde. „Mit Essen spielt man nicht“, so lautet ja der anerzogene Spruch. Was wir aber vergessen haben: Kinder haben noch ein sehr direktes und neugieriges Verhältnis zum Essen.

Und das ist gut so, auch wenn es einigen Eltern manchmal Schwierigkeiten macht, weil die Kinder manches nicht essen wollen, was sie auf dem Teller vorfinden, oder nicht so, wie es daliegt. Manches beäugen sie misstrauisch und verfallen dann regelrecht in Entsetzen, dass sie das jetzt essen sollen. Das gibt dann manchmal Szenen!

Aber die beiden Autorinnen wissen, woher das kommt. Einiges davon ist ein ganz natürlicher Schutzinstinkt, der Kinder in der Natur davor bewahrt, wirklich gefährliche Dinge in den Mund zu stecken. Anderes hat mit frühen Prägungen zu tun. Viele Eltern bereuen es später zutiefst, dass sie die Kleinen viel zu früh mit den Verführungen der industriellen Süßwarenindustrie bekannt gemacht haben.

Was nicht so gefährlich wäre, wenn nicht auch das in unsere Gene einprogrammiert wäre. Der Körper ist darauf angelegt, sich alle nötigen Stoffe zu besorgen, die er braucht, um schnell Energie zu tanken (alles was süß ist) oder langfristig Energiedepots aufzubauen (alles was fettig ist), aber auch die nötigen Vitamine und Ballaststoffe zu finden. Alles, was süß, fettig, salzig ist, spricht unsere Sinne an, die fortwährend nach „Energie“ Ausschau halten.

Wer Kinder freilich daran gewöhnt hat, dass es die Energie aus der Tüte und der Einwickelfolie gibt, der hat ein Problem. Eines, das Nicola Alferi aus der Arbeit mit Kindern kennt und Juliana Morelli Bell aus der Arbeit mit verzweifelten Eltern. Denn wenn das erst mal so passiert ist, braucht man kluge Wege, um die Kinder wieder zu einem gesunden und ausgewogenen Essen zu bewegen.

Was man schafft, wenn man sie mit einbezieht in das Essenzubereiten, sie auch mal „spielen“ lässt und ihr Essen so anrichtet, dass sie es auch mal mit den Fingern essen können (Sticks und Bällchen ….), dass man das Essen farbenfroh gestaltet usw. Nichts ist schlimmer als ein Teller, der schon beim Anblick wie farbloser Matsch aussieht.

Natürlich wird da das Kind im erwachsenen Leser wach: So hat man sich Essen eigentlich immer gewünscht. Und man bekommt es auch als Erwachsener oft nicht so: „Das Auge isst mit“. Das gilt für alle Altersstufen. Denn ein gut gestalteter Teller übermittelt auch Informationen. Der kleine (und große) Esser kann einordnen, was er vor sich sieht. Und dann kommen Geruch und Geschmack dazu. Echte Abenteuer, von denen viele Menschen aber nichts wissen, weil sie fast nur noch mit industriell gefertigter – und übersalzener und geschmacksverstärkter – Nahrung zu tun haben.

Und da selbst die Das-ganze-Jahr-Früchte im Supermarkt alle nur noch gleich (oder gar nicht) schmecken, fehlt auch das Sensorium für die Geschmacksvielfalt der Natur.

Logisch, dass die beiden Autorinnen empfehlen, mit den Kindern nicht nur selbst zu backen und zu kochen, damit sie selbst erleben, wie Essen zubereitet wird, sondern auch empfehlen: Raus mit den Kindern. Vielleicht nicht in die Natur – davon gibt es ja kaum noch ein nicht belastetes Stück. Aber raus auf einen noch ökologisch bewirtschafteten Bauernhof, auf den Frischemarkt oder – wo es geht – in den eigenen Garten. Damit sie sehen und mitkriegen, wo unsere Nahrung herkommt und dass Früchte nur im Supermarkt alle gleich aussehen und gleich schmecken.

