Bei der Klimakonferenz in Madrid feilschten sie am Samstag immer noch über eine Konkretisierung des Pariser Klimaabkommens, als wenn man über Klimaanstrengungen überhaupt noch kuhhandeln könnte. Als wenn nicht endlich Zeit für Taten wäre. Ausgerechnet Deutschland steckt derzeit in einer ganz blamablen Rolle, denn im Jahr 2000 war Deutschland mal das erste Land, das die Energiewende einleitete. Und Axel Berg war dabei.

Für die SPD schrieb er damals mit an jenem simplen Gesetzeswerk, das binnen weniger Jahre den erneuerbaren Energien den Weg bereiten sollte, sodass Deutschland das erste Land der Welt hätte werden können, das seinen Energiebedarf komplett aus alternativen Energie deckt und damit auch seine Klimabelastung drastisch senkt.

Aber alle CDU-geführten Regierungen seit 2005 demontierten das Gesetz immer weiter, sorgten erst dafür, dass die gerade boomende Solarindustrie in Deutschland vor die Wand lief. Zuletzt sorgten sie auch noch mit einem geradezu verlogenen „Klimapaket“ dafür, dass auch der Windkraftausbau verunmöglicht wird.

Es sieht ganz so aus, als werde Angela Merkel als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die – um alte, dreckige Konzerne zu retten – Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zerstört hat. Denn Technologien, die ausgebremst werden, wandern ab. Andere Länder, die klüger geführt werden, übernehmen die Technologieführerschaft.

In diesem Fall ist es China, wo man schon lange die Nase vorn hat in der Solartechnologie, in der Batterietechnologie ist man dort gerade dabei, sie zu übernehmen. Bei der Windkrafttechnologie spielt Deutschland noch mit. Aber wie erwähnt: Die deutsche Regierung ist gerade dabei, auch sie noch abzuschießen.

Eigentlich ist Axel Bergs Buch ein wütendes Buch, auch wenn er sich zurückhält, seine Wut zu deutlich zu formulieren. Die Fakten, die er aufbereitet, sprechen für sich. Sie machen sichtbar, in wessen Interesse in Deutschland tatsächlich regiert wird und warum man von all den Merkel-Regierungen zum Klima stets nur lauter Phrasen gehört hat, Ausreden, Schönfärbereien. Aber es gab keine Taten. 2020 wird Deutschland so seine Klimaziele nicht nur knapp verfehlen, sondern deutlich. Denn in zentralen Bereichen wie der Mobilität und der Wärmegewinnung ist so gut wie nichts passiert.

Aber es wird etwas passieren. Das ist übrigens die andere Seite von Bergs Streitschrift, der nicht nur detailliert aufführt, dass Deutschland problemlos binnen zehn Jahren die komplette Energiewende schaffen würde – wenn es in der Regierung überhaupt den Mut dazu geben würde, wirklich Politik für die Zukunft zu machen.

Die Technologien sind alle da. Strom aus Erneuerbaren ist heute schon billiger als der aus fossilen Kraftwerken. Das merkt nur kaum einer, weil den deutschen Privathaushalten neben der EEG-Umlage auch noch lauter Abgaben auf den Strompreis gepackt werden, die vor allem den fossilen Konzernen zugutekommen.

Subventionen und Vergünstigungen

2012 hat das Umweltbundesamt einmal aufgelistet, wie viele Subventionen eigentlich fossile Technologien in Deutschland bekommen: 57 Milliarden Euro. Jedes Jahr. Allein die Streichung dieser Subventionen und Vergünstigungen würde genug Geld freisetzen, um alles zu bauen und zu installieren, was eine neue Energiewelt braucht. Die zwangsläufig dezentral sein muss. Denn nur so wird sie sparsam, beteiligt sie die Bürger, vermeidet wieder das Entstehen großer zentraler Strukturen, über die Konzerne ihre Monopolmacht ausnutzen.

