Jede Gesellschaft hat ihre Sprache. Aber Diktaturen neigen nicht nur dazu, Sprache zu zensieren, sie betreiben die Sprachnormierung auch systematisch. Sprache wird zum Instrument der Propaganda. Und sie wird kontaminiert. Manche Wörter werden regelrecht verbrannt. Andere setzen sich fest und sorgen – wie einiges aus der Sprache des Hitlerreiches – auch nach über 70 Jahren für die berechtigte Frage: Kann man diese Wörter eigentlich noch benutzen?

Eine Frage, die ja bekanntlich den Philologen Viktor Klemperer schon 1947 umtrieb, als er im Osten seine beeindruckende Analyse „LTI“ zur Sprache des Dritten Reiches vorlegte. Seitdem haben etliche Sprachwissenschaftler sich mit der Sprache der Nazis beschäftigt. Meist sehr wissenschaftlich und theoretisch. Und lange Zeit waren die Grenzen tatsächlich recht eindeutig. Die meisten Deutschen hatten ein Gefühl dafür, wann Sprache in Nazi-Sprech abdriftete, welche Wörter man lieber nicht mehr benutze und vor allem welche grausame Geschichte hinter einigen dieser Wörter steckte.

Aber mit dem drastischen Rechtsrutsch der AfD hat sich das geändert, versuchen etliche Politiker dieser rechtslastigen Partei, Neue Rechte und rechte Trolle auch das alte Nazi-Vokabular wieder salonfähig zu machen. Mit immer neuen Rückgriffen verschieben sie den Raum des wieder Gesagten immer weiter nach rechts.

Begriffe wie Überfremdung, Umvolkung, Volksverräter gehören eindeutig in diese Kategorie.

Wer solche Wörter benutzt, outet sich. Da gibt es nichts zu beschwichtigen. Das ist blanker Nazi-Sprech. Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, eines dieser Wörter zu benutzen. Der Journalist, Historiker und Linguist Matthias Heine erklärt, warum das so ist. Und warum man 73 Jahre nach Ende des Zwölfjährigen Reiches manches wieder erklären muss.

Denn die Menschen, die den Nazi-Sprech noch selbst erlebt hatten und nach 1945 bemüht waren, die schlimmsten Wörter aus dem Sprachgebrauch zu entfernen, sind meist schon tot oder uralt. Den Jüngeren fehlt oft das Gespür. Wobei gerade für Ostdeutschland noch hinzukommt: Hier hat sich manches NS-Vokabular länger gehalten, weil es auch den neuen roten Machthabern gut in den Kram passte – etwa die ganze verlogene Bejubelung des mythisch besetzten Begriffs Volk.

Knapp 80 Worte hat sich Heine herausgepickt. Das sind natürlich nicht alle, die in der NS-Propaganda erfunden, verdreht, missbraucht wurden. Aber es ist ein bisschen wie bei Viktor Klemperer, den Heine gern zitiert: Wer sich durchliest durch dieses kleine Lexikon von Absetzbewegung bis Zersetzen, der bekommt ein Gespür für die Funktionsweise von Nazi-Sprech.

Er lernt auch, dass Nazi-Sprech nicht erst 1933 erfunden wurde und auch nicht 1923 mit Hitlers „Mein Kampf“, sondern in vielen Fällen seine Wurzeln schon im 19. Jahrhundert hat. Denn auch Hitler hat ja nur abgeschrieben. Die boshaften Ideen des Antisemitismus, der Rassenlehre oder gar der Überlegenheit einer Herrenkultur waren alle schon vorher von diversen Autoren als Buch und Kampfschrift veröffentlicht worden, hatten antisemitische und nationalistische Bewegungen befeuert und waren Anfang des 20. Jahrhunderts mindestens im erzkonservativen Bürgertum präsent.

Etliche der im Buch vermerkten Worte haben also schon so ihre 200 Jahre Gebrauch und Missbrauch hinter sich und lagen für die Nationalsozialisten geradezu zum fixen Gebrauch bereit. Auch von denen sind die meisten verbrannt, nicht nur durch ihren Gebrauch in Goebbels-Reden oder in Streichers „Der Stürmer“. Es ist das menschenverachtende Denken, das in ihnen steckt, das sie disqualifiziert.

Wobei die Geschichte spannender ist, weil heute auch manches Wort den Nazis oder der Nazi-Zeit zugeschrieben wird, das gar nicht zur NS-Sprache gehört – so wie Bombenwetter oder Gutmensch. Aber gerade Gutmensch zeigt eben auch, dass Worte nicht neutral sind. Dass sie – aus einem eigentlich positiv gedachten Zusammenhang gerissen – auf einmal zur Verächtlichmachung genutzt werden. Andere, echte NS-Worte haben hingegen ihre Vorbelastung praktisch eingebüßt und man sieht ihnen gar nicht mehr an, dass sie im Wortschatz des Dritten Reiches mal eine Bedeutung hatten – so wie entrümpeln, Krise oder Eintopf.

