Es ist, als hätte der Leipziger Oberbürgermeisterwahlkampf 2020 Joachim Anlauf dazu angestachelt, seinen Leipzig-Krimi von 2012 „Völkers Schlacht“ endlich fortzusetzen. Denn da war ja noch etwas offen und ungeklärt. Sein Clemens Völker hatte nur mit Ach und Krach die OBM-Wahl wieder gewonnen. Nicht weil ihm die Wähler seine Rolle als „Genosse der Bosse“ übel genommen hätten, sondern weil eine skrupellose Kampagnenagentur mit übelsten Tricks versuchte, den Kandidaten in der öffentlichen Wahrnehmung zu demontieren.

Dazu gehörte auch die Platzierung eines Doppelgängers, den Clemens Völker nicht völlig losgeworden ist, obwohl er ihn in einem bitteren Kampf im Pasternoster schon am Schlafittchen hatte. Aber er weiß nicht wirklich, ob der Bursche nun tot ist. Die Leiche ist verschwunden und die sanften Drohungen der norddeutschen Agentur, die hier den Leipziger OBM-Wahlkampf aufgemischt hat, hören nicht wirklich auf.

Denn den smarten Herren aus Hannover, die sich einen Ruf damit erarbeitet haben, die politischen Kontrahenten ihrer Auftraggeber derart zu schwächen, dass sie nicht zur Gefahr für den Machterhalt im Land werden, haben eigentlich wenig Interesse am Leipziger OBM-Posten. Ihnen geht es um die Gefahr, die ein erfolgreicher Sozi im Leipziger OBM-Büro für die Landes- und Bundespolitik darstellte. Er könnte ja als „Kennedy von Leipzig“ die Kräfteverhältnisse zuallererst in Sachsen ins Wanken bringen.

Noch sind wir im Jahr 2013. Aber so manches, was Anlauf nun in der Fortsetzung seines Krimis von 2013 schildert, erinnert schon an das, was im 2020er Wahlkampf passiert ist. Wenn auch nicht so brutal oder gar mit einer inszenierten Occupy-Demonstration, die nach einer Randale in der Deutschen Bank am Martin-Luther-Ring direkt auf das benachbarte Rathaus übergreift, wo gerade der Stadtrat tagt, um den wiedergewählten Clemens Völker zu vereidigen und einen neuen Sozialdezernenten zu wählen.

Kenner der Leipzig-Politik haben durchaus ihre Anregungen, sich an die damaligen Debatten in der Stadtpolitik zu erinnern, an das zähe Ringen um einige Dezernentenposten und auch an die seit 2013 tatsächlich zunehmende Bedrohungslage, die auch im Rathaus die Einführung neuer Sicherheitsvorkehrungen nötig gemacht haben.

Man vergisst so etwas ja nur zu leicht. Denn es sind ja nicht nur Kampagnenagenturen, die mit den Geldern ihrer Auftraggeber versuchen, Politik zu beeinflussen. Es sind auch radikale Parteien, Trolle und radikalisierte Netzwerke, die seitdem auch den Ton der Debatten zunehmend aggressiver haben werden lassen und gerade Kommunalpolitiker mit Drohungen unter Druck setzen.

Etwas, was selbst erfolgreich agierende Oberbürgermeister durchaus dazu bringen kann, ernsthaft an einen Absprung zu denken. Und auch einige lokale Medien spielen bei solchen Kampagnen nicht immer eine ruhmreiche Rolle, verstehen sich selbst nur zu gern als Königsmacher und verlieren jede Distanz und jeden Respekt.

Und Joachim Anlauf kennt diese Szene gut. Er hat schon in diversen Verwaltungen gearbeitet, lebt seit 2008 in Leipzig und nimmt die Leipziger Lokalpolitik aus der Perspektive eines Referenten in der Landesdirektion wahr, also ein bisschen aus der beruhigenden Distanz. Man hat zwar die gute Sicht auf alles, was die Stadt Leipzig so anstellt, muss sich aber nicht um die durchaus attraktiven Bürgermeisterposten prügeln.

Darum geht es im Kern in dieser Fortsetzung, die kurz nach der 2013er OBM-Wahl spielt. Clemens Völker ist seinen Albtraum nicht wirklich los, hofft aber, dass ihn die Erpresser aus Nordwest endlich in Ruhe lassen. Dafür entbrennt der Kampf um den Posten des Sozialbürgermeisters. Der Amtsinhaber will sich wieder bewerben, hat auch bei den Leipzigern einen guten Ruf als soziales Gewissen der Verwaltung.

