In jeder Frau stecken mehrere Frauen. Schon des Überlebens halber. Denn sie leben ja in keiner anderen Welt als die Männer, die mit ihren Rollen erst recht nicht zurechtkommen. Nur dass die meisten Männer nicht mal begreifen, warum sie sich in den promoteten Bildern vom Mann-Sein nicht wohl fühlen. Frauen wissen das von ihren Rollenbildern schon etwas besser. Auch wenn das leider noch nicht heißt, dass es ihnen damit besser geht – oder ging. Die DDR war ja auch so ein Wünsch-Dir-Was-Experiment.

Und Jutta Pillat, in Leipzig geboren, kennt auch noch diese oft glorifizierte Gleichberechtigung in der DDR, die – wie so vieles – nur propagiert war, aber nicht diskutiert. Außer natürlich von schreibenden Frauen. Man denke nur an Maxie Wanders „Guten Morgen, du Schöne“ oder Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“. Das Bild von der emanzipierten, selbstbewussten Frau war durchaus landläufig und wurde von den Frauen auch so gelebt. Auch wenn es in der Realität vor allem bedeutete, die Doppelbelastung von Familie und Beruf schultern zu müssen, die für viele Frauen freilich eine Dreifachbelastung war. Denn den Männern wurde im Gegenzug nicht wirklich Emanzipation abverlangt.

Was dann im Alltag und im Leben zuweilen sehr diffuse, deprimierende und frustrierende Ergebnisse zeitigte. Aber das Thema war präsent. Niemand konnte ihm wirklich ausweichen. Frauen-Zeitschriften bedienten eben nicht – wie im Westen – die unbedarfte Schöne, die sich erst durch ihre Präsentabilität einen Marktwert erschafft, sondern die selbstbewusste Frau, die sich in Mode, Haushalt und Beruf auch verwirklicht.

Ich hole jetzt ein bisschen weiter aus, liebe Männer, aber daran seid ihr selber schuld. Denn genau dieses Thema wurde 1990 gründlich vermachot, vergeigt und verdorben bis zur Ungenießbarkeit. Von phlegmatischen Westmännern und von opportunistischen Ostmännern. Das nahm sich dann nicht mehr viel. Ich hätte damals jedenfalls nicht gedacht, dass wir noch einmal 30 Jahre übers Heimchen am Herd diskutieren.

Aber es gibt viele Möglichkeiten, eine Deutsche Einheit zu vergeigen. Diese hier wurde weidlich genutzt.

Auch wenn Jutta Pillat kaum durchblicken lässt, dass die meisten ihrer zehn Frauen-Geschichten in der DDR handeln – man kann es nicht überlesen. Es ist allgegenwärtig, genauso wie der eindeutig ostdeutsche Stolz dieser Frauen, nicht nur mit einem eigenen Beruf auch ein eigenes Einkommen zu haben und vom Mann nicht mehr materiell abhängig zu sein, sondern auch der Stolz auf ihren Beruf selbst wird sichtbar, egal, ob es Buchhändlerin, Lehrerin oder Telefonistin ist.

Denn zum Berufstätigsein im Osten gehörte eben auch eine Bezahlung, die wirklich zum Leben reichte (wenn auch nur dem ostdeutschen Lebensniveau angemessen) und die überhaupt nicht dekretierte Hochachtung vor jeder Tätigkeit. Es gab diese Verachtung eines überheblichen Mittelstandes für die Malocher und Putzfrauen da unten nicht.

Und noch etwas kommt hinzu, ist aber nur vage am Rand von Pillats Geschichten zu spüren: Die klügeren Männer im Osten nahmen das nicht nur wahr und ließen es mit sich geschehen, sondern merkten auch, was für ein Gewinn diese selbstbewusst gewordenen Frauen für sie waren. Frauen, mit denen man sich eben nicht nur über Mode und Kinder unterhalten kann, sondern die einen auch herausforderten – auf der Arbeit, in der Wissenschaft, auch in der Politik.

Wer die Bürgerrechtsbewegung in der DDR untersucht merkt, dass sie eigentlich BürgerInnen-Bewegung heißen müsste. Überall waren Frauen mit dabei, Frauen, für die der Widerspruch eines selbstbewussten Frauenbildes zur praktizierten Pass-dich-an-Politik unübersehbar und unüberwindbar war.