Aber was passiert, wenn Konzerne in einer Regierungspartei so viel Einfluss haben, dass sie all das ausbremsen können? Genau das, was wir erlebt haben: ein Kohlekompromiss, der nicht mal einen Fahrplan zum Kohleausstieg enthält, obwohl alle wissen, dass Deutschland bis 2030 systematisch einen Kohlemeiler nach dem anderen abschalten muss. 2038 ist viel zu spät. Hinter den Kulissen feilschen die Energiekonzerne immer noch darum, wie hoch die Belohnung durch den Steuerzahler werden soll dafür, dass sie die längst abgeschriebenen und unwirtschaftlichen Kraftwerke stilllegen.

Denn auch das wird deutlich: Die Welt ändert sich längst. Ohne die milliardenschweren Subventionen und Vergünstigungen wären weder Atom- noch Kohlekraftwerke in Deutschland überhaupt noch konkurrenzfähig. Die großen Energiekonzerne verlieren ihr Geschäftsfeld und ihr Monopol, wenn überall im Land kleine und mittlere Produzenten von Solar- und Windstrom entstehen und Stadtwerke „auf der letzten Meile“ dafür sorgen, dass nur noch saubere Energie in die Stadt kommt.

Und sie kämpfen mit allen Mitteln, um ihr Monopol zu bewahren, mit unfairen, unlauteren (Stichwort „Greenwashing“), rücksichtslosen. Sie drohen mit Arbeitsplatzabbau (obwohl parallel schon über 20.000 Jobs in der Solarbranche flöten gegangen sind und ähnliches bei der Windkraft droht), mit Lücken in der Versorgung, hämmern den ratlosen Politikern immer wieder das Bild in den Kopf, dass Energiestrukturen zentral und groß und von einem Konzern gesteuert sein müssen.

Konzerne lieben das Monopol. Es gibt ihnen Macht und riesige Freiräume, die Preise zu diktieren.

Was sie aber nicht davor bewahrt, zu kollabieren, wenn ihre Zeit abgelaufen ist, wenn die mit Boni überbezahlten Manager eine falsche Weiche nach der anderen gestellt haben, weil in ihren Schädel nicht hineingeht, dass auch für Atomkraftwerke, Massentierhaltung und Verbrennungsmotoren der Punkt kommen könnte, an dem diese Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Und der Punkt ist eigentlich längst gekommen. Die Subventionen verstecken die Wahrheit nur vor uns. Den deutschen Autobauern bricht gerade der Weltmarkt für ihre tollen Verbrenner weg. Ein Staat nach dem anderen verkündet einen Termin, ab wann Verbrenner nicht mehr verkauft werden dürfen.

China hat die E-Auto-Produktion mit staatlichem Druck hochgetrieben. Weshalb zwei der erfolgreichsten E-Autobauer heute in China ansässig sind, der dritte in den USA. So langsam werden die deutschen Autobauer munter. Denn der Zug droht ihnen vor der Nase wegzufahren. Genau wie den Energiekonzernen der Zug der erneuerbaren Energien. Reagiert haben zumindest RWE und E.ON – und sind eine strategische Partnerschaft eingegangen, um bei den Erneuerbaren als großer Player mit dabeizubleiben und wieder Druck auf die Bundesregierung auszuüben, denn wenn sie es schaffen, wieder neue Großstrukturen zu bekommen, beherrschen sie wieder den Markt.

Die Forderungen: große Offshore-Windparks vor der Küste, riesige Solaranlagen in der Wüste und – das ewige Thema, wenn deutsche Energieminister zur Verzögerung des Ausbaus jammern – neue Stromtrassen, die ihren abseits des Landes produzierten Strom nach Bayern schaffen.

Dabei wird von alledem nichts gebraucht, oder fast nichts. Strom ist besonders günstig, wenn er regional produziert und auch gleich regional verteilt wird, möglichst dezentral. Ein ganz wichtiges Thema, betont Berg, denn genau das würde das Netz auch gegen Hackerangriffe und Blackouts stabilisieren. Doch statt genau das zu befördern, legt die Bundesregierung teure Programme gegen Blackouts auf und schürt die Angst.