Aber die Karrieristen sitzen im Rathaus und sind nur zu bereit, ihn selbst mit Intrigen zu schwächen und den begehrten Posten selbst zu bekommen. Ein Privatdetektiv wird eingeschaltet, belastendes Material gesammelt, emsig denunziert. Und mittendrin agieren ein paar Leute direkt im Umfeld des OBM, bei denen nicht so recht klar ist, wessen Interessen sie vertreten. Und Anlauf macht es den Leser/-innen auch nicht so einfach zu durchschauen, wer nun eigentlich in wessen Spiel welche Rolle spielt und was just an dem Tag passiert, als die maskierten Teilnehmer der Occupy-Demonstration das Rathaus stürmen und am Ende ein Toter am Schreibtisch des OBM gefunden wird.

Wahrscheinlich sollten auch manche eher linke Aktivisten den Krimi mal lesen, wenn sie zwischen ihren Aktionen Zeit haben. Denn Anlauf schildert ein ganz und gar nicht so unglaubliches Szenario, wenn er hier erzählt, wie auch eine radikale politische Aktion gekapert werden kann. Und wie ein getürktes Indymedia-Statement genügt, jede noch so gut gemeinte politische Aktion zu diskreditieren. Man darf durchaus an all die Baustellenattacken der letzten Zeit denken, zu denen ein eiligst herbei gerufenes PTAZ seitdem sichtlich erfolglos ermittelt, aber völlig überzeugt ist, es mit „politisch motivierter Kriminalität – links“ zu tun zu haben.

Kann sein. Aber man bekommt so seine Zweifel.

Es geht einem wie dem Kriminalhauptkommissar Carlo Hoffmann, den Anlauf diesen seltsamen Mord im OBM-Büro aufklären lässt: Er glaubt der Maskerade nicht. Viel zu offenkundig ist, dass hier mehrere Personen ihre heimlichen Kämpfe austragen, nicht die Wahrheit sagen und ganz und gar nicht bereit sind, irgendetwas zur Aufklärung beizutragen, während sich gerade die zuerst verhafteten Verdächtigen als naive kleine Möchtegerns erweisen, die nicht einmal ahnen, was um sie herum eigentlich passiert.

Pech für Carlo Hoffmann, dass er seine Polizeilaufbahn noch in der späten DDR begonnen hat. Das macht ihn angreifbar, genauso wie seine unvorbelastete Herangehensweise an den Fall und sein völlig fehlender Respekt vor den hohen Tieren. Was dann ziemlich schnell dazu führt, das ihm der Fall entzogen wird und das LKA übernehmen soll, weil ja doch die maskierten Occupy-Demonstranten auf ein politisch (extremistisches) Motiv hindeuten würden.

Eine fast freundliche Kritik an dem, was in Sachsens Innenpolitik seit einigen Jahren vor sich geht, wo ohne konkreten Anlass große Abhöraktionen gegen ein Chemie-Leipzig-nahes Umfeld gestartet werden, schon auf Verdacht gleich mal die Hundertschaften nach Connewitz ausrücken, um die Wohnungen mutmaßlicher linker Gewalttäter aufzuräumen und nach Beweisen zu suchen, und die Polizei regelrecht in Feuereifer gerät, wenn sie Baustellenanschläge oder Widerstandshandlungen bei Demonstrationen oder Silvesterfeiern emsig zum Tatfeld „Linksextremismus“ sammelt.

Doch was passiert eigentlich, wenn eine Polizei beginnt, politisch zu agieren? Eine Frage, die Anlauf eigentlich auf sehr eindringliche Weise stellt. Gerade durch diesen hartnäckigen Carlo Hoffmann, der nicht bereit ist, die scheinbar so offensichtliche Zuordnung zu politischem Extremismus als Erklärung zu akzeptieren.

Natürlich kann man davon ausgehen, dass es bei Leipzigs Polizei einige Carlo Hoffmanns gibt. Nur: Was können sie ermitteln, wenn der zuständige Staatsanwalt gleich nach dem Geschehen das Etikett „PMK – links“ auf den Fall klebt und der auf den eh schon riesigen Berg von politischen Ermittlungsaufträgen beim PTAZ landet? Wo er in gerade diesem Fall nicht hingehört. Was also passiert, wenn viele dieser Fälle nicht ins PTAZ gehören, weil die Motive und Täter alle in einem ganz gewöhnlichen kriminellen Milieu zu suchen sind?

Genau die Frage stellt ja Anlauf mit seiner Geschichte, bei der am Ende nicht wirklich geklärt ist, wer denn nun eigentlich der Mörder war und was all diese Leute ausgerechnet an diesem Nachmittag im Büro des Oberbürgermeisters zu suchen hatten.

Die Kür von neuen Bürgermeister/-innen in Leipzig verläuft bislang ja zum Glück nicht ganz so brutal und rücksichtslos wie in dieser Geschichte. Auch weil einem diese von sich selbst so dermaßen überzeugte Ranküne doch sehr fremd anmutet, zumindest gewöhnungsbedürftig. Denn welcher Leipziger Nachwuchskandidat hat schon diese Beziehungen, dass ihn wohlwollende ältere Herren auf die gut bezahlten Stühle in Verwaltung und Politik vermitteln könnten?