Nur so fürs Tagebuch: Die DDR ist nicht zuerst deshalb untergegangen, weil die Westläden voller waren als die Ostläden, sondern weil sie ihre eigenen Ansprüche an den selbstbewussten und selberdenkenden Menschen nicht bereit war zu erfüllen.

Und das webt in Pillats Geschichten mit fort, die allesamt Berufsgeschichten sind. Deshalb das Kostüm im Titel, das aber nichts mit dem Modezeitschriften-Kostüm zu tun hat, sondern – manchmal auch nur symbolisch – das Kostüm ist, das Frauen für ihre Rolle auf der Arbeit anziehen müssen. Wieder anziehen müssen. Denn es gibt auch bei Jutta Pillat die Geschichte davor und danach. Und die Geschichte danach, nach dem testosterongesteuerten deutschen Einheitsklumpatsch, war eben auch für viele ostdeutsche Frauen die Erfahrung von Rückstufung, Abwertung, Arbeitslosigkeit.

Fast über Nacht verwandelten sie sich wieder in dieselben abhängigen Puttchen aus der Zeit ihrer Großmütter, die froh sein sollten, überhaupt irgendwie als Arbeitsblümchen akzeptiert zu werden. Sie flogen zuallererst einmal aus sämtlichen Leitungspositionen, die sie im Osten wie selbstverständlich schon erobert hatten. Wenn sie sich bemühten, durften sie auch den neuen Machern fleißig helfen, neue Projekte und Unternehmungen hochzuziehen. Aber gerade die letzte Geschichte („Anfang und Ende“) erzählt auf eine beinah bedrückende Art, wie dann oft genug mit ihnen umgegangen wurde, wenn die Dinge etabliert waren und ein paar Männer mit dicken Titeln eine neue Leitungsfunktion suchten.

Oft wirken die Geschichten von Frauen im DDR-Alltag wie eine Gegenfolie zu dem, was nach der „Wende“ Frauen zugemutet – oder wohl besser: verweigert wurde und wird. Bis heute.

Das Selbstverständnis, Frauen auch mit Kindern und Familie in Leitungsfunktionen zu berufen, ist schlicht nicht da. Und das wirkt nicht zufällig bei Jutta Pillat wie ein Albtraum. Denn es ist ein Albtraum, wenn Menschen allein wegen ihres Geschlechts verweigert wird, sie gleichberechtigt zu behandeln und – wie eben in dieser letzten Geschichte – zu feige zu sein, darüber auch noch zu sprechen. Es ist dieses Verschwiemelte, Heimtückische, das nicht nur Frauen zermürbt und krank macht.

Im Ausmaß war das nach 1990 neu, in den Wurzeln nicht. Denn in der Geschichte „Die Begutachtung“ schimmert ein wenig von Jutta Pillats eigener Erfahrung als Lehrerin in DDR-Zeiten durch. Auch das eine Geschichte von verdruckster und zur Sprache unfähiger Machtausübung, die dazu führt, dass die Deutschlehrerin, die ihre Schüler begeistert, das Handtuch wirft, weil sie nicht zur Ableserin werden will, die die Kinder nur mit Phrasen langweilt. Es kommt so ein Stück Null-Bock-Geschichte durch, die uns heute aus sächsischen Schulen so oft entgegenschlägt. Das hat alles miteinander zu tun – und es hat mit Männern zu tun, die Frauen misstrauen, selbstdenkenden Frauen erst recht.

Wird es deshalb ein bissiges Buch?

Eher nicht. Die Autorin betont zwar, dass alle Personen und Unternehmen in den Geschichten erfunden sind. Aber dazu steckt zu viel erlebte Wirklichkeit darin. Wäre Jutta Pillat mit Tonbandgerät losgezogen, hätte sie einen dicken Nachfolgeband zu „Guten Morgen, du Schöne“ veröffentlichen können. Lauter Geschichten über den Selbstbetrug einer Gesellschaft, die von Emanzipation redet, aber nicht mal weiß, wie das geht. Weil dann schnell sämtliche Abwehrmechanismen in Gang kommen: Nur ja keine starke, selbstbewusste Frau im Büro, in der Beratung oder gar im Haus. Ja nicht!