Natürlich fühlt man sich beim Lesen des Buches an ein Buch erinnert, das schon 1987 erschien: Rudolf Bahros „Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten?“ Den Titel hätte auch Bergs Buch tragen können. Es erzählt vom selben Thema. Alle nötigen Vorarbeiten für eine deutsche Energiewende waren schon 1987 geleistet.

Die Zerlegung des EEG-Gesetzes

Das EEG-Gesetz von 2000 konnte darauf aufbauen und die Installation von Solaranlagen (die heute schon um ein Vielfaches leistungsfähiger und preiswerter sind als noch 2000) und Windkraftanlagen (für die dasselbe gilt) mit einem simplen Anreizsystem in Gang bringen. Ein Anreizsystem, das so sinn- und wirkungsvoll war, dass dutzende Länder weltweit es abgekupfert haben.

Aber auch so erfolgreich, dass ab 2005 die Initiativen der fossilen Konzerne unübersehbar waren, das EEG-Gesetz zu zertrümmern. Das ist ihnen gelungen. Und trotzdem geht die Entwicklung weiter, weil selbst ohne EEG-Förderung heute die Installation von Solaranlagen wirtschaftlich ist. Erst recht, wenn der Strom auch gleich noch vor Ort gebraucht wird.

Umso peinlicher die Einführung einer EEG-Abgabe für Betreiber von Solarparks für ihren Eigenverbrauch, während die Fossilkonzerne für den selbst verbrauchten Strom aus Kohle- und Atomstrom keine EEG-Umlage zahlen müssen. Über 2.000 deutsche Unternehmen, denen die Regierung bescheinigt, sie würden mit der EEG-Abgabe nicht mehr international wettbewerbsfähig sein, zahlen die heute nicht mehr.

Die Vergünstigungen werden dafür umgelegt: auf die Privathaushalte und Kleinbetriebe. Axel Berg erzählt einige Geschichten über die Selbstbedienungsmentalität der großen deutschen Unternehmen, die die Lasten der Energiewende und der Umweltschäden rücksichtslos auf die Allgemeinheit abschieben. Normalerweise alles Themen, die sich mit einem wirksamen EEG-Gesetz längst erledigt hätten. Es klingt wie aus finstersten Vergangenheiten, ist aber heutige Realität.

Mit dem Ergebnis, dass diese fossilen Konzerne damit jeden zukunftsfähigen Wirtschaftszweig ausbremsen oder gar ins Ausland abdrängen. Deutschland ist schon lange kein Taktgeber beim Klimaschutz mehr. Im Gegenteil. Seit Jahren herrscht Stillstand, steigen sogar noch die Zahlen von Verbrennern auf den Straßen. Ganz so, als würden die Deutschen selbst noch extra einen draufgeben wollen und zeigen, dass nur ein fetter Geldbeutel zählt, nicht die Verantwortung für die Zukunft.

Aber wahrscheinlich wählen sie auch deshalb immer wieder fossile Parteien und rennen jetzt gar der Klimawandelleugner-Partei AfD hinterher. Als würde Dummheit davor schützen, mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert zu werden. Oder gar die fossilen Kraftwerke retten, die sich ohne staatliche Subventionen schon lange nicht mehr halten könnten.

Wobei man auch anmerken muss: Die fossilen Kraftwerke kommen mit dem Klimawandel nicht zurecht. Was gerade Frankreich zu spüren bekam in den letzten heißen Sommern, als den Atommeilern das Wasser ausging. Sie alle brauchen Wasser, um ihre Turbinen zu betreiben.