Noch so ein unterschwellig mitlaufendes Thema, das sich gerade im alten Sozialbürgermeister Hans-Ulrich Hohmeyer personifiziert: Wird man Bürgermeister, weil man in diesem Amt das Beste für die Stadt tun möchte oder weil der Job mit Geld, Prestige und weiteren Karrierechancen verbunden ist?

Fragen Sie Ihren Karriereberater.

Eine nicht ganz fernliegende Frage. Denn die Leute, die Anlauf agieren lässt, um die Sache kulminieren zu lassen, sind allesamt solche Typen, die für ihre Karriere auch über Leichen gehen würden. Selbst der etwas schräge, gerade zum Persönlichen Referenten des Oberbürgermeisters aufgestiegene Kevin Fröhlich, Sohn eines Leipziger Bundestagsabgeordneten, hat augenscheinlich eine völlig übersteigerte Vorstellung von seiner Genialität – und eine sichtlich rudimentäre Sozialkompetenz. Und ein paar Vermutungen zu möglicherweise korrupten Immobiliengeschäften laufen auch noch mit.

Anlauf nimmt einen zwar in vielen kleinen Szenen mit in die Lagebesprechungen der diversen Intriganten und Strippenzieher, sodass man zwar weiß, wer alles so seine Spielchen spielt. Aber er macht sich den Spaß, die Frage „Wer war’s“ hübsch in der Schwebe zu lassen, genau da, wo die emsige Befragerei eines Carlo Hoffmann für gewöhnlich beginnen dürfte, wenn er nur dürfte.

Am Ende erlebt er, wie arrogant Leute abgewatscht werden, die die offiziellen politischen Erwartungen infrage stellen. War da was? Das Stichwort „Sachsensumpf“ taucht ganz klein am Rande auf. Ist ja schon so lange her. Wer wird sich daran noch erinnern wollen, wo doch heute alle diese gemutmaßten Verbandelungen nicht mehr zu sehen sind?

Natürlich ist Anlaufs Geschichte stark überzeichnet. Noch gehen die Wahlen von Bürgermeister/-innen in Leipzig deutlich friedlicher ab, auch wenn es durchaus zu einigen Konflikten dabei kommt und durchaus interessierte Kreise versuchen, die Wahlen in ihrem Sinne zu drehen. 2013 war das schon sichtbar und war auch im realen Leipziger OBM-Wahlkampf von 2020 nicht zu übersehen. Außer von denen, die nur zu gern das Lied der Mächtigen singen und keinerlei kritische Distanz mehr zu ihrer Berichterstattung haben.

So gesehen ist es ein kommunalpolitischer Krimi, in dem sich Splitter der Wirklichkeit spiegeln, zuweilen stark überzeichnet, sodass man sich so einen außer Rand und Band geratenen Maskenball nicht so recht im doch eher etwas biederen Leipzig vorstellen kann. Aber schon in den vergangenen sieben Jahren hat sich ja einiges spürbar verändert, ist mancher Ton schriller geworden.

Und Anlauf tut den erwartungsvollen Leser/-innen eben nicht den Gefallen, den Fall am Ende zu lösen oder gar seinen eh schon völlig deprimierten Clemens Völker von seiner Last zu befreien. Er behält ein paar Karten in der Hinterhand, wohl nur zu bereit, den Maskentanz in einem weiteren Roman fortzuschreiben. Irgendetwas drängt ihn dazu. Als würde sein Unbehagen über ganz reale sächsische Maskeraden im Lauf der Zeit nur noch wachsen und bräuchte endlich einen, der mit unerschütterlichem Nachfragen Licht in dieses wabernde Dunkel bringt.

Einen wie Carlo Hoffmann, der sich auch von der Strafpredigt seines Chefs nicht mutlos machen lässt. Denn er sieht seinen Job nicht als politischen Auftrag. Das hat er sich 1990 gründlich abgewöhnt. Er sieht sich als Polizisten, dessen Pflicht es ist, die wirklichen Täter dingfest zu machen und nicht die, die der Herr Staatsanwalt gern gesehen hätte.

Das ist Stoff genug, es sich mit einer Menge Karrieristen so richtig zu verderben. Aber seinen Kriminalhauptkommissar hat Anlauf so angelegt, dass der sich davon bei allen Demütigungen nicht abschrecken lässt. Und von irgendwelchen wichtigen Leuten, die jeden Tag in „der Zeitung“ sind, schon gar nicht.

Joachim Anlauf Leipziger Maskerade, Gmeiner Verlag, Meßkirch 2020, 13 Euro.

Völkers Schlacht: Ein Polit-Krimi mitten aus dem Leipziger OBM-Wahlkampf

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