Und weil das systemimmanent ist, machen alle Frauen wieder dieselben Erfahrungen, merken schnell, wie ihre Arbeit, ihre Ausbildung, ihr Einsatz entwertet werden. Helfen dürfen sie überall, Feuerwehr spielen auch. Aber wenn es um Beförderung, Anerkennung oder gar Augenhöhe geht, merken sie schnell, dass ein paar opportunistische Hosenträger das alles schon unter ihresgleichen verteilt haben und gar nicht daran denken, zu so gewöhnlichen Menschen wie Frauen herunterzusteigen.

Weshalb es in einigen Geschichten auch zu kleinen familiären Katastrophen kommt, auch in einer Geschichte, in der man zuerst denkt, dass sich hier zwei junge, selbstbewusste Künstler gefunden haben. Aber auch hier kann der männliche Teil nicht aus seiner Macho-Rolle. Und wieder muss sich frau neu erfinden. Mehrere Geschichten handeln von diesem Sich-immer-neu-Erfinden, bis zur Kontur- und Machtlosigkeit, um nur irgendwie zu einem Arbeitsmarkt zu passen, der Qualifikationen und Berufserfahrung im Handumdrehen entwertet …

Da setze ich einfach mal drei Punkte, weil auch diese Entwertung dazu geführt hat, dass für viele Menschen nichts mehr ging und eine ganze Gesellschaft in regelrechte Depression verfiel. Und das betraf zuallererst die Frauen im Osten, die als hübsche Sekretärin nur zu beliebt waren. Sie ahnten es zwar, dass das so war, und verleugneten sich regelrecht, wie es Jutta Pillat auch in einigen Geschichten beschreibt, manchmal so weit, dass sie auch ihre Seele und ihre Hoffnung verloren.

Wohl wissend, dass eine Verwirklichung im Beruf auch gesellschaftliche Anerkennung bedeutet, fast sogar eine Anerkennung als „richtiger Mensch“. Denn die Frauen, von denen Pillat erzählt, sind Frauen, die ihr Leben als etwas begreifen, das sie selbst gestalten wollen, in dem sie sich auch beruflich beweisen wollen – und das kann man in der Regel als Putze oder Gabelstaplerfahrerin nicht.

Die Geschichten kommen fast beiläufig daher, gänzlich ohne Aufregung. Man erlebt Frauen, wie sie ihr Leben anpacken, wie sie sich selbst motivieren, mehr daraus zu machen. Und wie sie dann oft genug an einen Punkt kommen, an dem ihnen nahegelegt wird, sich doch bitte schön anders zu benehmen oder zu gehen. Noch mehr als Männer erleben Frauen die allgegenwärtigen zumeist sehr eindringlichen Aufforderungen, sich doch bitte anzupassen. Nicht aus dem gesetzten Rahmen zu fallen.

Sonst …

In gewisser Weise sind diese Frauen-Lebensgeschichten ein Spiegel unserer von Patriarchen gemachten Wirklichkeit. Und genau weil das so ist, wissen Frauen mehr über uns, als wir uns so in männlicher Selbstgewissheit meist zugestehen. Sie sehen uns ja agieren. Und das ist nicht lustig. Auch nicht berauschend oder erhebend. Meistens eher schäbig, egoistisch und selbstverliebt.

Aber ich zähle jetzt die Garde unserer selbstverliebten Eigengewächse nicht auf. Sonst wird es tatsächlich deprimierend. Und man kreist um die nur zu berechtigte Frage: Ja, wo sind die Frauen in diesen Positionen? Und warum sind sie nicht da?

Ein paar Gründe findet man in Jutta Pillats Geschichten, wenn auch eher beiläufig. Denn eins haben die meisten Heldinnen dann irgendwann begriffen: Für ihr gutes Gefühl im Leben sind die Männer gar nicht so wichtig.

Braucht jetzt jemand ein Schnupftuch?

Jutta Pillat Frauen im Kostüm, Einbuch Buch- und Literaturverlag, Leipzig 2019, 13,40 Euro.

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