Bei Windkraft und Solar fällt das weg. Im Gegenteil, Solaranlagen arbeiten erst richtig los, wenn die Sonne scheint. Und sie verbrauchen, wenn sie erst mal stehen, keinen Brennstoff. Weshalb gerade ärmere Länder mit dieser Technologie viel schneller all ihre Energieprobleme lösen könnten, während die Industriestaaten im Norden auf ihren schmutzigen Kraftwerken sitzen, die das ganze Energiesystem schwerfällig und anfällig machen. Und schweineteuer.

Denn egal, ob Kohle, Erdöl, Uran oder Erdgas – die Lieferkette für diese Kraftwerke ist lang, teuer und gefährdet. Und Deutschland importiert heute schon 70 Prozent seiner fossilen Brennstoffe – vor allem Erdöl und LNG aus amerikanischen Fracking-Anlagen. Die nächste große Energiekrise auf den Weltmärkten trifft ein vollkommen abhängiges Deutschland. Mit Energieautarkie hat das nichts zu tun.

„In zehn Jahren eine andere Welt“

Axel Berg kennt wirklich alle wichtigen Facetten zum Thema und erläutert sie – sehr vehement – in 20 Kapiteln. Das erste heißt dann freilich gleich: „In zehn Jahren eine andere Welt“.

Denn wenn Deutschland all die Milliarden nimmt, die es heute immer noch zur Subvention der fossilen Energien einsetzt oder gar zum Kauf dieser fossilen Energieträger, dann würde der Ausbau eines komplett alternativen Energiesystems in zehn Jahren locker zu schaffen sein. Samt den notwendigen Speichern, die den in starken Wind- und Sonnenzeiten zu viel produzierten Strom aufnehmen, um ihn in energieschwachen Zeiten wieder ins Netz zu speisen.

Bis hin auch zur Produktion von Wasserstoff aus überschüssigem Strom. Für alles sind die Technologien längst entwickelt. Aber sie werden nicht gebaut, weil die Gelder zu den Falschen fließen, die überhaupt kein Interesse daran haben, dass Deutschland die Energiewende schafft. Und damit stehen sie für die nächste große Investitionsoffensive nicht zur Verfügung. Dümmer kann sich ein Land, das wettbewerbsfähig bleiben will, gar nicht benehmen.

Tatsächlich sind es eher die Chinesen, die vormachen, wie man dranbleibt – bis hin zum Eisenbahnsystem, das sie einfach mit riesigen Mitteln zum modernsten der Welt ausbauen, während Deutschland seine Bahn schon 1992 zum Spielball einer geradezu seltsamen Konzernpolitik gemacht hat.

In kleinen Ratgeber-Kästchen fasst Berg zusammen, was eigentlich jetzt zu jedem einzelnen Thema getan werden müsste. Das könnte all denen helfen, die sich nach dem Werbegetrommel der Fossilkonzerne einfach nicht mehr vorstellen können, wie eine Welt ohne die Kraftwerksdinosaurier und ineffizienten Verbrennungsmotoren aussehen könnte.

Sie sähe anders aus, natürlich. Und sie wird anders aussehen. Und in Wirklichkeit haben die Deutschen jetzt nur noch eine Gelegenheit, schnell die Kurve zu kriegen. Denn das Tempo wird anderswo gemacht. Und der Tag ist nah, an dem die ach so gepriesenen Autos aus Deutschland zum Ladenhüter und Museumsstück werden. Womit dann gleich mal zwei gepäppelte Branchen auf einmal in die Krise rutschen. Kluge Regierungen hätten vorgesorgt und die Energiewende gestaltet.

Aber die hatten wir in den letzten Jahren nicht mehr. Und wer jetzt denkt: Was scheren uns die Chinesen? Der hat nicht mitbekommen, dass die Isländer, Norweger und Schweden genauso rigoros umschwenken. Ein Land nach dem anderen steigt aus aus der schmutzigen Fossilwirtschaft. Und jedes Land, das zu lange zögert, riskiert eine Krise, die richtig an die Substanz geht.

Axel Berg Energiewende. Einfach durchsetzen, Oekom Verlag, München 2019, 24 Euro.

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