Und das bringt Heine dazu, nicht nur die (Ab-)Nutzungsgeschichte der ausgewählten Worte zu erzählen, sondern auch zu jedem Stichwort eine kleine Anwendungsempfehlung zu geben. Und zwar nicht in dem Sinn: Darfst du / darfst du nicht.

Er ist nicht belehrend. Er will seine Leser eigentlich dafür sensibilisieren, mit Sprache und mit Wörtern aufmerksam umzugehen. Manche Worte sind so eingeführt, dass man nicht mal ansatzweise daran erinnert wird, wie sie mal in Schwang kamen. Andere klingen nur für jene harmlos, die wirklich nichts wissen über die finstersten zwölf Jahre in der deutschen Geschichte. Wobei Heines Auswahl auch diesen Lesern einen kleinen Einblick gibt in diese Welt, in der Menschen auch durch umfassende Kontrolle dazu gebracht wurden, nicht mehr offen zu reden. Wer offen redete, riskierte im NS-Reich nicht nur das Konzentrationslager oder das Zuchthaus, sondern das Fallbeil.

Deswegen kann man Orwells Erfindung von „Doppeldenk“, die eigentlich auf ein stalinistisches Reich gemünzt war, genauso auf das NS-Reich beziehen. In etlichen Beiträgen werden die frappierenden Parallelen der beiden Diktaturen deutlich.

Aber es wird auch etwas deutlich, was gern vergessen wird: Dass der Sprachbombast der Nazis auch wieder den Sinn des geduckmäuserten Volkes für Humor kitzelte. Einige der Wendungen, die wir der NS-Propaganda zuschreiben würden, sind in Wirklichkeit sarkastische Anverwandlungen aus dem Volksmund – so wie die Formeln „am Boden zerstört“, „innerer Reichsparteitag“ oder „Durchhalteparole“.

Manches, was damals in den Berichten der Wehrmacht als Wortschablone auftauchte und oft genug das eigentliche militärische Desaster verschleiern sollte, hat das Kriegsende überlebt und findet sich selbst heute noch als markige Formel in Medienberichten wieder. Insbesondere dann, wenn politische Vorgänge besonders kämpferisch und bildhaft auf eine Formel gebracht werden sollen, so wie „Absetzbewegung“, „Wildwestmethoden“ oder „Nacht der langen Messer“.

Natürlich lädt Heine dazu ein, über den Gebrauch solcher Formeln nachzudenken. Oft ist gerade die Nazi-Vorgeschichte das, was diese Formeln aussagekräftig macht, weil die, die in der Geschichte ein bisschen zu Hause sind, mit dem Vergleich sofort etwas anfangen können.

Aber es wird eben auch deutlich, welche Worte man wirklich nicht benutzen sollte, weil sie beim besten Willen ihren Nazi-Usprung und ihre Menschenverachtung nicht verleugnen können. Heines Buch ist ein sehr lesenswertes Werben um Aufmerksamkeit beim Sprechen und Schreiben. Wer gedankenlos Nazi-Jargon verwendet, beweist auf jeden Fall fehlende Sensibilität und wohl auch fehlendes Geschichtswissen. Und auch ein fehlendes Bewusstsein dafür, wie Worte das Bewusstsein prägen.

Was ja beabsichtigt war: Ein gelenkter Sprachgebrauch sollte auch die Abwertung und Entwertung anderer Menschen selbstverständlich machen. Und dann, wenn die Mordkommandos ihr Werk verrichtet haben, auch noch die Verbrechen kaschieren, in einem Nebel von Phrasen verstecken, mit dem die Täter sich dann doch wieder als brave, anständige Befehlsempfänger gerieren konnten. Was etwa Worte wie Sonderbehandlung, Sonderkommando, Euthanasie oder Säuberung betrifft.

Es ist ein Buch zur Zeit, auch eines für all jene, die sich vom Sprachgebrauch rechter Politiker oder der ganzen rechten Trolle im Internet zunehmend verstört fühlen. Es schärft das Bewusstsein dafür, wo diese Sprecher tatsächlich wieder versuchen, Nazi-Denken in öffentliches Sprechen zu verwandeln und so zu tun, als wäre das nur Meinungsfreiheit. Durch Meinungsfreiheit ist es zumeist gedeckt – aber es verrät den Sprechenden. Denn das ist das Erstaunliche an einer sensiblen Sprache wie der unseren: Sie lässt deutlich werden, wer derjenige ist, der da spricht, und was er für Absichten hat. Und manchmal erkennt man ihn an einem einzigen, bewusst eingesetzten Wort.

Matthias Heine “Verbrannte Wörter”, Duden Verlag, Berlin 2019, 18 Euro

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