Die ersten Kapitel im Buch beschäftigen sich alle mit diesem Heranführen der Kinder an die Grundlagen unserer Nahrungswelt (und unser Begreifen, warum Kinder oft so reagieren, wie sie es tun). Der zweite Teil widmet sich dann den Rezepten, mit denen man sicherstellen kann, dass die Kinder immer eine Auswahl haben unter Gerichten, die einerseits kindgerecht sind, andererseits auch in der Summe die nötigen Nahrungsbestandteile enthalten. Und man staunt, was da alles möglich ist und Abwechslung zu „Nudeln mit Tomatensoße“ und „Pommes mit Ketchup“ verschafft. Darunter farbenfrohe Suppen, knusprige Pfannkuchen, Kürbis Bolognese … Man sieht es hier schon: Manches Rezept ist einfach phantasievoll abgewandelt, enthält den Kindern Vertrautes und kombiniert es mit neuen Geschmacksentdeckungen.

Die Kinder werden also nicht völlig überrascht, sondern zur Entdeckung eingeladen. Und wenn man sie frühzeitig einbezieht, dann merkt man auch, in welcher Form und Konsistenz sie selbst die verschmähtesten Gemüse trotzdem essen. Und das toll finden. Kinder sind ja klug. Dumm werden sie ja erst später in der Schule gemacht. Sie mögen vielleicht matschigen Spinat nicht, aber grünes Kartoffelpüree wird die meisten Kinder begeistern.

Vielleicht ist es das, was es für die Eltern zu lernen gibt: die eigene Freude am Essenzubereiten wiederzuentdecken. Lieber wieder mit einigen Basics anzufangen und die Freude am Kombinieren lernen. Denn – das merken die beiden Autorinnen ja nur am Rande an – eigentlich sollten Eltern und Kinder ja das Gleiche essen. Also sollten die Gerichte auch so robust und ansprechend sein, dass auch Erwachsne daran Freude haben und sich jeder von dem, was er mag, noch einen Nachschlag holen kann.

Die wichtigste Folge sollte wohl sein, dass all die teuren Fertiggerichte aus Kühlschrank und Kühltruhe verschwinden und wieder ganz simple Dinge ihren berechtigten Platz in der Küche einnehmen. Frische Kartoffeln, Möhren, Äpfel, Erbsen, Reis, Tomaten, Nudeln usw. Wenn man einmal durch ist durch die Rezeptauswahl, weiß man, wie man kombinieren und ausprobieren kann. Kinder sind ja dankbar, wenn das, was auf den Tisch kommt, schmeckt und gut riecht und sogar wieder gewünscht werden darf. Denn Essen macht noch viel mehr Spaß, wenn Kinder es mitbestimmen und mitgestalten können.

Das Schwerste ist dann vielleicht wirklich der Kampf gegen industrielle Süßigkeiten, die man gut durch naturnahe Produkte ersetzen kann. Aber das Beste ist wohl, Kinder gar nicht erst zu bestechen, indem man ihnen so eine Zuckerbombe aus dem Regal verspricht. Das Buch gibt einige schöne Anregungen, wie man diese künstliche Zuckersucht vermeiden oder umlenken kann. Was sich auch für Erwachsene empfiehlt. Denn wenn man sich hier erst einmal eingeübt hat, essen am Ende alle gesünder. Dann ist es vielleicht sogar Papa, der sich Ampelpü wünscht.

Was das ist, findet man auf Seite 61.

Wer sagte das doch noch so schön? – „Werdet wie die Kinder!“

Dann gehen zwar einige Zuckerkonzerne zu Recht in die Insolvenz. Aber die Welt wird wieder freundlicher und lebendiger, so wie Kinder, die wissen, dass Essen richtig Spaß machen kann.

Nicola Alferi, Juliana Morelli Bell Die besten Rezepte für Mäkelkinder, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2018, 9,95 Euro.

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